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Anosmie in der Praxis: Diagnostik und Therapie heute

Spätestens seit der SARS-CoV-2-Pandemie wird dem Krankheitsbild Anosmie vermehrt Aufmerksamkeit geschenkt. Wie die Diagnostik aussieht und welche Therapiemöglichkeiten aktuell existieren, sind Themen dieses Beitrages.

Diagnostik und Therapie der Anosmie auf einen Blick:

Ätiologie der Anosmie: Von Infekten bis Morbus Alzheimer

Die Suche nach der Ursache der Beschwerden gehört zu den wichtigsten Aufgaben bei Anosmie, denn je nach Auslöser sind unterschiedliche Therapiemaßnahmen indiziert. Zu den häufigsten Ursachen der Sinnesstörung zählen die chronische Rhinosinusitis (CRS, 72%) und Infekte (11%). Doch auch Schädel-Hirn-Traumata, neurologische Erkrankungen (z.B. Morbus Parkinson, Morbus Alzheimer) und eine Toxin- bzw. Strahlenexposition (durch Medikamente, Chemotherapie, Radiatio etc.) können für die Riechstörung verantwortlich sein. Allerdings lässt sich nicht immer eine eindeutige Ätiologie identifizieren. Denn die Symptomatik kann durchaus auch idiopathisch oder altersbedingt auftreten.

Diagnostik bei Anosmie

Zur Abklärung der Riechstörung ist eine gründliche Anamnese essenziell. Informationen zum zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Auftreten der Anosmie und eventuellen Komorbiditäten sind ebenso wegweisend wie Angaben zu Fluktuationen – Letzteres ist ein typisches Anzeichen für die CRS. Auch die nasale Endoskopie und Prüfung der olfaktorischen bzw. gustatorischen Wahrnehmung sind wichtige diagnostische Schritte. Des Weiteren ist ein diagnostischer Therapieversuch mit lokalen Kortikosteroiden sinnvoll, da ein Sistieren der Anosmie unter der Behandlung auf eine CRS als Grunderkrankung hinweist.

Je nach Befundlage kann die Diagnostik um eine Bildgebung des Schädels (z. B. MRT) erweitert werden. Hierbei lässt sich evtl. ein vermindertes Riechkolbenvolumen als Zeichen einer neurodegenerativen Erkrankung oder eine Neoplasie darstellen.

Therapie: Ein individueller Behandlungsplan ist gefragt

Die eine, für alle Betroffenen gültige Therapiestrategie gibt es nicht. Je nach Auslöser der Anosmie kommen unterschiedliche Herangehensweisen infrage. So kann etwa bei einer CRS die lokale antiinflammatorische Kortikosteroid-Therapie eine Besserung bewirken. Wenn konservative Maßnahmen versagen, ist bei CRS (mit oder ohne Polypen) eine endoskopische Sinusoperation ggf. mit Abtragung der Polypen eine Option.

Kortikosteroide und Biologicals

Basiert die Sinnesstörung auf einer nasalen Obstruktion (z. B. allergische Rhinitis, CRS), kommen primär topische Steroide in Form von Nasenspray zum Einsatz. Damit der Wirkstoff in die Riechspalte gelangt, sollte das Spray mithilfe eines langen Applikators und des Kaiteki-Manövers (in Seitenlage Neigung des Kopfs und Kinns nach oben) appliziert werden. Auch für systemische Steroide besteht eine Indikation, etwa wenn bei CRS lokale und chirurgische Maßnahmen wirkungslos waren.

Eine andere Arzneimittelgruppe, die bei der Anosmie Anwendung findet, sind die sogenannten Biologicals wie z.B. Dupilumab, Interleukin-4 (IL-4) und IL-13. Sie werden analog zu den systemischen Kortikosteroiden bei CRS nach frustraner topischer und operativer Therapie eingesetzt.

Riechtraining

Ein weiteres Verfahren ist das Training des Geruchsinnes, das v.a. bei postinfektiöser, aber auch bei posttraumatischer und idiopathischer Anosmie den Geruchssinn bessern kann. Die Therapie beinhaltet das tägliche Riechtraining mit vier Duftstoffen (z. B. Rose, Eukalyptus, Zitrone und Gewürznelke) und wird von den Betroffenen daheim über einen Zeitraum von sechs bis neun Monaten durchgeführt. Es hat sich gezeigt, dass insbesondere ein früher Beginn, hohe Duftstoffkonzentrationen und eine langfristige Anwendung sehr effektiv sind.

Supportive Maßnahmen

Neben den genannten Behandlungsstrategien sollten auch unterstützende Verfahren nicht vernachlässigt werden. Dies gilt insbesondere bei entzündlich bedingten Riechstörungen. Hier können lokal abschwellende Nasensprays, aber auch Pflegemaßnahmen wie die Nasendusche hilfreich sein, um eine mechanische Obstruktion der Riechspalte zu mindern.

Nicht-evidenzbasierte Medizin und Ausblick in die Forschung

Neben den genannten etablierten Verfahren gibt es eine Reihe experimenteller bzw. alternativer Ansätze. Zu diesen zählt etwa die Akupunktur bei postviraler Anosmie. In einigen Forschungsarbeiten werden der fernöstlichen Therapie positive Effekte zugesprochen, vor allem wenn sie früh begonnen wird.

Weitere Behandlungsmaßnahmen, die derzeit untersucht werden, sind die lokale Applikation von Vitamin A, Kalziumpufferlösung, plättchenreichem Plasma und Insulin. Auch die orale Einnahme von Alpha-Liponsäure wurde im Rahmen einer Pilotstudie erforscht; neben neuroprotektiven und -regenerativen Eigenschaften soll sich die Fettsäure günstig auf postvirale Riechstörungen auswirken. Zudem sind invasive Verfahren wie die autologe Schleimhauttransplantation, elektrische Tiefenhirnstimulation und der Einsatz eines olfaktorischen Implantats Gegenstand der Forschung.

Fazit für die Praxis

Aufgrund der recht hohen Prävalenz besitzt das Thema Anosmie einen signifikanten Stellenwert im Praxisalltag. Leider gestaltet sich die Therapie häufig schwierig und effiziente Behandlungsregime sind kaum vorhanden. Deshalb ist es besonders wichtig, Betroffene ausführlich über aktuelle Therapieoptionen aufzuklären, aber ebenso die teilweise überzogene Erwartungshaltung abzubauen. Nicht zuletzt sollte auch auf die hohe Spontanremissionsrate hingewiesen werden, die bei postviraler Genese immerhin 60% und bei posttraumatischer Ursache 20% beträgt.

Quelle:

Speth MM, Speth US, Sedaghat AR, Hummel T. Riech- und Schmeckstörungen [Olfactory and gustatory disorders]. HNO. 2022 Feb;70(2):157-166. German. doi: 10.1007/s00106-021-01132-y. Epub 2022 Jan 12. PMID: 35020005; PMCID: PMC8753950.