Mutterschutz in operativen Disziplinen: eine knifflige Angelegenheit?
Im Herbst erschien ein fächerübergreifendes Konsensuspapier „Operative Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit“.
Arbeitsplatzgestaltung von Schwangeren im Fokus
- Die neue Broschüre beinhaltet u. a. Positivlisten für 14 operativ tätige Fächer sowie Informationen zum Mutterschutz und klassischen Risikothemen wie Infektions- und Strahlenschutz
- Daneben erscheint auch der Abbau von Stress und Arbeitsverdichtung als wichtige Voraussetzung für einen schwangerschaftsfreundlichen Arbeitsplatz
- Sowohl physischer als auch psychischer Stress am Arbeitsplatz begünstigt durch negative Auswirkungen auf Wachstum und Entwicklung des Feten Schwangerschaftskomplikationen, einschließlich eines erhöhten Risikos für Fehlgeburten, vorzeitige Wehen und Frühgeburten.2
Was beinhaltet das Konsensuspapier „Operative Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit“?
Der umfangreiche Leitfaden richtet sich an Arbeitgeber und Ärztinnen, die schwanger sind oder es werden möchten. Er beinhaltet einleitend Informationen zum Mutterschutz sowie kurze Kapitel zu Strahlenschutz, Infektionsschutz und Narkoseführung. Knapp die Hälfte der Publikation (23 von 50 Seiten) gilt der Auflistung von Eingriffen, welche die jeweiligen Fachgesellschaften für Schwangere unter Einhaltung von Schutzmaßnahmen als unbedenklich eingestuft haben. Solche Positivlisten liegen für 14 chirurgische Fächer vor: Dermatologie, Gefäßchirurgie, Gynäkologie/Geburtshilfe, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Herzchirurgie, Kinderchirurgie, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Neurochirurgie, Ophthalmochirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie, Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, Thoraxchirurgie, Urologie, Viszeralchirurgie.3
In der Einleitung heißt es, betriebliche Beschäftigungsverbote würden oftmals ohne nachvollziehbare Begründung ausgesprochen und hätten weitreichende individuelle und sozioökonomische Konsequenzen. Für die Schwangeren verlängere sich einerseits die Weiterbildungszeit, andererseits verlören Kliniken in Zeiten beständig zunehmenden Fachkräftemangels gut ausgebildete Ärztinnen.4 Laut einer Pressemitteilung des Projekts „OPidS“ (Operieren in der Schwangerschaft) verfolgt das Konsensuspapier folgende Ziele:
- Unsicherheiten und Fehlinformationen abbauen sowie Weiterbildungs- und Karrieremöglichkeiten fördern, indem pragmatische Handlungsempfehlungen gegeben werden.
- Diskriminierung reduzieren und Förderung von Frauen in der Chirurgie stärken.
- Beschäftigung und Weiterbildung hochqualifizierter Chirurginnen sicherstellen und so die Patientenversorgung auch langfristig aufrechterhalten.3
Der Herausgeber des Konsensuspapiers, die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), wünscht sich eine schnelle Umsetzung.3
Herausforderungen für einen „schwangerschaftsfreundlichen“ Arbeitsplatz
Zu einem wirklich schwangerschaftsfreundlichen Arbeitsplatz gehören viele Faktoren, die in Fachpresse und Studien unterschiedlich diskutiert werden. In Verbindung mit dem unbestrittenen Status der Arbeit in der Medizin als belastend und stressig ist die Schwangerschaft eine einzigartige Zeit, in der die Mutter und das ungeborene Kind einem Risiko für schädliche Folgen ausgesetzt sein können.2
So sind etwa Überstunden und Nachtschichten mit einem höheren Risiko einer Fehlgeburt assoziiert als normale Arbeitszeiten am Tag.5 In einer Kohorte von 408 Ärztinnen waren Fehlgeburten und Risikoschwangerschaften häufiger als in einer weiteren Kohorte von (nach Alter und Wohnort gematchten) berufstätigen Frauen.6 Dies wurde später durch eine größere Erhebung an 3.039 Ärztinnen bestätigt: Im Vergleich zu einer repräsentativen Stichprobe der Allgemeinbevölkerung erlebten Ärztinnen häufiger ein Intervall bis zur erfolgreichen Konzeption von mehr als einem Jahr (18,4 % vs. 9,8 %), trugen mehr Risikoschwangerschaften aus (26,3 % vs. 16,3 %), unterzogen sich häufiger einer Therapie wegen Fertilitätsproblemen (8,5 % vs. 3,4 %) und erlitten häufiger Fehlgeburten (20,8 % vs. 14,6 %).7
Besondere Bedingungen in operativen Disziplinen
Zu den konkreten Risiken gehen die Zahlen in der Literatur auseinander. Eine Studie aus Nordamerika berichtete beispielsweise eine Verdreifachung der Rate an Fehlgeburten unter Assistenzärzten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung (11,8 % vs. 4,2 %), wobei die befragten Ärztinnen überwiegend aus chirurgischen Disziplinen stammten.8 Auch von Komplikationen wie Schwangerschaftshypertonus, Plazentaablösung oder intrauterinen Wachstumsstörungen waren die Ärztinnen häufiger betroffen.
Hierbei interessant: Geburtshilfliche Komplikationen traten bei denjenigen Assistenzärztinnen signifikant seltener auf, die pro Woche weniger als acht Stunden im Operationssaal arbeiteten (8,9 % vs. 41,7% bei jenen, die mehr als acht Stunden pro Woche im OP arbeiteten).
Noch eine Anmerkung zur Anästhesie: Zwar haben sich unter anderem die Technologien zum Management der Narkoseabgase weiterentwickelt, dennoch gibt es Hinweise dafür, dass es bei stark exponierten Fachpersonal vermehrt zu Infertilität und Fehlgeburten kommen kann.9 Bis zur abschließenden Klärung empfiehlt auch das oben genannte Konsenspapier, auf Narkosegase zu verzichten, wenn eine schwangere Kollegin im OP arbeitet und empfiehlt, Eingriffe in totaler intravenöser Anästhesie (TIVA) oder Lokal-/Regionalanästhesie durchzuführen. Bei den Anästhesistinnen selbst sind Spontanaborte und Geburtsfehler häufiger, wenn sie im ersten Trimester der Schwangerschaft im OP arbeiten. Sowohl weibliche Anästhesisten als auch die Ehefrauen männlicher Anästhesisten weisen ein höheres Risiko für eine Fehlgeburt im ersten Trimester auf als die Allgemeinbevölkerung.10
Unterstützungsangebote ausbauen und Ärztinnen ermutigen, diese zu nutzen
Die Einstufung, was eine „unverantwortbare Gefährdung“ darstellt, kann unter Umständen schon nicht ganz einfach sein. Noch diffiziler dürfte es sein, den „Summeneffekt“ der typischen Arbeitswochen in einer Klinik im Ganzen, über einzelne OPs oder Eingriffe hinaus, nicht aus den Augen zu verlieren.
In einem sehr lesenswerten Beitrag einer kanadischen Kollegin thematisiert diese, welcher Druck und welche Ängste Ärztinnen zuweilen davon abhalten, eine Schwangerschaft rechtzeitig bekannt zu geben und um erforderliche Anpassungen ihrer Aufgaben oder ihres Arbeitsplatzes zu bitten.5
Eine Überkompensation von wahrgenommenen Einschränkungen, Schuldgefühle (den Kollegen nicht zur Last fallen wollen) etc. können möglicherweise mehr zu einem ungünstigen Schwangerschaftsverlauf beitragen als einzelne Tätigkeiten per se.2
Dazu ist anzumerken, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen Burnout und der Entwicklung von Fertilitätsstörungen beschrieben ist. Burnout ist nachweislich ein wichtiger Risikofaktor für Risikoschwangerschaften und Fehlgeburten und wirkt sich negativ auf den Schwangerschaftsverlauf aus.7
In einer Umfrage unter 550 Ärztinnen an der US-amerikanischen Duke University berichteten erstaundliche 51 % eine Fehlgeburt durchlebt zu haben, zwei Drittel der Befragten wussten nicht, dass es Unterstützungssysteme gebe und auch konkrete arbeitsplatzbezogene Vorkehrungen für die Frühschwangerschaft waren weitgehend unbekannt. Mehrere Betroffene sagten, dass sie niemandem von ihren Fehlgeburten erzählt hatten, selbst wenn diese während der Dienstzeit passiert waren.5
Insgesamt ist es daher begrüßenswert, dass eine Diskussion über diese Themen weiter angestoßen wird.
- Höhl, R. Schwangere Ärztinnen: Wie sich das Arbeitsverbot umgehen lässt. InFo Hämatol Onkol 27, 65–65 (2024).
- Zacher, R. Maternal wellbeing and pregnancy outcomes in anaesthetic trainees. Anaesth Intensive Care 47, 326–333 (2019).
- „Operative Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit“: Fächerübergreifendes Konsensuspapier ab sofort erhältlich. https://www.opids.de/aktuelles/news/detail/operative-taetigkeiten-in-schwangerschaft-und-stillzeit-faecheruebergreifendes-konsensuspapier-ab-sofort-erhaeltlich (2024).
- Operative Tätigkeiten in Schwanger· schaft und Stillzeit. https://dgou.de/fileadmin/OPidS/Dokumente/F%C3%A4cher%C3%BCbergreifender_Konsens_in_der_Chirurgie_operative_T%C3%A4tigkeiten_in_Schwangerschaft_und_Stillzeit.pdf.
- Glauser, W. Is the culture of medicine contributing to miscarriages among female physicians? CMAJ 191, E1229–E1230 (2019).
- Zs, Győrffy. ‘Licence to health: Morbidity and stress predictors among female Hungarian physicians.’ Budapest: Emberi Jogok Magyar Központja Közalapítvány (2010).
- Győrffy, Z., Dweik, D. & Girasek, E. Reproductive health and burn-out among female physicians: nationwide, representative study from Hungary. BMC Womens Health 14, 121 (2014).
- Behbehani, S. & Tulandi, T. Obstetrical Complications in Pregnant Medical and Surgical Residents. Journal of Obstetrics and Gynaecology Canada 37, 25–31 (2015).
- CDC. About Anesthetic Gases and Reproductive Health. Reproductive Health and The Workplace https://www.cdc.gov/niosh/reproductive-health/prevention/anesthetic-gases.html (2024).
- Nagella, A. B., Ravishankar, M. & Hemanth Kumar, V. Anaesthesia practice and reproductive outcomes: Facts unveiled. Indian J Anaesth 59, 706–714 (2015).
- Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU). (n.d.). Fächerübergreifender Konsens in der Chirurgie: Operative Tätigkeiten in Schwangerschaft und Stillzeit. Abgerufen am [Datum], von https://dgou.de/fileadmin/OPidS/Dokumente/F%C3%A4cher%C3%BCbergreifender_Konsens_in_der_Chirurgie_operative_T%C3%A4tigkeiten_in_Schwangerschaft_und_Stillzeit.pdf