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Corona-Impfung: Experten empfehlen dritte Spritze für Senioren

Ältere und Menschen mit einem geschwächten Immunsystem sollten auch mit Blick auf die Delta-Variante bald eine Auffrischungsimpfung bekommen, raten Wissenschaftler.

Auffrischung bereits in diesem Herbst

Ältere und Menschen mit einem geschwächten Immunsystem sollten auch mit Blick auf die Delta-Variante bald eine Auffrischungsimpfung bekommen, raten Wissenschaftler.

"Ich gehe davon aus, dass wir bei älteren Menschen, die zu Beginn dieses Jahres ihre Erst- und Zweitimpfung erhalten haben, eine nachlassende Immunantwort sehen werden", sagt Leif Erik Sander, Infektionsimmunologe an der Berliner Charité. Er hält es für möglich, dass es ohne Auffrischungsimpfung im Winterhalbjahr zum Beispiel in Alten- und Pflegeheimen dadurch zu zusätzlichen Infektionen kommen könnte. Das sieht Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz genauso. "Es ist überfällig, zu reagieren. Ich sehe aber weder bei Bund noch in den Ländern eine großangelegte Initiative zu diesem Thema. Als Grund vermute ich Sorge vor einer Verteilungsdiskussion."

Bundesweit war die Corona-Impfkampagne am 27. Dezember 2020 in Alten- und Pflegeheimen gestartet. Inzwischen ist gut die Hälfte der erwachsenen Bundesbürger einmal gegen Covid-19 geimpft, rund ein Drittel bereits zweimal. Bis zum Herbst und Winter würden sich aber vermutlich Immunescape-Varianten durchsetzen, sagt Sander, Mutanten, gegen die bisherige Impfstoffe schlechter wirken. Dazu zählt zum Beispiel die in Indien entdeckte Delta-Variante, die sich nun auch in Deutschland schnell ausbreitet. Die Wissenschaft ist sich einig, dass sie auch hierzulande bald dominieren könnte. Für Charité-Wissenschaftler Sander ergibt sich aus allen diesen Fakten eine Notwendigkeit, bestimmten Bevölkerungsgruppen eine Auffrischungsimpfung anzubieten. Ein solcher Booster sollte auch Menschen mit Immunschwächen offeriert werden, etwa zum Zeitpunkt der Grippeschutzimpfung im Oktober.

Corona-Impfung: Noch wenig Daten zu neuen Infektionen bei Älteren

Vom Prinzip her sieht das Thomas Mertens als Vorsitzender der Ständigen Impfkommission ähnlich. Er formuliert es jedoch vorsichtiger: "Die Daten dazu, wer wann erneut geimpft werden sollte, sind noch etwas unsicher. Wir erwarten mehr Anhaltspunkte zur Dauer der Immunantwort nach einer Impfung bis zum August." Verlässliche Daten gebe es bisher nur für einige Gruppen von Menschen mit erheblicher Immunsuppression. "Diese Daten zeigen in der Tat, dass die Immunantwort in Abhängigkeit zur Immunsuppression bei Organtransplantierten viel schlechter sein kann. Sie liegt dann nur noch bei 50 Prozent", berichtet Mertens. Normal sind nach zwei Impfungen sonst über 90 Prozent. Auch bei Rheuma- und Krebspatienten zeigten sich Defizite bei der Immunantwort.

"Bei einem solchen Mangel an Immunschutz wäre relativ kurzfristig eine Nachimpfung zu empfehlen. Dafür müssen wir aber erst ganz genau die immunsupprimierten Gruppen mit dem höchsten Risiko definieren", sagt Mertens. "Bei durchgemachten Infektionen wissen wir, dass der Immunschutz bei ansonsten gesunden Menschen länger als sechs Monate hält. Die Erkrankung und auch die Impfstoffe sind aber noch so neu, dass es Zeit braucht, um Daten für Geimpfte zu erheben", sagt Mertens. "Ich frage mich allerdings, warum Daten zur Immunantwort in Alten- und Pflegeheimen nicht von Anfang an großflächig und regelmäßig erhoben wurden", kritisiert Patientenschützer Brysch. Ihm seien dazu nur Mini-Studien bekannt.

Auch Datenlage zur Dauer des Impfschutzes durch Corona-Impfung noch zu dünn

Große generelle Einschränkungen beim Thema Booster macht auch Charité-Forscher Sander. "Ich glaube nicht, dass wir uns alle zum Winter hin ein drittes Mal impfen lassen müssen", betont er. Die Impfstoffe seien sehr gut wirksam. Sie bauten auch ein Immungedächtnis auf, das zumindest beim Großteil der Bevölkerung nicht so schnell nachlassen werde. "Ich fände es unter diesen Voraussetzungen auch ethisch problematisch, wenn wir in Deutschland für alle an eine dritte Impfung denken würden - und ein Großteil der Welt ist noch nicht einmal das erste Mal geimpft."

Auch andere Forscher beschäftigen sich mit dem Thema Auffrischungsimpfung. "Im Herbst/Winter wird sich Delta auch bei uns durchsetzen. Dann werden sich die infizieren, die keinen oder einen zu schwachen Schutz haben", twitterte jüngst der Dortmunder Immunologe Carsten Watzl. "Aber auch ältere Personen mit hohem Risiko für schwere Verläufe könnten bei Delta ein Problem bekommen, wenn die Impfung bei ihnen nicht so gut gewirkt hat. Daher werden solche Personen vor dem Herbst eine dritte Impfung benötigen."

Eine Masernimpfung halte ein Leben lang, der Tetanus-Schutz nur in etwa 10 Jahre, berichtet Charité-Forscher Sander. "Für Corona wissen wir das schlichtweg noch nicht." Doch bereits im kurzfristigeren Verlauf sehe man, dass älteren Menschen mit einem dementsprechend älteren Immunsystem und auch jüngere Menschen mit einem geschwächten auf die Erstimpfung gar nicht ausreichend reagierten. Auch die Immunantwort nach der zweiten Impfung bleibe niedriger als bei jüngeren und gesunden Menschen.

Auffrischung mit Impfstoff-Kombinationen könne Vorteile bringen

Sander geht davon aus, dass eine dritte Impfung mit bekannten und hier zugelassenen Impfstoffen einen sehr guten Auffrischungseffekt haben werde. "Es kann sein, dass bestimmte Kombinationen dann noch einmal einen Vorteil bringen." Vermutlich werde man die Vektorimpfstoffe wie den von Astrazeneca nach zweimaliger Impfung nicht noch ein drittes Mal geben. "Denn es baut sich auch eine sogenannte Vektor-Immunität auf, die die Impfwirkung abschwächt." Die besten Kombinationen müssten noch in Studien gezeigt werden. Booster-Impfungen kämen häufig auch mit rund der Hälfte der Dosis aus.

Drohende JoJo-Effekte in Alten- und Pflegeheimen haben für Sander aber nicht nur mit dem Lebensalter der Bewohner zu tun. Es gehe auch um ihr Umfeld: Sind Pflegepersonal und alle Besucher wirklich komplett durchgeimpft? "Denn das sind meist die Wege, auf denen das Virus in Alten- und Pflegeeinrichtungen gelangt." Wer über 80 ist, noch allein wohnt und nicht internetaffin, ist möglicherweise auch noch gar nicht geimpft.

Für eine Update-Impfung ist nach Sanders Kenntnis eine Zulassung bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMA notwendig. Dafür reichten aber kleinere Studien, um die bestehende Zulassung für einen Impfstoff zu erweitern. Verteilungskämpfe befürchtet er nicht. "Ich denke, es wird über die Erst- und Zweitimpfungen hinaus im Herbst Impfstoff-Reserven geben. Die Auffrischung würde dann parallel zum Lückenschließen bei den Erst- und Zweitimpfungen laufen."