Niedrigere versus höhere Grenzwerte für die Diagnose eines Schwangerschaftsdiabetes
Strengere glykämische Kriterien für Schwangerschaftsdiabetes führten in einer großen randomisierten Studie zwar zu mehr Diagnosen, aber änderten nichts an der Zahl der für ihr Gestationsalter zu großen Neugeborenen (LGA).
Strengere oGTT-Grenzwerte beeinflussen Outcomes im Durchschnitt nicht
- Die Anwendung niedrigerer glykämischer Kriterien für die Diagnose eines Schwangerschaftsdiabetes führte nicht zu einer geringeren Rate hypertropher Neugeborener (LGA, large for gestational age) als die Anwendung höherer glykämischer Kriterien
- die Anwendung strengerer Grenzwerte ging mit erhöhter Inanspruchnahme von Ressourcen der Gesundheitsversorgung einher
Wahrscheinlichkeit für Komplikationen oder zu große Neugeborene durch engere glykämische Kriterien nicht niedriger
Bei 4.061 Frauen wurde in Schwangerschaftswoche 24–32 ein oraler 75-Gramm-Glukose-Toleranztest (oGTT) durchgeführt. Nach dem Zufallsprinzip wurden sodann 2.022 von ihnen anhand der niedrigeren IADPSG-Kriterien und 2.039 anhand der höheren in der HAPO-Studie verwendeten Kriterien bewertet. Nach den niedrigeren Kriterien erhielten die Mütter die Diagnose Schwangerschaftsdiabetes bei einem Nüchternplasmaglukosespiegel von mindestens 92 mg/dl (≥5,1 mmol pro Liter), einem 1-Stunden-Wert von mindestens 180 mg/dl (≥10,0 mmol pro Liter) oder einem 2-Stunden-Wert von mindestens 153 mg/dl (≥8,5 mmol pro Liter). Das höhere glykämische Kriterium war ein Nüchternblutzucker von mindestens 99 mg/dl (≥5,5 mmol pro Liter) oder ein 2-Stunden-Wert von mindestens 162 mg/dl (≥9,0 mmol pro Liter).
Die Anwendung der niedrigeren glykämischen Grenzwerte führte erwartungsgemäß zu mehr Diagnosen eines Schwangerschaftsdiabetes (15,3% vs. 6,1%), daher war die Inanspruchnahme von medizinischen Ressourcen in dieser Gruppe auch größer, einschließlich der Häufigkeit einer Geburtseinleitung, Diabetesmanagement, Pharmakotherapie zur Blutzuckerkontrolle und Behandlung neonataler Hypoglykämien.
Zu letzterem Punkt merkte das neuseeländische Forschungsteam an, dass es sich möglicherweise um einen indirekten Effekt handeln könnte, dass also in dieser Gruppe schlicht mehr Hypoglykämien erkannt wurden, da Babys von Müttern mit Schwangerschaftsdiabetes häufiger darauf untersucht werden. Ob diese Vermutung korrekt ist, kann das Design der Studie leider nicht beantworten. "Eine neonatale Hypoglykämie ist mit einer späteren nachteiligen neurologischen Entwicklung assoziiert, sodass weitere Nachbeobachtung erforderlich ist, um herauszufinden, ob diese Erkennung und Behandlung langfristig zu einem Nutzen oder Schaden führt", schreibt das Team in seiner Publikation im New England Journal of Medicine.2
Das Risiko für die Geburt eines großen Babys (LGA, def. als Geburtsgewicht über der 90. Perzentile) unterschied sich insgesamt nicht zwischen den Gruppen (8,8% unter niedrigeren Kriterien vs. 8,9% unter höheren). Auch andere kindliche Messwerte fielen in der Gruppe mit den niedrigeren Blutzuckerkriterien nicht geringer aus als in der Gruppe mit den höheren Blutzuckerkriterien. Dasselbe galt für Komplikationen beim Kind oder bei der Mutter.
Potenzieller Nutzen nur für Frauen mit mildem Schwangerschaftsdiabetes
Eine Ausnahme bildete die Gruppe von Frauen, deren oGTT-Resultate nach den niedrigeren Kriterien, nicht aber nach den höheren, zur Diagnose Gestationsdiabetes führen würden.
In einer vordefinierten Subgruppenanalyse zeigte sich, dass diejenigen, die in diesem Zwischenbereich die Diagnose und gezielte Betreuung für Schwangerschaftsdiabetes erhielten (195 Frauen in der IADPSG-Gruppe), im Vergleich zu Frauen, die nicht behandelt wurden (178 Frauen in der HAPO-Gruppe), signifikant weniger LGA-Säuglinge zur Welt brachten (6,2% vs. 18%). Auch hinsichtlich des Risikos für Makrosomie und Schulterdystokie war hier ein Vorteil zu sehen und die Mütter selbst profitierten ebenfalls von der Diagnose: Sie hatten eine geringere Gewichtszunahme während der Schwangerschaft und eine niedrigere Präeklampsierate als die Frauen, die keine Diagnose erhielten.2 Die NNT (number needed to treat), um ein hypertrophes Neugeborenes zu verhindern, lag in dieser Subgruppe bei nur vier.
Zukünftige Langzeitdaten sollen längerfristige gesundheitliche Vor- oder Nachteile bei Müttern oder Kindern weiterführend untersuchen. "Letztendlich hat die Diagnose eines Schwangerschaftsdiabetes bei mehr Frauen aufgrund der Anwendung der niedrigeren Blutzuckerkriterien in dieser Studie die Outcomes für die Mütter oder ihre Säuglinge weder verbessert noch verschlechtert. Die perfekte Grenze für die Diagnose von Schwangerschaftsdiabetes muss erst noch gezogen werden", resümiert Prof. Michael Greene von der Abteilung für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität Harvard in einem begleitenden Editorial.3,4
- Crowther, C. A. et al. Lower versus Higher Glycemic Criteria for Diagnosis of Gestational Diabetes. New England Journal of Medicine 387, 587–598 (2022).
- Pros and cons with lower vs higher threshold for gestational diabetes diagnosis. diabetes.medicinematters.com https://diabetes.medicinematters.com/gestational-diabetes/diagnosis/iadpsg-versus-hapo-gestational-diabetes-criteria/23369866 (2022).
- No Difference in Outcomes with Lower Glycemic Threshold for Diagnosing Gestational Diabetes. Endocrinology Network https://www.endocrinologynetwork.com/view/no-difference-in-outcomes-with-lower-glycemic-threshold-for-diagnosing-gestational-diabetes.
- Greene, M. F. Drawing the Line on Glycemia in Pregnancy. New England Journal of Medicine 387, 652–654 (2022).
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