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Eine unerfreuliche Hochzeitsreise

Ein 32-jähriger Mann entwickelt während seiner Hochzeitsreise unerwartet Erektionsstörungen. Die Untersuchungen sind unauffällig. Was steckt dahinter?

Zuerst war alles in Ordnung

James ist 32 Jahre alt und frisch verheiratet. Er konsultiert seinen Hausarzt zwei Wochen nach der Rückkehr von seiner Hochzeitsreise, zutiefst besorgt über eine plötzliche und unerwartete Veränderung seiner .

Die Erektionsstörung trat erstmals in der Hochzeitsnacht auf: Das sexuelle Verlangen war vorhanden, eine Erektion wurde initial erreicht, ging jedoch kurz vor der Penetration rasch verloren. Der Patient führte dies zunächst auf Reisemüdigkeit zurück. In den darauffolgenden Tagen wiederholte sich diese Symptomatik jedoch, sodass während der gesamten Hochzeitsreise kein Geschlechtsverkehr möglich war.

Der plötzliche Beginn der Beschwerden kam für ihn unerwartet, da er vor der Hochzeit eine zufriedenstellende sexuelle Beziehung ohne jegliche Erektionsstörungen geführt hatte, mit regelmäßiger und spontaner Sexualität.

James suchte nicht sofort medizinische Hilfe auf. Er wartete etwa zwei Wochen, in der Hoffnung, dass sich das Problem von selbst lösen würde. Er vermied einige Tage lang Geschlechtsverkehr in der Annahme, dass „Druck herausnehmen" helfen könnte. Doch immer wieder trat dasselbe Muster auf.

Er sprach offen mit seiner Frau, die unterstützend, aber ebenfalls besorgt war. Sie ermutigte ihn, sich untersuchen zu lassen, „um einfach alles auszuschließen". James recherchierte online und las über , vaskuläre Störungen, stressbedingte erektile Dysfunktion (ED) und mögliche psychische Ursachen. Seine Internetrecherchen verstärkten seine Besorgnis, anstatt ihn zu beruhigen.

Seine Frau blieb durchgehend unterstützend, obwohl beide die wachsende Anspannung und Unsicherheit erkannten, die die Situation erzeugte.

Schließlich entschied er sich, seinen Hausarzt aufzusuchen.

Erste ärztliche Beurteilung

Der Hausarzt erhob eine Anamnese, führte eine körperliche Untersuchung durch und veranlasste Routinelabordiagnostik. Die Befunde waren durchweg unauffällig. Er bewertete die Symptomatik als möglicherweise transiente funktionelle Störung und empfahl eine Lebensstilmodifikation sowie freiverkäufliche zur Unterstützung der männlichen Sexualfunktion.

Als die Symptome persistierten, verschrieb der Hausarzt einen niedrig dosierten PDE5-Hemmer, „um den Druck zu mindern und das Selbstvertrauen wiederherzustellen". James berichtete nur von einem partiellen, aber unbeständigen Nutzen.

Angesichts der Persistenz der Symptome und ihrer emotionalen Auswirkung überwies der Hausarzt ihn zu einem Andrologen.

Vorstellung beim Facharzt

James stellt sich nun in einer andrologischen Praxis zu einer Second-Level-Evaluation vor. Er sitzt angespannt im Sprechzimmer, sichtlich verlegen und angespannt.

Anamnese und psychosozialer Kontext

Die vergangenen Monate waren fordernd:

  • Eine kürzliche berufliche Beförderung mit erhöhter Verantwortung;
  • ;
  • sowie eingeschränkte Privatsphäre durch vorübergehendes Wohnen bei den Schwiegereltern während der Renovierung der eigenen Wohnung.

Er verneint , berichtet aber von erhöhtem Stress und der „Angst, dass es wieder passiert". Das sexuelle Verlangen blieb vorhanden.

Körperliche Untersuchung

Vollständig unauffällig. Keine genitalen Abnormitäten, keine Plaques, keine Deviation, keine neurologischen Defizite.

Laboruntersuchungen

Die Ergebnisse der Laboruntersuchungen zeigten sich wie folgt:

  • Gesamttestosteron: 13,2 nmol/l
  • LH, FSH: normal
  • Prolaktin: 12 µg/l
  • TSH: normal
  • HbA1c und Nüchternglukose: normal
  • Lipide: grenzwertig erhöhtes LDL

Penisdopplersonographie

Extern vor einigen Wochen durchgeführt:

  • Kavernöse arterielle Geschwindigkeiten im Normbereich;
  • Keine strukturellen Abnormitäten;
  • Kein Hinweis auf venöse Insuffizienz;
  • Interpretation: „Insgesamt zufriedenstellende hämodynamische Antwort."

Da keine vaskulären oder anatomischen Abnormitäten identifiziert wurden, konzentrierte sich die weitere Anamnese auf die Sexualfunktion, insbesondere auf die Erektionsfähigkeit außerhalb des partnerschaftlichen Geschlechtsverkehrs.

Details zur Sexualfunktion

  • Gelegentliche Morgenerektionen („vielleicht weniger häufig, aber vorhanden").
  • Masturbationserektionen vorhanden, aber „nicht immer so stark", wobei er dies teilweise auf Sorgen zurückführte.
  • PDE5-Hemmer mit inkonsistentem Nutzen.
  • Keine Penisschmerzen, Taubheit, Deviation oder Beckentrauma.
  • Libido weitgehend erhalten, aber signifikante antizipatorische .

Finden Sie heraus, ob Sie richtig lagen

Diskussion

Die Fallkonstellation spricht eindeutig für eine psychogene erektile Dysfunktion (pED), insbesondere den situativen Subtyp, der klassischerweise zu Beginn der Ehe auftritt. Der abrupte Beginn während der Hochzeitsreise, die normale Sexualfunktion mit derselben Partnerin vor der Hochzeit, die erhaltene Erektionsfähigkeit außerhalb des partnerschaftlichen Geschlechtsverkehrs sowie die normalen vaskulären und endokrinen Untersuchungen sprechen alle für einen psychologischen Mechanismus anstelle einer organischen Ursache.

Situative pED wird seit langem in klassischen Klassifikationssystemen wie der Rosen-Klassifikation beschrieben, und aktuelle Studien bestätigen die Prävalenz bei jüngeren Männern unter partnerschaftlichem in Lebensübergängen. Das inkonsistente Ansprechen auf PDE5-Hemmer in James' Fall ist ebenfalls typisch; wenn Versagensangst und kognitive Interferenz die sexuelle Reaktion dominieren, ist pharmakologische Unterstützung allein unzureichend, sofern sie nicht von psychotherapeutischen Strategien begleitet wird.

Die Präsentation stimmt mit dem überein, was in der aktuellen Literatur als „nicht-vollzogene Ehe" (‘unconsummated marriage’) durch Versagensangst beschrieben wird. Ein systematisches Review von Krishnappa et al. (2023) zeigt, dass die häufigste Ätiologie der nicht-vollzogenen Ehe bei Paaren mit vorher normaler sexueller Aktivität die pED ist, oft ausgelöst durch symbolische oder emotional aufgeladene Kontexte wie die Hochzeitsreise. Ihre Analyse unterstreicht, dass das Auftreten nicht auf traditionelle kulturelle Settings beschränkt ist, sondern zunehmend in westlichen Ländern beobachtet wird, besonders bei jungen Männern unter signifikantem oder partnerschaftlichem Druck.

Neurobiologische Arbeiten (Tian et al., 2025) unterstützen zudem die multidimensionale Natur der pED: Männer weisen Veränderungen in neuronalen Netzwerken auf, die für sexuelle Erregung und emotionale Regulation verantwortlich sind. Dies legt nahe, dass psychologische Auslöser mit messbaren Alterationen der zentralnervösen Verarbeitung einhergehen.

Warum die anderen Diagnosen weniger wahrscheinlich sind

Eine vaskuläre Ursache ist angesichts normaler Dopplerbefunde, erhaltener Spontanerektionen, des jungen Alters und fehlender Risikofaktoren unwahrscheinlich.

Hypogonadismus ist unwahrscheinlich bei normalem Testosteron, erhaltener Libido und Fehlen systemischer Merkmale.

Hyperprolaktinämie ist durch normales Prolaktin ausgeschlossen und würde persistierende, nicht situative ED verursachen.

Der plötzliche Beginn in einem symbolischen Beziehungskontext, vorherige normale Funktion mit derselben Partnerin, normale Untersuchungen und wachsende Versagensangst sprechen stark für einen psychogenen Mechanismus.

Management

Der größte Behandlungserfolg stellt sich ein, wenn medizinische Reassurance und gezielte psychosexuelle Intervention zusammen eingesetzt werden:

  • -basierte Sexualtherapie zur Bearbeitung katastrophisierender Gedanken und der Angst-vor-Versagen-Schleife;
  • Paartherapie, entscheidend in der frühen Ehe;
  • Graduierte Sensualitätsübungen (Sensate Focus), die den Leistungsdruck reduzieren und die Penetration zunächst ausklammern;
  • Kurzfristige PDE5-Hemmer zur Reduktion initialer Angst.

Dieser kombinierte Ansatz wird durch viele Berichte gestützt.

Klinisches Update: Neues zur pED aus den Jahren 2024–2025

Neuere Literatur betont:

  • Zunehmende Prävalenz bei aufgrund von Stress und soziokulturellen Erwartungen;
  • Die Notwendigkeit routinemäßiger psychologischer Assessments in ED-Abklärungen;
  • Neurobiologische Evidenz, die pED als Störung der Erregungs-Emotions-Integration unterstützt;
  • Überlegene Outcomes mit kombinierten psychotherapeutischen und pharmakologischen Strategien.

Dieser Fall zeigt, wie wichtig die Erfassung des psychosozialen Kontextes ist und dass eine rein biologische Diagnostik bei jungen ED-Patienten nicht ausreicht.

Quellen:
  1. Rosen RC. Psychogenic erectile dysfunction. Classification and management. Urol Clin North Am. 2001 May;28(2):269-78. doi: 10.1016/s0094-0143(05)70137-3. PMID: 11402580.
  2. Nguyen HMT, Gabrielson AT, Hellstrom WJG. Erectile Dysfunction in Young Men-A Review of the Prevalence and Risk Factors. Sex Med Rev. 2017 Oct;5(4):508-520. doi: 10.1016/j.sxmr.2017.05.004. Epub 2017 Jun 20. PMID: 28642047.
  3. Reed-Maldonado AB, Lue TF. A syndrome of erectile dysfunction in young men? Transl Androl Urol. 2016 Apr;5(2):228-34. doi: 10.21037/tau.2016.03.02. PMID: 27141452; PMCID: PMC4837321.
  4. Tian, Z., Ma, Z., Dou, B. et al. Altered gray matter morphometry in psychogenic erectile dysfunction patients: A Surface-based morphometry study. Sci Rep 15, 28661 (2025). https://doi.org/10.1038/s41598-025-14706-5
  5. Krishnappa P, Manfredi C, Jayaramaiah S, Ditonno F, Matippa P, Shah R, Moncada I. Unconsummated marriage: a systematic review of etiological factors and clinical management. J Sex Med. 2023 Dec 22;21(1):20-28. doi: 10.1093/jsxmed/qdad146. PMID: 37952223.
  6. Lidawi G, Asali M, Majdoub M, Rub R. Short-term intracavernous self-injection treatment of psychogenic erectile dysfunction secondary to sexual performance anxiety in unconsummated marriages. Int J Impot Res. 2022 Aug;34(5):407-410. doi: 10.1038/s41443-020-00399-z. Epub 2021 Feb 18. PMID: 33603244; PMCID: PMC9293754.

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