Schon relativ bald nach Ausbruch der COVID-19-Pandemie wurde deutlich, dass ein Diabetes mellitus ein wichtiger Risikofaktor für schwere Verläufe ist und mit einer erhöhten Mortalität einhergeht. In einem Review diskutieren David W. Williams et al aus Cardiff, UK, mögliche biologische Mechanismen, die eine Infektion mit SARS-CoV-2 für PatientInnen mit Diabetes besonders gefährlich machen können.
PatientInnen mit Diabetes haben gehäuft schwere Formen der Erkrankung, sie müssen häufiger auf Intensivstationen behandelt und beatmet werden als PatientInnen mit anderen Komorbiditäten und ihre Mortalitätsrate ist signifikant höher als bei COVID-19-Erkrankten ohne Diabetes. Zudem haben DiabetikerInnen häufig zusätzliche Risikofaktoren wie Adipositas, Hypertonie, KHK oder Niereninsuffizienz.
Neben diesem ungünstigeren Risikoprofil könnten bei Diabetes aber auch andere komplexe Mechanismen zum ungünstigeren Verlauf von COVID-19 beitragen. Ein schlecht eingestellter Diabetes mit Hyperglykämie geht mit einer vermehrten systemischen Inflammation mit Freisetzung pro-inflammatorischer Zytokine und verstärktem oxidativen Stress einher. Darüber hinaus ist ein Diabetes mit einer relativen Immundefizienz assoziiert, was zusammengenommen die Schwere von viralen und bakteriellen Infektionen verstärkt.
ACE2-Rezeptoren werden von SARS-CoV-2 genutzt, um in die Wirtszelle zu gelangen. Eine Hyperglykämie führt zur reversiblen Glykolysierung dieser Rezeptoren, was den Corona-Viren das Eindringen noch erleichtern und damit zu schwereren Infektionen führen könnte. Eine strenge glykämische Kontrolle könnte daher im Vorfeld und zu Beginn von COVID-19 ein wichtiger präventiver Faktor sein.
Eine Hochregulation der ACE2-Rezeptor-Expression wurde zudem unter häufig bei Diabetes eingesetzten Medikamenten wie ACE-Hemmern, Angiotensin-Rezeptorblockern, Ibuprofen und Thiazolidindionen (Glitazonen) beobachtet. Bisher hat sich der Einsatz dieser Medikamente nicht als unabhängiger Risikofaktor für schwere COVID-19-Verläufe erwiesen, sodass auch nicht zum Absetzen geraten wird.
Auch auf den Betazellen des Pankreas befinden sich ACE2-Rezeptoren, sodass sie potenzielle Angriffsziele von SARS-CoV-2 sind. Eine infektionsbedingte Funktionsstörung könnte zu einem neu aufgetretenen Diabetes führt und bei DiabetikerInnen das Risiko für Hyperglykämie und diabetische Ketoazidose erhöhen.
Der DPP-4 Rezeptor wird von MERS-CoV als Eintrittspforte genutzt und DPP-4-Antiköprer scheinen diese Corona-Infektion unterdrücken zu können. Ob dies auch bei SARS-CoV-2 eine Rolle spielt ist noch nicht abschließend geklärt.
Auch ein möglicher Einfluss von bei Diabetes häufig eingesetzten Medikamenten wird diskutiert:
SGLT-2-Inhibitoren: Diese Medikamentengruppe könnte aus verschiedenen Gründen den Verlauf einer schweren COVID-19-Erkrankung positiv beeinflussen. Durch Förderung von Diurese und Natriurese werden Herz und Lunge entlastet, die myokardiale und renale Funktion wird durch Umstellung auf einen energieeffizienteren Metabolismus gefördert und die Medikamente haben antiinflammatorische Effekte. Ob dies auch tatsächlich der Fall ist, wird zurzeit in einer Phase-III-Studie mit Dapagliflozin (10 mg/d) bei COVID-19-Erkrankten mit und ohne Diabetes untersucht.
Sorge bereitet allerdings das erhöhte Risiko für eine Ketoazidose unter SGLT-2-Hemmern, das bei COVID-19 ohnehin schon erhöht ist, sowie eine mögliche Hochregulation von ACE2-Rezeptoren.
DPP-4-Inhibitoren: Zurzeit gibt es keine klinischen Daten zu einem möglichen Einfluss dieser Substanzgruppe auf den Verlauf von COVID-19 – eine retrospektive Fall-Kontrollstudie und eine offen randomisierte Studie mit Linagliptin sind aber auf dem Weg.
GLP-1-Analoga: Diese Substanzgruppe könnte sich über zwei Wege positiv auf eine COVID-19-Erkrankung auswirken. Zum einen könnten diese Substanzen zu einer Herunterregulierung der ACE2-Rezeptoren im kardiopulmonalen System und in der Leber führen – zum anderen verbessern sie die allgemeine metabolische Gesundheit mit Reduktion der endovaskulären Inflammation. Entsprechende Studien gibt es aber bisher nicht.
Unter dem Strich weiß man somit noch relativ wenig über den spezifischen Einfluss der einzelnen Antidiabetika auf den Verlauf von COVID-19. Entsprechende klinische Studien mit den verschiedenen Substanzklassen wären hier wünschenswert, schreiben die AutorInnen.
Quelle:
David M. Williams et al; Diabetes and Novel Coronavirus Infection: Implications for Treatment; Diabetes Ther (2020); online first; https://doi.org/10.1007/s13300-020-00858-2
https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC7357277/pdf/13300_2020_Article_858.pdf