Wie die Mutterschaft das Gehirn verändert
Neue Forschung zeigt: Hormonell bedingte Veränderungen im mütterlichen Gehirn könnten der Schlüssel zur früheren Erkennung von Wochenbett-Depressionen sein.
Was passiert bei der Schwangerschaft und Geburt im Gehirn?
Die Zeit vor und nach einer Geburt geht mit einer erhöhten Neuroplastizität des mütterlichen Gehirns einher.1
Zum einen wird ab dem 2. Trimester eine Schrumpfung der grauen Substanz („gray matter volume“) und der kortikalen Dicke beschrieben. Die umfangreichsten Erholungsprozesse und Umstrukturierungen im Gehirn scheinen jedoch in der subakuten postpartalen Phase (den 6 Wochen nach der Geburt) stattzufinden, und zwar insbesondere in Hirnregionen, die mit der Stress- und Emotionsregulation assoziiert sind, also eine Schlüsselrolle im Elternschaftsverhalten spielen und eine Fülle von Steroidhormonrezeptoren aufweisen.1 Dies berichtete die 'RiPoD'-Studie der RWTH Aachen (DOI: ), in deren Rahmen erstmals in 3-wöchigen Abständen MRT-Untersuchungen an einer kleinen Kohorte von Müttern durchgeführt wurden.2 Diese Zeitspanne (4 bis 6 Wochen nach der Geburt) wird als Zeitfenster für den Beginn einer definiert.
Wie sind postpartale Depressionen von anderen nachgeburtlichen Phänomenen abzugrenzen?
In der akuten nachgeburtlichen Phase (bis zu 10 Tage nach Entbindung) fallen die während der Schwangerschaft erhöhten Hormonspiegel rasch ab. Etwa 55–60 % der neuen Mütter machen in diesem Zeitfenster einen „Babyblues“ durch, der sich mit depressionsähnlichen Symptomen, insbesondere Stimmungsschwankungen und Reizbarkeit, äußern kann, aber klar von einer PPD abzugrenzen ist.2 Ebenfalls zu unterscheiden ist die postpartale Anpassungsstörung, die innerhalb der ersten 4 Wochen nach der Geburt als auftritt und symptomatische Überschneidungen zur PPD aufweisen kann, aber transient ist und auf subklinischem Niveau bleibt.
Die Forschungsgruppe der RWTH Aachen hofft, die hohe Dunkelziffer von PPD-Betroffenen senken zu können, indem die komplexen Faktoren besser verstanden und im Sinne prädiktiver Modelle erfasst werden, darunter die Stresswahrnehmung, Veränderung der Stimmung, hormonelle Anpassungen, vorbestehende Vulnerabilität und neuronale Plastizität.
Vorhersage und frühzeitige Identifikation postpartaler Depressionen
Den Ergebnissen der longitudinalen 'RiPoD'-Studie zufolge könnten zwei wesentliche Merkmale die Entwicklung einer PPD mit einer Sensitivität von 83 % bereits in der ersten Woche postpartum vorhersagen, wenngleich die Ergebnisse in weiteren Studien validiert werden müssten.
Frauen mit einem schweren Babyblues sowie Frauen mit einem schweren prämenstruellen Syndrom (PMS) hatten jeweils ein 8‑ bis 10-fach erhöhtes Risiko, im Laufe des Wochenbettes eine PPD zu entwickeln.2 Das gleichzeitige Auftreten beider Faktoren war mit einer fast 13-fach erhöhten PPD-Wahrscheinlichkeit assoziiert.
„Das Screening für Frauen mit erhöhtem Depressionsrisiko kann optimiert werden, indem bereits in den ersten Tagen nach der Geburt, wenn sich die Frau möglichst noch in ärztlicher Obhut befindet oder durch Nachsorgehebammen betreut wird, sowohl der Schweregrad des Babyblues als auch die Vorgeschichte und der Schweregrad des PMS erfasst werden“, so die Forschungsgruppe um Erstautorin Dr. Susanne Nehls, Psychologin an der Klinik für , Psychotherapie und Psychosomatik der RWTH Aachen.2
Fazit für die Praxis
Es gibt gravierende Lücken in der Detektion und Behandlung der PPD, betonen die Autoren.
Um diese frühzeitig erkennen und behandeln zu können, wäre es wichtig, Frauen mit hohem Risiko zu identifizieren, um sie an eine weitere Überwachung und Betreuung anzubinden. Die Erfassung von Risikofaktoren wie PMS und „Babyblues“ ließe sich leicht in die klinische Routine integrieren. Die Forscher hoffen, das Verständnis der neurobiologischen Auswirkungen einer und ihrer Komplikationen zu verbessern und somit zu einer besseren Unterstützung und Intervention für die Mütter beizutragen.2
- Nehls, S., Losse, E., Enzensberger, C., Frodl, T. & Chechko, N. Time-sensitive changes in the maternal brain and their influence on mother-child attachment. Transl Psychiatry 14, 84 (2024).
- Nehls, S. et al. Vorhersage und frühzeitige Identifikation einer postpartalen Depression: Ergebnisse der longitudinalen RiPoD-Studie im Kontext der Literatur. Nervenarzt 96, 176–184 (2025).