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Diabetes ist nicht gleich Diabetes: Brauchen wir neue Subtypen?

Typ-1, Typ-2, LADA, und dann noch ein paar Spezialfälle: So sieht die aktuelle Klassifikation des Diabetes aus. Doch der Komplexität der Erkrankung wird sie wohl kaum gerecht.

Welche Subtypen werden aktuell diskutiert?

  1. SAID: schwerer Autoimmundiabetes
  2. SIDD: Insulinmangeldiabetes ohne Auto-Antikörper
  3. SIRD: schwerer insulinresistenter Diabetes 
  4. MOD: milder adipositasassoziierter Diabetes
  5. MARD: milder altersassoziierter Diabetes 

Welche Variablen liegen der Einteilung zugrunde?

Die Einteilung geht auf eine viel beachtete skandinavische Studie aus dem Jahr 2018 zurück, die seither weltweit mehrfach repliziert wurde. Ziel der Forscher war es, anhand einfach zu bestimmender Variablen verschiedene Krankheitsentitäten zu identifizieren. Folgende 6 Variablen wurden herangezogen:

Aus Typ 1 und 2 werden 5 Cluster

Anhand dieser Parameter wurden verschiedene Konstellationen abgeleitet. Das Ergebnis waren die oben aufgeführten 5 Cluster. Auf sie lohnt sich ein genauerer Blick:

Cluster 1 (SAID), gekennzeichnet durch Auto-Antikörper und einen hohen HbA1c, entspricht dem klassischen Typ-1-Diabetes (T1D) inklusive LADA. Interessant ist Cluster 2 (SIDD), das ebenfalls einen hohen HbA1c aufweist bei gleichzeitig reduzierter Insulinsekretion – entsprechend T1D –, aber ohne Antikörper. Es handelt sich also um einen Insulinmangeldiabetes ohne Autoimmunphänomene. Diese Gruppe gehört heute dem Sammelbegriff des Typ-2-Diabetes (T2D) an und wird entsprechend „unspezifisch“ behandelt.

Bei Cluster 3 (SIRD) besteht eine ausgeprägte Insulinresistenz, die mit einer erhöhten Insulinsekretion einhergeht. Hierzu gehören die typischen Metaboliker mit Übergewicht, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörung. In Cluster 4 und 5 fallen sogenannte "milde" Verlaufsformen des Diabetes, die entweder mit Übergewicht (MOD) oder dem Alter (MARD) assoziiert sind.

Welche klinische Relevanz hat die Einteilung in Subgruppen?

So weit, so gut. Doch ist die Einteilung über eine rein akademische Systematisierung hinaus praktisch relevant? Für den Kliniker stellt sich letztlich die Frage, welche seiner Patienten welche Komplikationen bekommen könnten und wie sie am besten behandelt werden sollten. Ob die Cluster dabei weiterhelfen, zeigen Daten aus der direkten Krankenversorgung. Dabei wurde verfolgt, welche Komplikationen die unterschiedlichen Gruppen entwickeln – mit eindrücklichen Ergebnissen. So war das Risiko für eine Nephropathie ebenso wie für eine KHK im Cluster 3 (Metaboliker) besonders hoch. Eine Retinopathie und eine periphere Neuropathie entwickelten v.a. Patienten aus Cluster 2 (bisher im großen Topf T2D). Die Mortalität wiederum war bei der sogenannten "milden" Form des altersassoziierten Diabetes (Cluster 5) besonders hoch, beim adipositasassoziierten Cluster 4 dagegen niedrig.

Frühe Insulintherapie beim "Typ-2-Diabetiker"?

Das Hauptziel bei der Behandlung des Diabetes mellitus ist heute weniger die Blutzuckerkontrolle, als vielmehr die Vermeidung von Komplikationen. Dabei kann die Einteilung in verschiedene Subtypen mit jeweils unterschiedlichen Therapieschwerpunkten sinnvoll sein. So könnten z.B. Patienten mit Insulinmangeldiabetes ohne Antikörper (Cluster 2) ggf. von einer frühen Insulintherapie analog dem Typ-1-Diabetes profitieren. Bis es so weit ist und die vorgeschlagene Differenzierung der Diagnose Diabetes in der klinischen Praxis umgesetzt wird, sind allerdings noch weitere prospektive randomisierte Studien nötig.
 

Quelle:

Heni, Martin (Ulm): Neue Subtypen bei Diabetes mellitus. Session Neue Subtypen in der Diabetologie, DGIM Kongress 2024, Wiesbaden, 13.-16.04.2024.