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Diabetische Polyneuropathie: Wie gut läuft die Erkennung in der Praxis?

Wird in der Praxis regelmäßig und systematisch auf das Vorliegen einer diabetischen Polyneuropathie gescreent? Es gibt noch Luft nach oben, sagt eine aktuelle Erhebung aus Deutschland.

Die klinischen Folgen der diabetischen Polyneuropathie werden häufig unterschätzt 

Distale sensorische Polyneuropathien werden oft erst spät erkannt und unzureichend behandelt

Laut Daten der Querschnittsstudie PROTECT bleiben schmerzhafte oder schmerzlose distale sensorische Polyneuropathien (DSPN) bei 57% respektive 82% der Typ-2-Diabetiker unerkannt.2 Die Intensität der Symptome nahm bei etwa der Hälfte der Befragten mit Diabetes im Laufe von 2,5 Jahren zu (Parästhesien und Taubheitsgefühle nahmen bei 49% zu, Brennen und Schmerzen in den Füßen bei 56%). Doch ein Drittel erhielt keine Pharmakotherapie für diese Symptome.3

Eine aktuelle Querschnittserhebung unter 574 Allgemeinmedizinern, Internisten und Diabetologen in 13 Bundesländern in Deutschland untersuchte, wie sie distale sensorische Polyneuropathien (DSPN) erfassen – insbesondere welche Instrumente, Scoring-Systeme und spezifischen Testverfahren sie verwenden.4
Das Ergebnis: trotz relativ hoher Screening-Raten orientierten sich die Ärzte wenig an Leitlinien und verwendeten selten standardisierte Testverfahren, Fragebögen oder Scores.

Diskrepanzen zwischen theoretischen Leitfäden und praktischer Anwendung

Die überwiegende Mehrheit (87%) der Befragten gab an, mindestens einmal im Jahr ein Screening auf DSPN durchzuführen und 65% untersuchten die Füße von DSPN-Patienten mindestens zweimal im Jahr. Allerdings verwendeten nur 28% bzw. 20% der Befragten Fragebögen oder Neuropathie-Scores, um den Schweregrad der neuropathischen Symptome zu bewerten und der Anteil der Befragten, die angaben, dass sie keine standardisierte Untersuchung durchführen, betrug 41% für das Vibrationsempfinden, 73% für das Druckempfinden, 77% für das Schmerzempfinden und 66% für das Wärmeempfinden. Um DSPN zu diagnostizieren oder auszuschließen, orientierte sich nur die Hälfte der Ärzte an Leitlinien.

Eine frühere Erhebung zum Polyneuropathie-Screening berichtete, dass 30%, 39%, 41% und 80% der Hausärzte in Frankreich, dem Vereinigten Königreich, Spanien und Deutschland neurologisch untersuchten. Dabei führten 16%, 9%, 20% und 15% Monofilament-Tests sowie 1%, 3%, 5% und 43% Tests des Vibrationsempfindens durch. Andere Tests, wie die Prüfung der Sehnenreflexe, der Pinprick-Test und die Prüfung der Wärmeempfindung, wurden in Frankreich, dem Vereinigten Königreich und Spanien extrem selten angewendet (0–2%), in Deutschland jedoch häufiger (7%, 4% und 19%).5

Leitlinien werden von vielen als nicht alltagsfähig empfunden

Nun sind diese Statistiken mit einer gewissen Vorsicht zu betrachten, da sie auf Selbstauskünften basieren. Doch einer der Hauptgründe für die oben genannte Kluft zwischen Empfehlungen und deren Umsetzung dürfte in notorischem Zeitmangel liegen. In einer kürzlich durchgeführten Umfrage unter deutschen Hausärzten äußerten 43%, dass sie die Umsetzung der Leitlinien als kompliziert empfanden und 59% waren der Meinung, dass diese die Handlungsfreiheit der Ärzte einengen.6 Die zugehörige Publikation in der Zeitschrift für Allgemeinmedizin sprach sich für die Sicherstellung einer einfachen Anwendbarkeit, Reduzierung der Komplexität, Bereitstellung eines angemessenen medizinischen Handlungsspielraums, Delegationsmöglichkeiten an andere Mitarbeiter und Einbeziehung der Hausärzte in den Leitlinienentwicklungsprozess aus.4,6
 

Weitere Informationen aus der Diabetologie: 

Quellen:
  1. 1. Ziegler, D. et al. Screening, diagnosis and management of diabetic sensorimotor polyneuropathy in clinical practice: International expert consensus recommendations. Diabetes Res Clin Pract 186, 109063 (2022).
  2. 2. Ziegler, D. et al. Painful and painless neuropathies are distinct and largely undiagnosed entities in subjects participating in an educational initiative (PROTECT study). Diabetes Res Clin Pract 139, 147–154 (2018).
  3. 3. Ziegler, D. et al. Polyneuropathy is inadequately treated despite increasing symptom intensity in individuals with and without diabetes (PROTECT follow-up study). J Diabetes Investig 11, 1272–1277 (2020).
  4. 4. Ziegler, D. et al. Screening and diagnosis of diabetic polyneuropathy in clinical practice: A survey among German physicians (PROTECT Study Survey). Primary Care Diabetes 16, 804–809 (2022).
  5. 5. Garcia-Klepzig, J. L. et al. Perception of diabetic foot ulcers among general practitioners in four European countries: knowledge, skills and urgency. J Wound Care 27, 310–319 (2018).
  6. 6. Wangler, J. & Jansky, M. Leitlinienorientierung von Allgemeinmedizinern - Eine explorative Befragung zu Akzeptanz, Einstellungen und Erfahrungen in Bezug auf hausarztbasierte Leitlinien. ZFA - Zeitschrift für Allgemeinmedizin 96, 311–316 (2020).

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