Gebrechlichkeit in der Onkologie richtig einschätzen Logo of esanum https://www.esanum.de

Gebrechlichkeitsindex – guter Schätzwert für postoperatives Ergebnis?

Ältere, gebrechliche Krebspatienten haben schlechtere postoperative Ergebnisse. Unkomplizierte Indices zur Risikobewertung sind hier vorab eine Hilfe.

Präoperative Gebrechlichkeit – Darauf kommt es an

Die Operation des Tumors ist bei soliden Raumforderungen noch immer meist die bevorzugte Therapieoption. Allerdings geht die Resektion insbesondere bei älteren Patientinnen und Patienten häufiger mit erhöhter Morbidität und Mortalität einher.

Die präoperative Gebrechlichkeit (Frailty) hat sich hier als guter Schätzwert etabliert. Allerdings basieren derzeitige Schätzwert-Indices für die Gebrechlichkeit auf phänotypischen Beobachtungen sowie einem hohen Erfahrungsgrad der beurteilenden medizinischen Fachkräfte.

Gebrechlichkeitsindex ist nicht allein Erfahrungssache

In vergangenen Jahren wurde daher weiter versucht, einen „unabhängigeren“ Schätzwert-Index für die Gebrechlichkeit zu entwickeln, der z. B. Laborwerte in die Beurteilung mit einbezieht. In der vorliegenden Arbeit ging es deshalb primär darum, einen Gebrechlichkeitsindex anhand von Routinelabordaten und den Operationsergebnissen älterer Krebspatienten nach Resektion zu validieren.

Die Forschenden analysierten retrospektiv 9.015 Patienten im Alter von 65 Jahren und darüber, die sich einer Krebsresektion in einem einzigen tertiären Krankenhaus unterzogen hatten.

Auf der Grundlage von Daten aus der elektronischen Patientenakte über präoperative Bluttestergebnisse und Vitalparameter wurden Laborwerte für den Gebrechlichkeitsindex (Frailty-Index; FI-Lab) erstellt. Daraus sollte anschließend die präoperative Gebrechlichkeit geschätzt werden. 

Von besonderem Interesse waren die Zusammenhänge zwischen dem Gebrechlichkeitsindex FI-Lab und der postoperativen Aufenthaltsdauer, der Wiedereinweisung ins Krankenhaus innerhalb von 30 Tagen, der Aufnahme auf die Intensivstation (ICU) innerhalb von 30 Tagen sowie der Mortalität.

Labordaten sind gute Schätzparameter für Gebrechlichkeit

Der mittlere FI-Lab-Score der 9.015 Patienten betrug 0,20 ± 0,10. Dabei waren höhere FI-Lab-Scores (0,25-0,4; > 0,4) im Vergleich zu FI-Lab-Scores < 0,25 mit einer längeren Liegezeit, einer höheren Wiedereinweisungsrate innerhalb von 30 Tagen nach der Operation, der Verlegung auf die Intensivstation sowie einer erhöhten Mortalität assoziiert.

Der FI-Lab-Score prognostizierte das Risiko für schlechtere postoperative Ergebnisse sehr zuverlässig. Daraus folgt, FI-Lab könnte potenziell nützlich sein, um die präoperative Gebrechlichkeit in der akuten onkologischen Klinik und das daraus erwachsende Risiko für postoperative Komplikationen abzuschätzen.

Welche Rolle spielen die Ergebnisse für die Praxis?

Es ist schwierig, die klinische Gebrechlichkeit von Patientinnen und Patienten in Akutkrankenhäusern zu beurteilen. Die Studienergebnisse belegen daher den Nutzen des FI-Lab-Scores, wobei sich die präoperative Gebrechlichkeit als hilfreich erwies, um frühzeitig Risiken für das Operationsergebnis abschätzen zu können.

Darüber hinaus – und unabhängig von der vorliegenden Studie – gibt es bereits seit einiger Zeit umfangreiche Belege für die Bedeutung des Geschlechts bei der Gebrechlichkeit. So ist beispielsweise bekannt, dass Frauen in jedem Alter einen höheren Grad an Gebrechlichkeit aufweisen als Männer. Zudem haben gebrechliche Frauen ein höheres Risiko der wiederholten Krankenhauseinweisung und eine niedrigere Überlebensrate als gebrechliche Männer.

In einer kürzlich durchgeführten Studie mit koreanischen Erwachsenen zeigte sich jedoch, dass Frauen zwar einen höheren Gebrechlichkeitsindex als Männer hatten, dass ihre Überlebenswahrscheinlichkeit jedoch die der Männer deutlich überstieg. 

Inwieweit hier also auch Merkmale des biologischen, verhaltensbezogenen und sozialen Geschlechts in die Betrachtung biologischer Gesundheitsergebnisse einbezogen werden müssen, ist unklar. Hinzu kommt, dass Geschlechtsunterschiede zur Gebrechlichkeit bei Krebspatienten noch weitestgehend unerforscht sind.
 

Quelle:
​​​​​​​Kim Y et al., Impact of preoperative laboratory frailty index on mortality and clinical outcomes in older surgical patients with cancer. Scientific Reports 2022; 12: 9200. https://doi.org/10.1038/s41598-022-13426-4