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ERS 2022: Neueste Erkenntnisse aus der COPD-Forschung

Auf dem diesjährigen Kongress der European Respiratory Society wurden unter anderem neueste Studienergebnisse zur COPD vorgestellt.

STARR2: Neuer Behandlungsansatz bei COPD-Exazerbationen

Im Ergebnis der STARR2-Studie (NCT04458636) zeigte sich, dass die eosinophil-gesteuerte Verschreibung von Prednisolon der Standardverschreibung von Prednisolon bei der Behandlung von COPD-Exazerbationen nicht unterlegen ist.1,2 Somit sind personalisierte, Endotypen-basierte Behandlungen mit Prednisolon für COPD-Betroffene möglich. Dies sei ein starkes Argument, so die Forschenden, um eine Aufnahme dieses Therapieansatzes in die klinischen Leitlinien zu befürworten. 

Die Intention-to-Treat-Analyse zeigte überdies keine Unterlegenheit der auf Eosinophile ausgerichteten Behandlung im Gegensatz zur Standardbehandlung (RR 0,82; 95% KI 0,54-1,23; p=0,34). Jedoch schlugen 27% der Behandlungen in der Versuchsgruppe und 34% in der Kontrollgruppe fehl. Hinsichtlich des Therapieversagens wurde die Nichtunterlegenheit der experimentellen Behandlung im Vergleich zur Kontrollgruppe bestätigt (19% vs. 32%; RR 0,60; 95% KI 0,33-1,04; p=0,07). Des Weiteren wiesen die FEV1-Ergebnisse, CAT-Scores und VAS-Symptom-Scores keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsarmen auf.

Icenticaftor als wirksame Ergänzung zur Dreifach-Inhalationstherapie

Auf dem diesjährigen Kongress der ERS wurde außerdem eine Phase-2b-Studie (NCT02449018) vorgestellt, die das Dosis-Wirkungs-Verhältnis von Icenticaftor zusätzlich zu einer Dreifachtherapie aus langwirksamen Beta-Agonisten (LABA), langwirksamen Muskarin-Antagonisten (LAMA) und inhalativen Kortikosteroiden (ICS) bei Betroffenen mit COPD und chronischer Bronchitis untersucht hatte.

Das Forschungsteam rund um Prof. Frits Franssen (Universität Maastricht, Niederlande) fand eine klare Dosis-Wirkungsbeziehung in wichtigen Studien-Endpunkten, z.B. im EXACT-Respiratory Symptom (E-RS)-Gesamtscore und E-RS Cough and Sputum (C&S)-Score, außerdem wurde die Verwendung von Notfallmedikamenten nach sechs Monaten als explorativer Endpunkt einbezogen. Dies gilt für die Anwendung von Icenticaftor bei Patientinnen und Patienten mit COPD und chronischer Bronchitis zusätzlich zur Dreifach-Inhalationstherapie nach 24 Wochen. Dabei zeigte die zweimal täglich verabreichte Dosis von 300 mg ein vielversprechendes Nutzen-Risiko-Profil. Zwar wurde in der Studie der primäre Endpunkt (Veränderung des FEV1 vom Ausgangswert bis zur Woche 12) nicht erreicht, jedoch schnitt der 300-mg-Arm hinsichtlich der FEV1-Werte nach 24 Wochen besser ab als Placebo (kleinster quadratischer Mittelwert 35 ml, 90%- KI: 0,0008-0,062)3. Größere Sicherheitsbedenken wurden in keiner der Behandlungsgruppen beobachtet.

COPD-Medikamente nicht wirksam bei symptomatischen Rauchern mit PRISm (Preserved ratio impaired spirometry)

Rauchenden, die Atemwegssymptome aufweisen, werden häufig COPD-Medikamente verabreicht. Allerdings scheinen lang wirksame Bronchodilatatoren die Symptome laut Ergebnissen der RETHINC-Studie nicht zu verbessern. Prof. MeiLan Han (University of Michigan, MI, USA) erklärte: "Gegenwärtige und ehemalige Raucher mit Spirometriewerten im Normalbereich werden häufig mit Bronchodilatatoren oder inhalativen Kortikosteroiden (ICS) behandelt"4-6, allerdings sei ein Nutzen dieser Medikamente nicht nachgewiesen. Außerdem würden jene Personen nicht in den aktuellen GOLD-Leitlinienempfehlungen abgebildet. 

In der multizentrischen, randomisierten Phase-3-Studie RETHINC (NCT02867761) wurde eine 12-wöchige Behandlung mit inhalativem Indacaterol/Glycopyrrolat gegen Placebo bei derzeitigen sowie ehemaligen Rauchern und Raucherinnen mit PRISm und Atemwegssymptomen (n=535) verglichen. Eine Verbesserung um 4 Einheiten auf dem St. George’s Respiratory Questionnaire (SGRQ) stellte den primären Endpunkt dar, ohne dass es während des Behandlungszeitraums zu einem Therapieversagen kam. Dieses primäre Ergebnis wurde von 56,4% der Betroffenen in der Interventionsgruppe und 59% in der Placebogruppe erreicht (p=0,65).7 Prof. Han argumentierte zusammenfassend:

"COPD-Medikamente können die Symptome bei symptomatischen Personen mit erhaltener Lungenfunktion möglicherweise nicht lindern, da diese Teilnehmenden nicht an der typischen Erkrankung der unteren Atemwege leiden, auf welche die COPD-Medikamente abzielen."

Dauerhafte Wirkung von endobronchialen Ventilen bei schwerem Emphysem

Auf dem ERS-Kongress wurden ebenso die Ergebnisse der randomisiert-kontrollierten EMPROVE-Studie (NCT01812447) präsentiert. Es konnte gezeigt werden, dass die bronchoskopische Platzierung von endobronchialen Einwegventilen bei der Therapie der pulmonalen Hyperinflation (Lungenüberblähung) bei Betroffenen mit schwerem heterogenen Emphysem langfristig einen zusätzlichen klinischen Nutzen gegenüber der alleinigen medikamentösen Behandlung bietet. 

Mit einer Platzierung minimalinvasiver, bronchoskopischer endobronchialer Einwegventile können nachweislich die Lungenfunktion sowie Dyspnoe verbessert und die Hyperinflation bei Betroffenen mit COPD und Emphysem reduziert werden.8 In der 2019 veröffentlichten EMPROVE-Studie fand ein Vergleich zwischen Betroffenen statt, die zusätzlich zur medikamentösen Therapie aktiv mit dem Ventil behandelt wurden und solchen, die alleinig einer medikamentösen Behandlung unterlagen.9 Auf dem diesjährigen ERS-Kongress präsentierte Prof. Gerard Criner (Temple University, PA, USA) nun die Follow-Up-Ergebnisse nach 24 Monaten.10 Die Resultate sprechen für signifikante Vorteile des Interventionsarms gegenüber dem Kontrollarm in Bezug auf schwere Dyspnoe (p< 0,01), den Gesamtscore des St. George’s Respiratory Questionnaires (p<0,05), den COPD Assessment Test Score (p<0,05) und den FEV1-Wert (p<0,05). Zwar wies der Interventionsarm anfangs und kurzfristig eine höhere Rate an schwerwiegenden unerwünschten Ereignissen auf (0 bis 6 Monate; 28,3% versus 8,5%; p=0,003), jedoch war dies im weiteren Verlauf nicht mehr signifikant.

Digitale Anwendungen können die körperliche Aktivität bei COPD verbessern

Die randomisiert-kontrollierte Studie ALERT-2 kam zu dem Ergebnis, dass COPD-Betroffene ihre körperliche Aktivität mittels eines webbasierten Instruments zur Unterstützung des Selbstmanagements im Vergleich zur üblichen Versorgung steigern können. 

Während die Teilnehmenden in der Kontrollgruppe die übliche Betreuung erhielten - bestehend aus einer Broschüre über körperliche Aktivität bei COPD und einem Schrittzähler -, hatten die Probanden der Interventionsgruppe zusätzlich einen Zugang zum COPD-Web. Dieses enthält u.a. Informationen über die Vorteile körperlicher Aktivität, Möglichkeiten zu deren Steigerung, spezifische Übungen und eine Erinnerungsfunktion. Diese webbasierte App führte im Vergleich zur Kontrollgruppe  nach drei Monaten zu einer klinisch relevanten Verbesserung der körperlichen Aktivität (mittlere Veränderung +1.227 Schritte/Tag; 95%-KI: 90-2.365).11 Prof. Andre Nyberg (Universität Umeå, Schweden), einer der Studienautoren, betonte abschließend noch einmal den großen Vorteil der App für die Patientinnen und Patienten:

"Darüber hinaus lehren uns interviewbasierte Informationen, dass die Patienten im Interventionsarm durch die Möglichkeit, das von uns entwickelte webbasierte Tool zu nutzen, ein stärkeres Gefühl der Kontrolle über die Verbesserung ihres körperlichen Aktivitätsniveaus hatten."

Lesen Sie auch unsere weiteren Beiträge zum ERS Kongress 2022:

Quellen:
  1. Bafadhel M, et al. Point of care blood eosinophil guided oral prednisolone for COPD exacerbations: a multi-centre double blind randomised controlled trial (The STARR2 trial). ALERT 1, RCT711, ERS International Congress 2022, Barcelona, Spain, 4–6 September.
  2. Bafadhel, M, et al. Am J Respir Crit Care Med. 2012;186(1):48–55.
  3. Franssen FME, et al. Dose response of icenticaftor in patients with COPD and chronic bronchitis on triple inhaled therapy. ALERT 1, RCT710, ERS International Congress 2022, Barcelona, Spain, 4–6 September.
  4. Han MK, et al. Bronchodilators in Symptomatic Tobacco-exposed Persons with Preserved Spirometry for the RETHINC Study Group. ALERT 1, RCT712, ERS International Congress 2022, Barcelona, Spain, 4–6 September.
  5. Woodruff PG, et al. N Engl J Med. 2016;371:1811–1821.
  6. Kesimer M, et al. N Engl J Med. 2017;377(10):911–922.
  7. Han MK, et al. N Engl J Med. Sep 4, 2022. Doi: 10.1056/NEJMoa2204752.
  8. Hartman JE, et al. Eur Respir Rev.2019;28(152):180121.
  9. Criner G, et al. Am J Respir Crit Care Med. 2019; 200(11):1354–1362.
  10. Criner G, et al. Sustained health-related quality of life in patients with severe heterogenous emphysema treated with spiration valve system at 24-month follow-up (EMPROVE). ALERT 4, RCT4449, ERS International Congress 2022, Barcelona, Spain, 4–6 September.
  11. Stenlund T, et al. Clinically relevant effects on physical activity with web-based self-management support in people with COPD: a randomized controlled trial. ALERT 2, RCT2160, ERS International Congress 2022, Barcelona, Spain, 4–6 September.