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Krebs-Screening per Blutprobe: Hype oder neue Ära?

Flüssigbiopsien, die zahlreiche Krebsarten detektieren können, werden als potenziell revolutionär angekündigt - aber was können die Tests wirklich und wo stehen wir aktuell?

Bahnbrechend oder überbewertet – aktuelle Studien können es (noch) nicht beantworten

Im März 2020 waren in der Zeitschrift Annals of Oncology die Trainings- und Validierungsdaten zu Flüssigbiopsien (Liquid Biopsy) veröffentlicht worden, die eine Sensitivität von 67,3% für die 12 Krebsarten demonstrierten, die 63% aller Krebstodesfälle in den USA ausmachen.2

Der Hersteller des Bluttests berichtete während der Tagung der European Society for Medical Oncology (ESMO) über die positiven Ergebnisse der prospektiven PATHFINDER-Studie.3 6.621 Menschen über 50 Jahren mit und ohne Risikofaktoren für Krebs wurden in die Studie eingeschlossen. Bei allen Probanden wurde ein Jahr nach der Flüssigbiopsie der Krebsstatus festgestellt. Bei 1,4% (92/6.621) detektierte der Bluttest ein "Krebssignal". Weitere diagnostische Abklärungen ergaben bei 38% (35/92) der positiv Gescreenten ein Malignom. Bei insgesamt 73% dieser richtig Positiven wurde die Diagnose innerhalb von 3 Monaten gestellt. Die Kosten für den neuen Bluttest liegen laut Hersteller bei 949 Dollar.1

Zu der entscheidenden Frage – ob dieser Krebstest die Outcomes und die Sterblichkeit verbessert – liegen bislang keine randomisierten Daten vor. Der Hersteller Grail führt derzeit in Zusammenarbeit mit dem Nationalen Gesundheitsdienst Großbritanniens eine weitaus umfangreichere als die beim ESMO vorgestellte Studie mit 140.000 Teilnehmern durch, deren Ergebnisse für 2023 erwartet werden.4 Zahlreiche weitere Multi-Krebs-Früherkennungstests (MCED) befinden sich in unterschiedlichen Stufen der Entwicklung. 

Stimmen aus der Fachpresse: derzeit noch nicht genug Daten

So schön es also auch wäre, mittels eines einzigen, noch dazu nicht invasiven, Tests auf multiple Tumorarten zu screenen – zunächst ist unbedingt noch weitere Forschung nötig.

Der Leiter der Abteilung für Krebsprävention am National Cancer Institute schrieb, dass "diese Tests noch immer mit einem hohen Maß an Unsicherheit und vielen Unbekannten behaftet sind".5 Damit spielt er sicherlich auch darauf an, dass die erste Publikation von 2020 bereits viel kritische Resonanz erhielt und – so lange keine Ergebnisse einer ausreichend gepowerten, randomisierten Studie vorliegen – mehr Fragen als Antworten im Raum stehen. Ein US-amerikanischer Onkologe mit einem Schwerpunkt auf Meta-Forschung (also der Analyse von Methodik und Forschungsergebnissen), Prof. Vinay Prasad, formulierte klar, dass es ein großer Fehler wäre, diese Technologie ohne solide Belege für einen Vorteil hinsichtlich der Gesamt- oder Krebsmortalität zu implementieren, denn wir alle wissen, dass es nie bei dem Test als solchem bleibt: er kann eine Vielzahl nachgelagerter bildgebender Verfahren bedeuten, die wiederum alle ihre eigenen "Anomalien" finden werden. Das Risiko für eine hohe Zahl von Biopsien, Stagings, Therapien, Resektionen ebenso wie all deren Komplikationen kaufen wir immer mit. Und bevor wir das tun, müssen wir wissen, ob die Früherkannten tatsächlich länger oder besser leben, oder ob das auffällige Screening-Ergebnis möglicherweise nie einen relevanten Krankheitswert gehabt hätte.6

Das Journal American Family Physician gibt ebenfalls zu bedenken, dass das Schaden-Nutzen-Verhältnis für Ärzte in der Primärversorgung, die solche Tests potenziell häufig anordnen, derzeit weiterhin unklar ist und mehr Kontext benötigt wird, um den routinemäßigen Einsatz dieser Tests für die Krebsfrüherkennung in der Praxis zu rechtfertigen, insbesondere bei Krebsarten, für die es bereits empfohlene Früherkennungsuntersuchungen gibt.5 Auch Autoren einer Übersichtsarbeit im American Journal of Medicine äußern Bedenken "insbesondere in Bezug auf die Beratung der Patienten, die Kosten, die Häufigkeit der Tests, die Angst der Patienten und die nachfolgenden Tests bei einem positiven [Screening]ergebnis".7
 

Quellen:
  1. Pyzocha, N. J. Galleri Test for the Detection of Cancer. afp 106, 459–460 (2022).
  2. Liu, M. C. et al. Sensitive and specific multi-cancer detection and localization using methylation signatures in cell-free DNA. Ann Oncol 31, 745–759 (2020).
  3. A prospective study of a multi-cancer early detection blood test. https://oncologypro.esmo.org/meeting-resources/esmo-congress/a-prospective-study-of-a-multi-cancer-early-detection-blood-test.
  4. Wise, J. A blood test for multiple cancers: game changer or overhyped? BMJ 378, o2279 (2022).
  5. Kennylin. Novel strategies against malaria and cancer create new clinical conundrums. The AFP Community Blog http://afpjournal.blogspot.com/2022/10/novel-strategies-against-malaria-and.html (2022).
  6. Vinay Prasad MD MPH [@VPrasadMDMPH]. There are lots of medical interventions that we pay for that don’t work, some have high costs/ toxicities and harms If we adopt GRAIL in the absence of an RCT showing OM or all cancer death benefit, it might be the greatest error to date; Why? Twitter https://twitter.com/VPrasadMDMPH/status/1333081943907258368 (2020).
  7. Ueberroth, B. E., Marks, L. A., Borad, M. J. & Agrwal, N. Multicancer Early detection Panels (MCEDs) in the Primary Care Setting. The American Journal of Medicine 135, e145–e149 (2022).

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