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Pneumokokken-Impfung bei Immuninsuffizienz

Im letzten Beitrag sind wir aufmerksam geworden auf die Immunseneszenz. Sie kann entscheidenden Einfluss auf den Impferfolg bei Hochaltrigkeit haben. Wie sieht es nun aus mit der Effektivität einer Impfung bei Immuninsuffizienz?

Im letzten Beitrag sind wir aufmerksam geworden auf die Immunseneszenz. Sie kann entscheidenden Einfluss auf den Impferfolg bei Hochaltrigkeit haben. Wie sieht es nun aus mit der Effektivität einer Impfung bei Immuninsuffizienz?

Impfen zum richtigen Zeitpunkt

Die ambulant erworbene Pneumonie, sowie invasive Pneumokokken-assoziierte Erkrankungen sind maßgeblich beteiligt an der Morbiditäts- und Mortalitätsrate immunsupprimierter Patienten. Eine Pneumokokken-Impfung sollte im Idealfall vor Beginn der immunsuppressiven Therapie erfolgen.1 Die Wirklichkeit sieht oft anders aus: Die Therapie mit Immunsuppressiva wird meist sehr zeitnah indiziert und die Impfung kann nicht rechtzeitig erfolgen.

Impfung bei primären und sekundären Immundefekten

Infektionen zählen zum Hauptgrund für Mortalität und Morbidität von Patienten mit PID/SID. Impfprogramme stellen einen wichtigen Pfeiler in der primären Krankheitsprävention dieser Patienten dar und sind oft lebensrettend.

Impfstudien belegen einen positiven Effekt in der Prävention von Krankheiten durch Impfprogramme selbst bei Patienten mit primären (PID) und sekundären Immundefekten (SID). Die Mortalitäts-, Komplikations- und Hospitalisierungsrate kann durch Impfung gesenkt werden. Tödliche Komplikationen durch Polio, Hepatitis A und B, Hämophilus influenzae, Masern, Mumps, Röteln, HPV, Pneumo- und Meningokokken können vermieden werden.2-10

Die Herdenprotektion durch Impfung gesunder Individuen unserer Gesellschaft entscheidet über das Leben der immunschwachen Bevölkerungsgruppen. Es stellt sich die Frage, ob Patienten mit PID/SID auch auch aktiv geimpft werden können?

Die Ergebnisse verschiedener Forschungsgruppe sprechen dafür: Patienten mit PID und eine Subgruppe der SID-Patienten profitieren von der Grundimmunisierung.11-15 Vor dem Eintritt in ein Impfprogramm ist jedoch die Differenzierung der Schwere des Immundefekts essentiell.

"killed vaccines" zur Diagnosestellung von schweren Immundefekten

Bei schweren Immundefekten sind Lebendimpfstoffe kontraindiziert. Die Zugehörigkeit zu der Gruppe der hochgradigen Immundefekte kann durch eine diagnostische Impfung mittels Totimpfstoff festgestellt werden. Bei über 50% der PID-Patienten liegt eine Antikörperdefizienz vor. Sie führt eine Immunglobulin-Therapie mit sich.

Lebendimpfstoffe erlaubt bei leichteren Immundefekten

Bei Patienten mit einem leichteren Immundefekt kann eine Impfung mit Lebendimpfstoffen (VZV, MMR und BCG) erfolgen. Bei schweren Immundefekten ist eine Lebendimpfstoff-Impfung lebensgefährlich.

PPSV23-Impfung bei sekundärer Immuninsuffizienz

Eine Studie aus dem Jahr 2015 hat die Immunogenität der PPSV23-Impfung bei immunsupprimierten seronegativen (Strept. pneumoniae) Patienten untersucht.

Ein- und Ausschlusskriterien waren folgende: Die Studienpatienten besaßen ein Alter ≥ 18 Jahre, erhielten Immunsuppressiva oder eine tägliche Prednisolon-Dosis ≥ 20 mg und hatten keine Pneumokokken-Impfung 5 Jahre vor Studienbeginn erhalten. Die IgG-Konzentration (6 Pneumokokken-Serotypen) wurde vor Studienbeginn gemessen. Seronegativ waren die Patienten, deren IgG-Konzentration unter 0.5 µg/ml lag. Die Kontrollgruppe bestand aus seropositiven Patienten. Der Impferfolg wurde 4-6 Wochen und ein Jahr nach Impfung serologisch bestimmt. Mithilfe des "Physician Global Assessment" wurde die Krankheitsaktivität ermittelt.

Von den insgesamt 201 Patienten, erhielten 35 (10%) eine Hochdosis-Kortison-Therapie. Eine Therapie mit Immunsuppressiva erfolgte bei 181 (90%) Patienten. Die anfänglich gemessene Seronegativität bei 30% der Patienten wurde in Zusammenhang mit der Kortisontherapie und einer niedrigen IgG-Konzentration gebracht. Nach der PPSV23-Impfung zeigten 87% der Patienten Seropositivität. Die Non-Responder (PPSV23-Impfung) stammten aus der Hochdosis-Kortison-Therapiegruppe.

Die PPSV23-Impfung ging bei dem Großteil der immunsupprimierten Patienten mit einer serologisch messbaren Immunantwort einher.  Nach 1 Jahr waren 67% der geimpften Patienten weiterhin seropositiv. Die Patientengruppe mit Hochdosis-Kortison-Therapie besaß eine hohe Infektanfälligkeit und eine schwächere Immunantwort als die Immunsuppressiva-Therapiegruppe.16

Maligne Erkrankung: Ist eine Pneumokokkenimpfung möglich?

Patienten mit malignen Erkrankungen können unter einem sekundären Immundefekt leiden. Dieser kann das Resultat der Erkrankung selbst oder der Therapie sein (Chemotherapie und Radiotherapie). Durch die hohe Infektanfälligkeit kann es leichter zu einer Pneumokokken-assoziierten Erkrankung mit schwerem Krankheitsverlauf kommen. Kann hier die Pneumokokken-Impfung helfen eine schützende Immunantwort auszulösen?

Bei neoplastischen Erkrankungen empfiehlt die STIKO eine Pneumokokken-Impfung. Personen mit einem erworbenen Immundefekt sollen eine sequenzielle Pneumokokken-Impfung. Zuerst wird mit dem PCV13-Impfstoff und nach 6-12 Monaten mit dem PPSV23-Impfstoff geimpft. Das Mindestalter für den PPSV23-Impfstoff liegt bei 2 Jahren.1

Pneumokokken-Impfung und HIV-Positivität

In einer PCV9-Impfstoff-Studie bei Kindern (n=19.922) mit und ohne HIV-Infektion konnte folgendes gezeigt werden: Im Vergleich zur Placebogruppe zeigte die PCV9-Impfung bei HIV-positiven Kindern eine Wirksamkeit von 65% und bei HIV-negativen Kindern einen Effekt von 83%.17 Aus den Studienergebnisse lässt sich schließen, dass Totimpfstoffe auch bei Patienten mit einer Immundefizienz erfolgreich verwendet werden können.

Zum Schluss noch die STIKO-Empfehlung ...

Bei angeborenen oder erworbenen Immundefekten bzw. Immunsuppression empfiehlt die STIKO eine sequentielle Pneumokokken-Impfung. Zu dieser Risikogruppe gehören u.a. Patienten mit T- oder B-Zell-Defizienz, HIV-Infektion, Knochenmarkstransplantation, Immunsuppression nach Transplantation, Funktionsstörung myeloischer Zellen, chronischer Leber-/Nierenerkrankung, und neoplastischen Erkrankungen.1

Wie handhaben Sie die STIKO-Impfempfehlung im klinischen Alltag bei Patienten mit Immundefekten/Immunsuppression? Können Sie von Ihren Erfahrungswerten berichten?

Referenzen:
1. Epidemiologisches Bulletin 37/2016.
2. Launay O. et al. (2011). Safety and immunogenicity of 4 intramuscular double doses and 4 intradermal low doses vs standard hepatitis B vaccine regimen in adults with HIV–1: a randomized controlled trial. JAMA 305(14), 1432–1440. 
3. Grohskopf L.A. et al. (2013). Prevention and control of seasonal influenza with vaccines. Recommendations of the Advisory Committee on Immunization Practices – United States, 2013–2014. MMWR Recomm. Rep. 62(RR–07), 1–43.
4. Strikas R.A. et al. (2015). Advisory committee on immunization practices recommended immunization schedules for persons aged 0 through 18 years – United States, 2015. MMWR Morb. Mortal. Wkly Rep. 64(4), 93–94.
5. Kim D.K. et al. (2015). Advisory committee on immunization practices recommended immunization schedule for adults aged 19 years or older – United States, 2015. MMWR Morb. Mortal. Wkly Rep. 64(4), 91–92.
6. Knipe D.M. et al. (2015). Rethinking the response to emerging microbes: vaccines and therapeutics in the ebola era – a conference at Harvard Medical School. J. Virol. 89(15), 7446–7448.
7. Mina M.J. et al. (2015). Vaccines. Long-term measles-induced immunomodulation increases overall childhood infectious disease mortality. Science 348(6235), 694–699.
8. Infant meningococcal vaccination: advisory Committee on Immunization Practices (ACIP) recommendations and rationale. MMWR Morb. Mortal. Wkly Rep. 62(3), 52–54 (2013).
9. Markowitz L.E. et al. (2014). Human papillomavirus vaccination: recommendations of the Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP). MMWR Recomm. Rep. 63 (RR–05), 1–30. 
10. Bridges C.B. et al. (2014). Advisory Committee on Immunization Practices recommended immunization schedule for adults aged 19 years or older - United States, 2014. MMWR Morb. Mortal. Wkly Rep. 63(5), 110–112.
11. Vinograd I. et al. (2014). Factors associated with influenza vaccination among adult cancer patients: a case–control study. Clin. Microbiol. Infect. 20(9), 899–905.
12. Cesaro S. et al. (2014). Guidelines on vaccinations in paediatric haematology and oncology patients. Biomed. Res. Int. 2014, 707691.
13. Multiple Sclerosis Council. Clinical Practice Guidelines. Immunizations and Multiple Sclerosis: Evidence-Based Management Strategies for Immunizations in Multiple Sclerosis. (2001).
14. Principi N. et al. (2014). Vaccine use in primary immunodeficiency disorders. Vaccine 32(30), 3725–3731.
15. Eibl M.M.et al. (2015). Vaccination in patients with primary immune deficiency, secondary immune deficiency and autoimmunity with immune regulatory abnormalities. Immonotherapy.7(12) 1273-1292.
16. Fischer L. et al. (2015). Pneumococcal polysaccharide vaccination in adults undergoing immunosuppressive treatment for inflammatory diseases – a longitudinal study. Arthritis Res Ther. 2015; 17(1): 151.
17. Klugmann K.P. et al. (2003). A trial of a 9-valent pneumococcal conjugate vaccine in children with and those without HIV infection. N. Engl. J. Med. 349(14), 1341–1348.