Prof. Schlenstedt: Gang- und Gleichgewichtsstörungen sind für die Erkrankten relevante Symptome, da sie die Betroffenen in ihrer Mobilität und Unabhängigkeit beeinträchtigen. Da die medikamentöse Behandlung bei diesen Symptomen zum Teil unzureichend wirkt, spielt gerade bei der Therapie von Gang- und Gleichgewichtsstörungen Sport und Bewegung eine sehr wichtige Rolle. Beispielsweise konnte durch Übersichtsarbeiten mit Meta-Analysen gezeigt werden, dass sich durch regelmäßiges Laufbandtraining die Ganggeschwindigkeit, welche auch ein Indikator für die Gangsicherheit ist, signifikant und klinisch relevant verbessern lässt. Aber auch andere Interventionen wie zum Beispiel Tai Chi können zu einer signifikanten Verbesserung der Standstabilität bei M. Parkinson führen. Eine kürzlich veröffentlichte Meta-Analyse konnte auch die Reduzierung von Stürzen durch Sport bei M. Parkinson nachweisen.
Prof. Schlenstedt: Grundsätzlich kann sich auch ein Erkrankter mit M. Parkinson durch sportliches Training verbessern. Ob Sport und körperliche Aktivität die Krankheitsprogression verlangsamen, ist nicht klar bewiesen. Es gibt aber Studien, die darauf hindeuten.
Prof. Schlenstedt: Die Therapie sollte symptombezogen und personalisiert erfolgen. Bei starken Gangstörungen müssen die Übungen sicherheitshalber mit einer Therapeutin oder einem Therapeuten gemeinsam durchgeführt werden. Ein ausgeprägtes Freezing zählt beispielsweise zu den stärkeren Gangstörungen. Diese Gangblockaden lassen sich zum Teil durch das hinzugeben von sensorischen Hinweisreizen, dem sogenannten Cueing, effektiv therapieren. Dabei wird zum Beispiel durch einen visuellen Reiz am Boden, den der Betroffene versucht zu überschreiten, das Gangmuster initiiert.
Prof. Schlenstedt: Die Dosis-Wirkungs-Mechanismen sind bei M. Parkinson bislang nicht gut erforscht, weshalb sich diese Frage nicht klar beantworten lässt. Die meisten Interventionen werden 3x wöchentlich mit 45-60 Min. pro Einheit durchgeführt. Dies ist aber keine klare Trainingsempfehlung, sondern nur ein Anhaltspunkt. Auch sind Tendenzen sichtbar, dass ein gewisses Maß an höherer Intensität und Trainingshäufigkeit notwendig ist, damit Sport und Bewegung bei M. Parkinson überhaupt wirken.
Prof. Schlenstedt: Zunächst sollte die Bedeutung von Sport und Bewegung deutlicher kommuniziert werden. Den Betroffenen sollte klar sein, dass Sport und Bewegung keine ergänzende Therapie, sondern eine Hauptbehandlungssäule bei M. Parkinson darstellt. Dies sollte durch die verschiedenen Akteure (Ärztinnen und Ärzte, Therapeuten, Selbsthilfegruppen usw.) besser kommuniziert werden. Wichtig ist auch die Integration von Sport und körperlicher Aktivität in die alltägliche Routine. Die Entwicklung der Bewegungsapps, tragbaren Sensoren und Virtual-Reality kann zu einer Erhöhung des Sporttreibens beitragen.
Prof. Dr. habil. Christian Schlenstedt studierte Sportwissenschaft und Mathematik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau. 2020 habilitierte er sich zum Thema "Gangblockaden und weitere Gangstörungen bei der Parkinsonkrankheit – Diagnostik, Pathophysiologie und Therapie". Seit 2021 ist er Professor für Sportwissenschaft & Neurorehabilitation an der MSH Medical School Hamburg.
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