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Keine signifikante Reduktion der Darmkrebstodesfälle durch Routine-Koloskopien

Eine aktuelle Goldstandard-Studie im New England Journal of Medicine mit 10 Jahren Nachbeobachtungszeit ergab, dass die Koloskopie das Darmkrebsrisiko nur um etwa ein Fünftel senkt und die Mortalität nicht signifikant verringert.

Leichte Reduktion der Darmkrebsinzidenz, aber kein signifikanter Rückgang der Mortalität 

Die erste randomisierte Studie dieser Art zeigt, welchen Einfluss die Teilnahme oder Nicht-Teilnahme am Koloskopie-Screening auf die Früherkennung von Krebs hat. Es wurden 84.585 gesunde Männer und Frauen im Alter von 55 bis 64 Jahren, die zwischen 2009 und 2014 aus Bevölkerungsregistern in Polen, Norwegen, Schweden und den Niederlanden gezogen und im Verhältnis 1:2 nach dem Zufallsprinzip entweder zu einer einmaligen Screening-Koloskopie eingeladen oder nicht. Von den 28.220 zur Koloskopie Eingeladenen nahmen 42% (11.843) tatsächlich am Screening teil und 56.365 waren in der Kontrollgruppe (übliche Versorgung).

Wirksamkeit weit unter den bisherigen Schätzungen

Gastroenterologen, darunter der Erstautor der Studie, Prof. Michael Bretthauer von der Universitätsklinik Oslo, reagierten auf die Ergebnisse mit einer Mischung aus Schock, Enttäuschung und sogar leichtem Unglauben. Frühere Arbeiten hatten immer ergeben, dass die Darmspiegelung die Inzidenz und Mortalität von Darmkrebs erheblich senke, doch bei keiner dieser Studien handelte es sich um solch große randomisierte Untersuchungen. 

Während der Nachbeobachtungszeit von 10 Jahren erkrankten 259 der zur Darmspiegelung eingeladenen Patienten an Darmkrebs, in der Kontrollgruppe waren es 622 Fälle. Das Darmkrebsrisiko nach 10 Jahren lag in der eingeladenen Gruppe bei 0,98% und in der Gruppe mit üblicher Betreuung bei 1,20%, was einer Risikoreduktion von 18% entspricht. Das Risiko, an Darmkrebs zu sterben, lag in der eingeladenen Gruppe bei 0,28% und in der Vergleichsgruppe bei 0,31%. Die number needed to treat, also die Anzahl der Patienten, die zur Vorsorgeuntersuchung eingeladen werden müssen, um einen Fall von Darmkrebs zu verhindern, betrug 455. Das Risiko eines Todesfalls jeglicher Ursache betrug 11,03% in der eingeladenen Gruppe und 11,04% in der Kontrollgruppe.

Studie eröffnet Fragen zur besten Praxis

Dies steht natürlich zum Teil in Widerspruch mit Ergebnissen anderer Arbeiten zur Vorsorge von Krebs. Dadurch, dass nur ein Teil aller eingeladenen Personen die Koloskopie wahrnahm, könnte ihr Effekt verwässert worden sein, argumentiert Dr. Jason Dominitz in einem begleitenden Editorial. Er kann sich vorstellen, dass die derzeit weiterlaufende Nachbeobachtung nach 15 Jahren doch Unterschiede zeigen könnte. Wurde nur die Subgruppe der Eingeladenen, die tatsächlich zur Darmspiegelung erschienen, mit der Kontrollgruppe verglichen, lag das Risiko an Darmkrebs zu erkranken bei etwa 30% bzw. die Mortalität durch Darmkrebs um 50% niedriger. Aber zum einen ist eine solche sekundäre Analyse nicht so robust wie die primäre oder Intention-to-treat-Analyse, welche die Goldstandard-Methode ist, gibt Bretthauer zu bedenken. Zum anderen haben die gastroenterologischen Gesellschaften – und er gehöre selbst dazu, so Bretthauer weiter – von einer 70-, 80- oder sogar 90-prozentigen Verringerung einer Erkrankung gesprochen, wenn jeder zur Darmspiegelung gehen würde und das ist nicht das, was diese Daten zeigen.2

Vergangenes Jahr setzte die US Preventive Services Task Force (USPSTF) die untere Altersgrenze für die Empfehlung zur Darmkrebsvorsorge von 50 auf 45 Jahre herunter, doch dies geschah nicht auf einer soliden Evidenzbasis, also nicht auf der Grundlage randomisierter Daten, sondern lediglich auf der Grundlage von Modellberechnungen, wie kurz darauf in einem Artikel im British Medical Journal kritisch beleuchtet wurde.3

"Ich glaube, wir haben die Koloskopie überbewertet"

...resümiert Bretthauer. Er hält es für wahrscheinlich, dass die tatsächliche Reduktion des Risikos, diese Diagnose zu erhalten, irgendwo zwischen der primären und der sekundären Analyse liegt, um 20 bis 30%. Das wäre in etwa vergleichbar mit anderen wichtigen Darmkrebstests, bei denen Stuhl zur Vorsorge auf abnorme DNA oder Blut untersucht wird und die zu Hause durchführbar sind.2 Als nächstes plant das Team einen Direktvergleich zwischen der Koloskopie und diesen Screening-Verfahren.
 

Quellen:
  1. Bretthauer, M. et al. Effect of Colonoscopy Screening on Risks of Colorectal Cancer and Related Death. New England Journal of Medicine 387, 1547–1556 (2022).
  2. Chen, A. In gold-standard trial, invitation to colonoscopy reduced cancer incidence but not death. STAT https://www.statnews.com/2022/10/09/in-gold-standard-trial-colonoscopy-fails-to-reduce-rate-of-cancer-deaths/ (2022).
  3. Powell, K. & Prasad, V. Colorectal cancer screening at a younger age: pitfalls in the model-based recommendation of the USPSTF. BMJ Evidence-Based Medicine 27, 206–208 (2022).

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