Nordrhein-Westfalen hat als erstes Bundesland eine Landarztquote eingeführt. 7,6 Prozent der Studienplätze will das Land für diejenigen Studenten reservieren, die sich verpflichten, nach Abschluss ihres Studiums für mindestens zehn Jahre als Hausarzt in einer ländlichen Region zu arbeiten. Was sind Vor- und Nachteile der Quote?
Die Landarztquote soll ab dem Wintersemester 2019/2020 gelten. Sie betrifft Studienanfänger. Die Quote ist bereits Bestandteil des Anfang 2017 beschlossenen Masterplans Medizinstudium 2020, der besagt, dass die Bundesländer bis zu zehn Prozent der Medizinstudienplätze über ein solches System vergeben können.
"Nordrhein-Westfalen betritt hier absolutes Neuland. Bislang hat noch kein Bundesland die gesetzlichen Weichen für die Umsetzung der Landarztquote gestellt. Wir gehen hier mutig voran und wollen damit auch andere Bundesländer motivieren, diesen Schritt zu gehen", erklärte Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU). Auch Bayern, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt planen, eine Quote einzuführen.
In Nordrhein-Westfalen sollen ab dem kommenden Jahr 168 Plätze über die Landarztquote vorab vergeben werden. Neben der Verpflichtung zu einer Tätigkeit als Hausarzt auf dem Land soll ein standardisierter Test über die Studenten bestimmen. Das Landeszentrum für Gesundheit (LZG) soll die Durchführung des Auswahlverfahrens koordinieren und die Plätze anstelle der Universitäten vergeben.
Bewerben können sich auch Abiturienten von außerhalb Nordrhein-Westfalens. Sie müssen sich allerdings verpflichten, dort als Hausarzt zu arbeiten – nicht irgendwo, sondern in einer von aktuell etwa 160 Gemeinden, die als unterversorgt gelten. Unterversorgung bedeutet, der Versorgungsgrad liegt bei Hausärzten bei unter 75 Prozent oder bei weniger als 50 Prozent bei Fachärzten. In einzelnen Regionen Deutschlands sind mehr als die Hälfte der Hausärzte älter als 60 Jahre. Es herrscht Nachwuchsmangel.
Wer einen Platz über die Landarztquote bekommt, muss einen Vertrag mit dem jeweiligen Bundesland abschließen. Entscheidet sich der Medizinstudent dazu, nach dem Studium nicht als Landarzt zu arbeiten, wird eine empfindliche Vertragsstrafe fällig. Bis zu 250.000 Euro sind für Nordrhein-Westfalen im Gespräch. Die Strafe müsse mindestens so hoch sein, wie die Kosten eines Medizinstudiums, heißt es aus der Landesregierung.
Nordrhein-Westfalen reagiert mit der neuen Regelung auch auf eine Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts, das im vergangenen Jahr geurteilt hatte, dass nicht vorrangig die Abiturnote über die Zulassung zum Medizinstudium entscheiden dürfe. Bisher erfolgt die Studienplatzvergabe nach dem 20-20-60-Prinzip: 20 Prozent der Plätze wird über die Abiturnoten vergeben, so dass in der Praxis ein sehr gutes Einser-Abi notwendig ist. Zu 20 Prozent zählt die Wartezeit. Die weitere Vergabe erfolgt zu 60 Prozent über ein Auswahlverfahren der Universitäten. Die Wartezeit auf einen Studienplatz in Humanmedizin beträgt häufig bis zu 14 Semester. Die Bewerberzahl für ein Medizinstudium ist mehr als fünfmal so hoch wie die Zahl der Studienplätze.
An der Landarzt-Quote gibt es Kritik. Sie gilt als Eingriff in die Berufsfreiheit der Ärzte. Sie verpflichtet die angehenden Mediziner, sich bereits vor Aufnahme ihres Studiums, für eine begrenzte Auswahl von Wohnorten zu entscheiden. Kaum jemand weiß nach dem Abitur bereits, wie seine Zukunft aussehen soll. Im Alter von 20 Jahren hat in den wenigsten Fällen die Familienplanung begonnen. Prioritäten verschieben sich oft erst während des Studiums oder in den ersten Jahren des Arbeitslebens. Eine kurzfristige Lösung des Hausärztemangels bietet die Quote nicht.
"Zwang ist nach unserer Ansicht nicht der richtige Weg, um junge Mediziner für die Niederlassung zu gewinnen. Die Nachfrage nach Ärzten ist so groß und wird noch steigen, so dass sich junge Mediziner aussuchen können, wie und wo sie arbeiten wollen", erklärt denn auch Roland Stahl, Pressesprecher der Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Er plädiert dafür, dass in Zeiten, in denen Menschen bevorzugt in Städten wohnen wollen, die ländlichen Regionen Standortmarketing für Ärzte betreiben – ähnlich wie sie es bei Industriebetrieben machten. Eine attraktive Infrastruktur sei notwendig, um Ärzte zu gewinnen. Grundsätzlich gelte es über neue Arten der Versorgung nachzudenken, beispielsweise in Form von Patientenbussen, die die Patienten zu den Ärzten bringen, so Stahl.
Auch aus studienpraktischer Sicht gilt die Quote als umstritten. Bereits vor Aufnahme des Studiums müssen sich Studierende auf Allgemeinmedizin festlegen. Einblicke in andere Fachrichtungen erhalten sie aber erst während des Studiums. Wer weiß ohne Studienerfahrung, ob Urologie oder Anästhesie nicht spannender als Allgemeinmedizin ist? Ein weiteres Argument: Die Quote könnte von Studienanfängern mit schlechterer Abiturnote aus wohlhabenden Familien missbraucht werden, die bereits vor dem Studium wissen, dass sie eine Vertragsstrafe von circa 250.000 Euro problemlos bezahlen könnten, falls sie sich doch für eine medizinische Karriere in der Stadt entscheiden.
Das Medizinstudium hätten sie trotzdem in der Tasche.