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Überkommene Strukturen bei Erkrankungsrisiko und Prognose multimodal durchbrechen

Das kolorektale Karzinom (CRC) ist eine Erkrankung, deren Verlauf und Ausgang auch von sozioökonomischen (SÖ) und ethnischen Faktoren bestimmt wird. Wie diese Ungleichheiten am effektivsten ausgeglichen werden könnten, untersucht eine aktuelle Studie.

Ethno-sozioökonomische Unterschiede beim kolorektalen Karzinom

Das kolorektale Karzinom (CRC) ist eine Erkrankung, deren Verlauf und Ausgang auch von sozioökonomischen (SÖ) und ethnischen Faktoren bestimmt wird. Wie diese Ungleichheiten am effektivsten ausgeglichen werden könnten, untersucht eine aktuelle Studie von John M. Carethers von der Abteilung für Gastroenterologe an der University of Michigan in Ann Arbor, USA, und C.A. Doubeni vom Center for Health Equity and Community Engagement Research der Mayo Clinic in Rochester, Minnesota, USA.1

Häufigkeit und Prognose von CRC unverändert von ethno-sozioökomoischen Faktoren geprägt 

Die AutorInnen konkretisieren zunächst die Bedeutung ethno-sozioökonomischer Unterschiede beim CRC. So sei etwa unter afrikanisch-stämmigen US-AmerikanerInnen (AA) im Alter zwischen 20 und 44 Jahren eine CRC-Inzidenz von 7,9 / 100.000 zu beobachten, während nicht-spanischstämmige weiße (NHW) US-AmerikanerInnen eine Inzidenz von 6,7 / 100.000 und asiatische bzw. von pazifischen Inseln stammende (API) US-AmerikanerInnen eine Erkrankungshäufigkeit von 6,3 / 100.000 aufwiesen.1 Die 5-Jahres-Überlebensrate von AAs in den USA liege beim systemischen CRC mit 58% um 7% niedriger als bei NHW, ebenso  bei regionalen Erkrankungen (65% vs. 72%), und liege bei lokalisierten Erkrankungen immer noch um 4% (86% vs. 90%) unter dem Wert bei NHWs.1 Obwohl in allen ethnischen Gruppen der USA ein Rückgang der CRC-Mortalität zu verzeichnen sei, seien die relativen Differenzen zwischen den Ethnien in den letzten 25 Jahren unverändert geblieben.1

Wenngleich diese Vermutung bisher nicht durch eigene Studien belegt sei, äußern die AutorInnen die Vermutung, dass CRC-bezogene gesundheitliche Ungleichheiten aufgrund sozioökonomischer Unterschiede die Folge vor allem von kumulativen Nachteilen bei gesundheitlichem Verhalten und dem Zugang zu Gesundheitsleistungen seien. Zeitlich punktuelle Einschränkungen hingegen dürften ihrer Auffassung nach kaum zur Erklärung der beobachteten Nachteile sozioökonomisch schlechter gestellter Bevölkerungsgruppen beitragen.

Sozioökonomische Einflussfaktoren auf das CRC

Zu den sozioökonomisch beeinflussten Einflussfaktoren auf CRCs rechnen sie u.a.:

  • die deutlich geringere Teilnahme an Screening-Untersuchungen: Entsprechende Untersuchungen würden von Menschen mit geringer Bildung und/oder geringem Einkommen deutlich seltener in Anspruch genommen. Diese Einflussgrößen allein erklärten 42% der beobachteten CRC-Inzidenzunterschiede zwischen AAs und weißen AmerikanerInnen und 19 der Mortalitätsdifferenz zwischen beiden Gruppen.2 
  • den schlechteren Zugang zu Gesundheitsleistungen und -ressourcen: In den USA hänge die Teilnahme an Screening-Programmen maßgeblich von Hinweisen eines behandelnden Arztes ab. Dafür sei eine langjährige Bindung aufgrund regelmäßiger Besuche entscheidend, die bei sozioökonomisch schlechter gestellten US-amerikanischen PatientInnen i.d.R. nicht existiere.3 Außerdem seien in sozioökonomisch schwächeren Regionen überwiegend weniger gut qualifizierte ÄrztInnen mit Screening-Untersuchungen betraut. Das mache sich unmittelbar erneut bei AAs bemerkbar, die deutlich häufiger von ÄrztInnen endoskopiert würden, die – im Gegensatz zu weißen AmerikanerInnen – überwiegend dem Quartil von ÄrztInnen mit der geringsten Entdeckungsrate von Polypen angehörten.4
  • Weitere Faktoren, die zu Gesundheitsnachteilen von ethnischen Gruppen oder geringerem sozioökonomischen Staus beitragen könnten, seien: die schlechtere Erkennungsrate von insb. fortgeschrittenen Adenomen bei AAs gegenüber NHWs. Die häufigere – und Risiko erhöhende – Lokalisation solcher Adenome im proximalen Colon bei AAs gegenüber NHWs. Spezifische Mutationen in Tumoren von AAs sowie die Neigung zu entzündungsassoziierten Mikrosatellitenveränderungen (EMAST), die mit aggressiveren Erkrankungsverläufen einhergingen. Die Beeinflussung des Adenom-Risikos durch Diät und – damit verbunden – das individuell spezifische Mikrobiom, das durch eine fettreiche, Ballaststoff-arme Ernährung erhöht würde. Derartige Ernährungsweisen seien aufgrund der Verfügbarkeit und der Kosten besonders in sozioökonomisch schlechter gestellten Wohngebieten häufiger anzutreffen als in gut gestellten Regionen. In einer Studie sei es gelungen, entsprechende CRC-bezogene Biomarker durch einen Diätwechsel auf eine fettarme, Ballaststoff-reiche Ernährung kurz- und langfristig günstig zu beeinflussen.5

Vorschläge für Interventionen

Carethers und Doubeni schlagen in ihrer Arbeit vor, die in den USA bestehenden Unterschiede bei Erkrankungsrisiko und Prognose vor allem durch gemeindebasierte Maßnahmen zu verringern. Insbesondere auf dieser kommunalen Ebene könnte und sollte die bestehende ungleiche Gesundheitsversorgung ausgeglichen werden. Zu lange seien diesbezügliche Aktivitäten allein auf Einrichtungen der Gesundheitsversorgung wie Praxen und Krankenhäuser ausgerichtet gewesen. Gesundheitseinrichtungen würden in den USA gerade von sozioökonomisch schlechter gestellten Bevölkerungsgruppen nicht regelmäßig aufgesucht.

Ferner seien insbesondere Lebensstilveränderungen zu begrüßen. Allerdings seien Maßnahmen zur Veränderung von Ernährungsgewohnheiten, körperlicher Aktivität u. ä. nach bisherigen Erfahrungen bevölkerungsweit nur schwer umzusetzen, aufwendig und teuer. Daher könnten und würden sie ärmeren Regionen i.d.R. nur schwer zugänglich gemacht werden. Hinweise auf und Erinnerungen an Screening-Untersuchungen seien jedoch per E-Mail u.ä. kostengünstig möglich und könnten die Teilnahmerate um bis zu 15% steigern.

Generell seien – neben einer verbesserten finanziellen Gesundheitsausstattung der Kommunen – lokal individuell zugeschnittene und multimodale Programme am besten geeignet, die ethno-sozioökonomischen Disparitäten beim CRC zu überwinden.

Referenzen:
1. Carethers JM, Doubeni CA, Causes of Socioeconomic Disparities in Colorectal Cancer and Intervention Framework and Strategies, Gastroenterology (2019), doi: https://doi.org/10.1053/j.gastro.2019.10.029
2. Lansdorp-Vogelaar I, et al. Contribution of screening and survival differences to racial disparities in colorectal cancer rates. Cancer Epidemiol Biomarkers Prev 2012; 21:   728-36. https://cebp.aacrjournals.org/content/21/5/728.full-text.pdf
3. Laiyemo AO, et al. Influence of provider discussion and specific recommendation on colorectal cancer screening uptake among U.S. adults. Prev Med 2014; 67: 1-5. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4167462/pdf/nihms608003.pdf
4. Fedewa SA, et al. Racial and Ethnic Disparities in Interval Colorectal Cancer Incidence: A Population-Based Cohort Study. Ann Intern Med 2017; 166: 857-866. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5897770/pdf/nihms943176.pdf
5. O’Keefe SJ, et al. Fat, fibre and cancer risk in African Americans and rural Africans. Nat Commun. 2015; 6: 6342. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4415091/pdf/nihms-657331.pdf