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Computer erkennt diastolische Dysfunktion im EKG

Künstliche Intelligenz hält auch in der Medizin immer mehr Einzug. Ein neues Computerprogramm ist nun in der Lage, anhand eines simplen EKGs die Relaxationsgeschwindigkeit des linken Ventrikels – ein Maß für die diastolische Funktion – recht genau vorherzusagen. Wird die Echokardiografie zukünftig überflüssig?

Alternative zur Echokardiografie?

Künstliche Intelligenz hält auch in der Medizin immer mehr Einzug. Ein neues Computerprogramm ist nun in der Lage, anhand eines simplen EKGs die Relaxationsgeschwindigkeit des linken Ventrikels – ein Maß für die diastolische Funktion – recht genau vorherzusagen. Wird die Echokardiografie zukünftig überflüssig?

Weltweit leiden ca. 26 Millionen Menschen an einer Herzinsuffizienz. Hierbei wird im Allgemeinen zwischen linksventrikulärer Herzinsuffizienz mit reduzierter (HFrEF) und erhaltener (HFpEF) Ejektionsfraktion unterschieden. Bei letzterer ist die diastolische Funktion gestört, sprich die Füllung der Herzkammer ist verlangsamt. In vielen Fällen entwickelt sich diese Form der Herzschwäche komplett unbemerkt. Daher ist es wichtig, sie frühzeitig zu erkennen, um kardiale Folgeschäden zu vermeiden. Hierzu bedienen sich KardiologInnen in der Regel der Echokardiografie und messen dafür die Relaxationsgeschwindigkeit des linken Ventrikels in der Diastole (auch e‘ genannt). Im Normalfall beträgt sie über 8 cm/s. Ein zu niedriger Wert gilt als ein wichtiges Frühwarnzeichen für Schädigungen des Herzmuskels. Eine Forschungsgruppe um Nobuyuki Kagiyama von der Universitätsklinik in West Virginia (USA) hat nach einer Methode gesucht, um eine diastolische Dysfunktion auch mittels EKG diagnostizieren zu können. Sie nutzen dabei die Technologie des maschinellen Lernens, mit der ein Algorithmus trainiert wird, bestimmte Muster für eine diastolische Dysfunktion im EKG zu erkennen.

Vergleich von EKG-Mustern mit Echokardiografie-Daten

Dazu benötigten die Forschenden zuallererst ein Set aus EKG- und Echokardiografie-Daten, die sie in das System einspeisen konnten. Diese Daten erhielten sie von 651 US-amerikanischen Testpersonen, die planmäßig eine Echokardiografie zur Untersuchung der Herzfunktion erhielten. Bei ihnen wurde im Rahmen der Studie zusätzlich noch ein 12-Kanal EKG durchgeführt. Ausschlusskriterien für die Teilnahme an der Untersuchung waren Zeichen einer akuten Ischämie oder Herzrhythmusstörungen. Als Input für den Algorithmus bedienten sich die Forschenden traditioneller sowie prozessierter EKG-Daten und klinischer Parameter – in diesem Fall Alter, Dyslipidämie und Bluthochdruck. Der trainierte Algorithmus wurde dann an einer kleinen Gruppe von 163 Probanden getestet, die aus dem gleichen Pool rekrutiert wurde wie die Trainings-Kohorte ("interner Test").

Der Hauptteil der Studie fand in Kanada statt, und zwar an einer neuen Kohorte mit 388 Teilnehmenden, die sich von der US-amerikanischen Population klinisch-demographisch signifikant unterschied ("externer Test"). So war die kanadische Kohorte ca. 10 Jahre älter, hatte mehr männliche Probanden, und weniger ProbandInnen mit einer bekannten kardiovaskulären Vorerkrankung. Der Algorithmus arbeitete daher auf "neuem, unbekannten Terrain".

Vorhergesagte e‘ entspricht der im Ultraschall gemessenen e‘ recht genau

Im "internen" Test an den US-amerikanischen ProbandInnen schnitt der Algorithmus bereits gut ab: der Unterschied zwischen vorhergesagter und in der Echokardiografie gemessener e‘ lag nur bei 0,23 cm/s. Im „externen“ Test an den kanadischen Testpersonen war die Abweichung zwar mit 1,38 cm/s etwas größer, aber sie lag immer noch im akzeptablen Rahmen.

Um die vorhergesagte Relaxationsgeschwindigkeit des linken Ventrikels (e‘) weiter zu validieren, nutzten die WissenschaftlerInnen das statistische Modell der ROC-Kurve (ROC = Receiver Operating Characteristics). Die Analyse der ROC-Kurven zeigte, dass der Algorithmus in der externen Kohorte mit 77%iger Wahrscheinlichkeit eine reduzierte e‘ (definiert als septale e‘ unter 7 cm/s und/oder laterale e‘ unter 10 cm/s) feststellen kann (Sensitivität: 78%, Spezifität 77%). Der Algorithmus stellte zudem mit einer Wahrscheinlichkeit von 46% korrekt die Diagnose einer linksventrikulären diastolischen Dysfunktion nach den 2016er Leitlinien der US-amerikanischen Gesellschaft für Echokardiografie (Sensitivität: 93%, Spezifität: 51%). In weiteren Analysen fanden die WissenschaftlerInnen heraus, dass die traditionellen EKG-Daten am wichtigsten für die Vorhersage waren. Der relevanteste Parameter war hier die Amplitude der S-Welle in der Ableitung V3. Die klinischen Daten hatten dagegen nur einen untergeordneten Wert.

Echokardiografie bleibt die Methode der Wahl

Die Studie zeigt, dass ein Computer-Algorithmus mit simplen EKG-Daten eine diastolische Dysfunktion des linken Ventrikels recht zuverlässig erkennen kann. Dennoch stellt sich die Frage, ob diese Technik jemals Einzug in den klinischen Alltag halten wird. Denn die Echokardiografie gilt immer noch als der Goldstandard in der Evaluierung der Herzfunktion. Sie ist kostengünstig und schnell gemacht. Ein EKG-basiertes Screening wäre also nur da sinnvoll, wo entweder keine Echokardiografie zur Verfügung steht oder wo im Ultraschall noch keine Störung der Herzfunktion erkannt werden kann. Dies wäre z. B. der Fall bei beginnender diastolischer Dysfunktion, die in der Echokardiografie nur schwer nachgewiesen werden kann. Hier könnte ein EKG-Algorithmus frühzeitig Hinweise liefern und Ärzteschaft und PatientInnen vorwarnen. Weitere Studien mit dem Algorithmus sind aber noch notwendig. Insbesondere muss das Programm noch weiter trainiert werden, um die Trefferquote zu verbessern. In Zukunft könnte dann ein "intelligentes" EKG ergänzend in der Diagnose einer Herzinsuffizienz zum Einsatz kommen.

Quelle: 
Kagiyama N et al. Machine Learning Assessment of Left Ventricular Diastolic Function Based on Electrocardiographic Features. JACC. Vol. 76, No. 8, 2020. Originally published 25 Aug 2020. DOI: https://doi.org/10.1016/j.jacc.2020.06.061