- Rowe AA. et al. (2024). Female sex hormones exacerbate retinal neurodegeneration. bioRxiv [Preprint]. 2024 Jul 16:2024.07.11.603104.
Bisher sind die Gründe, warum neurodegenerative Erkrankungen bei Frauen einen schlechteren Verlauf nehmen als bei Männern, nicht ausreichend erforscht. Daher ist es wichtig herauszufinden, welche geschlechtsspezifischen Unterschiede für Krankheitsausbruch und -verlauf eine Rolle spielen. Nur so sind eine bessere Versorgung und adäquate Behandlung weiblicher Patienten im klinischen Alltag möglich.1
Geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich der Schwere der Erkrankung können das Ergebnis diverser Faktoren sein. Hierzu zählen neben den Unterschieden in der Anatomie auch die Konzentration der Sexualhormone, die unterschiedlich exprimierten Genen sowie epigenetische Unterschiede zwischen Männern und Frauen.1
Eine in der Forschungswelt bereits bekannte neurodegenerative Erkrankung ist die Retinitis Pigmentosa. Ihr liegt eine progressive und irreversible Degeneration der Photorezeptoren zugrunde. Durch das Absterben dieser wichtigen Netzhautzellen kommt es bei den Patienten zu einem massiven Sehverlust. Dieser wird von Nachtblindheit und einer Einengung des Gesichtsfeldes begleitet. In der vorliegenden Studie (DOI: ) wurde die Retinitis Pigmentosa (RP) anhand eines murinen Rho P23H Krankheitsmodells untersucht. Die autosomal dominante RP wird durch eine Prolin-Histidin-Substitution an Position 23 des Rhodopsins (Rho P23H) verursacht.1
Abb. 1: histologische Abbildungen (HE-Färbung) von Netzhäuten
In der Abb. 1 sind die Netzhäute von sieben Monate alten weiblichen und männlichen Rho P23H-Mäusen dargestellt. Hier sind u.a. die geschlechtsspezifischen strukturellen Veränderungen in der Netzhaut erkennbar: Bei den weiblichen Rho P23H-Mäusen (linkes Bild) zeigt sich im Vergleich zu den männlichen Rho P23H-Mäusen (rechtes Bild) eine deutlich dünnere äußere Kernschicht (ONL).1
Die Forschungsgruppe führte monatlich skotopische Elektroretinographien (ERG) durch, um die Sehfunktion von weiblichen und männlichen Rho P23H-Mäusen miteinander zu vergleichen. Beide Geschlechter wiesen im Alter von sieben Monaten eine fortgeschrittene Neurodegeneration auf. Diese stimmte mit dem RP-Phänotyp überein. Im geschlechtsspezifischen Vergleich trat bei den weiblichen Mäusen ab einem Alter von zwei Monaten – nach Erreichen der Geschlechtsreife - eine deutlich schnellere ein.1
Um die Wirkung der steroidalen Sexualhormone auf die retinale Neurodegeneration zu untersuchen, führte die Forschungsgruppe bei den Rho P23H-Mäusen im Alter von 6 Wochen eine bilaterale Ovariektomie bzw. Orchiektomie durch. Mittels massenspektrometrischer Analyse des Serums sowie neuraler Retinaproben der Mäuse konnten die Hormonkonzentrationen mit und ohne chirurgische Manipulation bewertet werden. Bereits in der 2. postoperativen Woche wies das Serum einen verminderten Testosteron- und Progesteronspiegel auf. Auch in der konnten signifikante Veränderungen der Hormonkonzentrationen festgestellt werden.1
Die Forschungsgruppe untersuchte die Auswirkungen des systemischen Hormonmangels auf die Sehfunktion von Rho P23H RP mittels skotopischen ERG. Die Analyse ergab keine nennenswerten Unterschiede bei den Männchen mit und ohne Hoden. Bei den weiblichen Tieren hingegen zeigte sich eine signifikant bessere Sehfunktion der Tiergruppe, die eine bilaterale Ovariektomie erhalten hatten – verglichen mit den Weibchen mit den intakten Eierstöcken.1
Diese Ergebnisse geben der neue Einblicke in die Pathogenese neurodegenerativer Erkrankungen und zeigen, wie Sexualhormone den Schweregrad der Erkrankung beeinflussen können.