Das kardiovaskuläre Risiko bei PatientInnen mit Diabetes wird durch eine Reihe Komorbiditäten bestimmt. Besonders häufig kommt es zu Nierenfunktionsstörungen und mikro- sowie makrovaskulären Ereignissen. Sollte aber jeder Diabetespatient auf kardiovaskuläre Risiken gescreent werden?
Eine 71-jährige Frau stellt sich in Ihrer Praxis vor. Sie leidet unter Hypertonie, Hyperlipidämie sowie einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus. Der BMI beträgt 29 kg/m2. Darüber hinaus leidet die Patientin unter einer schweren peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, unter wiederholten Angina pectoris-Anfällen und erlitt bereits vor Jahren einen leichten Schlaganfall.
Auffällig ist darüber hinaus die eingeschränkte Nierenfunktion mit Kreatinin = 1,71 mg/dl, eGFR = 29 ml/min/1,73 m2 und einer Albuminurie von 150 mg/24 h. Die Blutglukose liegt bei 100 mg/dl und einem HbA1C von 8,6%. In der Einzelphotonen-Emissionscomputertomographie (kurz SPECT) des Herzens fanden sich zudem nekrotisierte sowie anterolaterale ischämische Bereiche.
Die Patientin nimmt aufgrund ihrer zahlreichen Komorbiditäten bis zu neun verschiedene Medikamente ein, gehört also in die Gruppe der "fragilen" PatientInnen mit Polymedikation.
Aufgrund der Ischämie im Zusammenspiel mit der reduzierten Nierenfunktion wurde die Patientin in den Kontrollarm der ISCHEMIA CKD Studie eingeschlossen. Jedoch kam es nach fünf Monaten zu wiederauftretenden Symptomen. Die Angiographie zeigte koronare Beeinträchtigungen, weshalb eine operative Revaskularisierung vorgeschlagen wurde. So erhielt die Patientin eine Koronararterien-Bypass-Chirurgie (CABG), da bei dieser im Vergleich zur PCI eine geringere 4-Jahres-Mortalität beobachtet wurde (16,4% versus 58%). Nach der Revaskularisierung verbesserte sich auch die Nierenfunktion anfangs wieder etwas.
Ein Fall wie die vorgestellte 71-jährige Diabetikerin ist aufgrund der hohen Komorbiditätslast und dem daraus resultierenden kardiovaskulären Risiko nicht einfach zu beurteilen. Sollte aber in regelmäßigen Abständen bei solchen PatientInnen nach mikro- und makrovaskulären Störungen gescreent werden? Im ersten Moment ja, denn dadurch lässt sich ein Risiko sehr viel früher erkennen. Doch ist ein solcher Befund letztlich therapieverändernd? Was schlagen die aktuellen Leitlinien in solchen Fällen vor?
Gerade dann, wenn die PatientInnen keine oder nur sehr geringe Symptomatiken zeigen, gibt es nur wenige Daten zum weiteren klinischen Vorgehen. Darüber hinaus sind aufgrund der Begleitumstände multidisziplinäre Teams Grundvoraussetzung, um PatientInnen richtig zu überwachen. Diabetes-PatientInnen sollten jedoch in jedem Fall einen regelmäßigen Test auf Mikroalbuminurie erhalten, um rechtzeitig mögliche Veränderungen in der Nierenfunktion zu erfassen (IB). Zudem wird ein Ruhe-EKG empfohlen bei zusätzlich auftretender Hypertonie oder bei Verdacht auf kardiovaskuläre Erkrankungen (IC), um beispielsweise stumme Herzinfarkte oder Arhythmien zu erkennen. Weitergehende Diagnostik-Methoden, wie Arterien-Ultraschall oder CT, erreichen aufgrund fehlender Datenbasis sehr viel schwächere Empfehlungsgrade von IIa oder IIb.
Ferner wird das Screening für asymptomatische kardiovaskuläre Erkrankungen bei asymptomatischen PatientInnen mit Diabetes mellitus sehr kontrovers diskutiert. Die American Diabetes Association empfiehlt beispielsweise kein generelles Screening auf koronare Herzkrankheit für PatientInnen mit Diabetes (A). Ein solches Screening könnte jedoch angeboten werden in Fällen von atypischen kardialen Symptomen, Anzeichen für kardiovaskuläre Erkrankungen sowie nach Schlaganfall, EKG-Abnormalitäten oder ischämischen Attacken (E).
Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie (ESC) definiert zudem drei Risikogruppen für DiabetikerInnen mit Blick auf kardiovaskuläre Risiken:
Wichtig ist darüber hinaus, dass das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse mit dem Grad der Nierenfunktionsstörung immer weiter zunimmt.
Nach wie vor gibt es noch zu wenige Daten, die zeigen würden, dass jeder Diabetiker mit Nierenfunktionseinschränkung einer Bildgebung zur Darstellung kardiovaskulärer Erkrankungen bedarf. Aufgrund der derzeit verfügbaren Leitlinien ist eher an ein individualisiertes Setting zu denken, bei dem es in jedem Fall nicht mehr vorrangig um die Glykoreduktion gehen, sondern vermehrtes Augenmaß vor allem auch auf Ereignisse gelegt werden sollte. Es geht dabei darum, die Abnahme der Nierenfunktion zu verlangsamen.
Hilfreich können die neuen SGLT2-Inhibitoren sein, denn diese schützen DiabetikerInnen, wie Studien belegen, zusätzlich vor einem erhöhten Risiko für das Herzversagen und schonen die Nierenfunktion. Damit bieten diese neuen Medikamente nicht nur eine Möglichkeit der glykämischen Kontrolle bei Diabetes, sondern sind ebenso Mittel zur Prävention von Herzversagen und verlangsamen die Entstehung von Nierenfunktionsstörungen.
Quelle: Guidelines in Practice - My Patient with Diabetes and Chronic Kidney Disease - Should I Be Looking for Macrovascular Disease? ESC 2020 (virtual)