In der heutigen Blogausgabe möchte ich mit Ihnen gemeinsam einen Blick auf eine altbewährte Methode der Urologie werfen, die heute vielfach durch Apparate in der Bildgebung ersetzt zu werden droht. Die digital-rektale Untersuchung (DRU) hat in den vergangenen Jahren offensichtlich tatsächlich etwas an Attraktivität verloren. Jedoch ist sie nicht allein in der Prostatakarzinom-Diagnostik zuhause. Vielmehr lassen sich mit ihrer Hilfe auch Analkarzinome und andere Veränderungen ertasten. Allein der Tastsinn bedarf einer ausgeprägten Schulung, und zwar an lebenden PatientInnen.
Wer sie nicht tagtäglich einsetzt, wird nur schwer etwas ertasten können, und Patientinnen und Patienten treibt sie seit jeher Schweißperlen auf die Stirn: Die digital-rektale Untersuchung. Dabei ist sie eigentlich mit ausreichender Schulung und Übung gar nicht so schlecht, wie eine aktuelle Studie australischer WissenschaftlerInnen unlängst zeigte. Nur müssen ÄrztInnen und Ärzte eben am lebenden Menschen üben und nicht an den vielerorts verbreiteten Simulatoren.
Die Hand des fachkundigen Arztes oder der Ärztin, geschützt durch einen Fingerhandschuh und versehen mit etwas Gleitmittel, ist seit jeher ein wichtiges diagnostisches "Instrument" in den analen Untiefen. Nur, obgleich ein jeder der FachärztInnen dieses Instrument von Geburt an mitbringt, ist das Empfindungsvermögen und damit der "feinfühlige" Umgang mit dem Finger doch sehr unterschiedlich ausgeprägt.
Böse Zungen behaupten sogar, dass die meisten KollegInnen abseits der Urologie oder Proktologie praktisch keine ausreichende Erfahrung mit dem Finger haben, um überhaupt etwas einigermaßen sicher erkennen zu können. Doch das Gefühl im Finger wird auch in der Urologie mehr und mehr von anderer Seite bedroht, wie eine aktuelle Arbeit aus Australien aufdeckte.
Die Urologen aus Sydney (Australien) unterwiesen insgesamt 48 angehende UrologInnen in der digital-rektalen Untersuchung. Nach Abschluss einer 30-minütigen Einleitungsveranstaltung erhielten 26 TeilnehmerInnen die Möglichkeit, an Freiwilligen zu üben, während der Rest an einem Simulator erste Praxiserfahrungen in der DRU sammelte.
Die StudentInnen, welche am menschlichen Körper üben durften, hatten wie erwartet einen größeren Wissenszuwachs und fühlten sich bei der Anwendung der DRU sehr viel sicherer. Dies belegt einmal mehr, dass der direkte Kontakt zwischen ÄrztInnen und PatientInnen eben doch den größten Effekt auf Diagnostik und Behandlung hat. Allerdings prüfte die Studie nicht, ob die jungen MedizinerInnen sich nicht nur kompetenter fühlten, sondern am Ende auch tatsächlich kompetenter waren als jene, welche am Simulator trainierten.
Trotz aller Bestrebungen nach mehr Digitalisierung und mehr Gerätemedizin sollte die digital-rektale Untersuchung am lebenden Menschen als Grundhandwerk der UrologInnen auch in den zukünftigen Ausbildungscurricula einen festen Platz einnehmen. In der Leitlinie Prostatakarzinom erhielt die DRU zuletzt nur noch den Empfehlungsgrad B für die PCa-Diagnostik und sollte darüber hinaus beispielsweise zusätzlich zum PSA-Test empfohlen werden. Allerdings ist der "fühlende Finger" der ÄrztInnen auch in anderen Anwendungsfeldern, z. B. bei der Ertastung von Anal- und Rektumkarzinomen, noch immer ein erstes, kostengünstiges Mittel der körperlichen Untersuchung und sollte daher nicht ganz im Praxisalltag vergessen werden. Wie so oft im Leben, macht ebenso hierbei die Übung die Meister.
Originalarbeit: Patel MI et al. Teaching medical students digital rectal examination: a randomized study of simulated model vs rectal examination volunteers. BJU Int 2019; https://doi.org/10.1111/bju.14778