Molekulare Tumorboards: Nutzen und Risiken Logo of esanum https://www.esanum.de

Tipps und Tricks für das Molekulare Tumorboard

Molekulare Tumorboards bringen hohen Aufwand und große Erwartungen mit sich. Auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Senologie in Dresden diskutierten Experten wie Prof. Hans-Peter Sinn und Prof. Diana Lüftner über Nutzen und Risiken.

Molekulare Marker: Einzeltest, Panel oder Next Generation Sequencing?

Sollen wir molekulare Marker einzeln, in Kombination – einem sogenannten Panel- oder vielleicht gleich im ganzen Genom (Next Generation Sequencing = NGS) testen? Aus Sicht der Pathologen steht die molekulare Testung aus dem Blut ("liquid biopsy") im Vordergrund. Wie kommt die Tumor-DNA in das Blut? Sie kommt aus zugrunde gegangenen Tumorzellen, die ihre Erbsubstanz in kleinster Menge in das Blut abgeben. Immerhin wird dem Patient damit eine Biopsie erspart und auf molekularer Ebene das gesamte Tumorsubstrat, das nicht homogen ist, abgebildet. Somit können wir auch die Tumorheterogenität sehen. Viele Methoden erlauben es, bis zu 150 "hotspot"-Mutationen mit ggf. verfügbarer, zielgerichteter Therapie zu messen. Die Breite und Aussagekraft sind also sehr hoch.

ESCAT-Kriterien: Sinnhaftigkeit der molekularen Markerbestimmung

Die europäische Fachgesellschaft European Society of Medical Oncology (ESMO) wie auch die Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) der Deutschen Krebsgesellschaft haben ein Regelwerk für die Sinnhaftigkeit der Bestimmung molekularer Marker aufgestellt. Die sogenannten ESCAT-Kriterien (Scale for Clinical Actionability of Molecular Targets) geben in einer Abstufung von I (Nutzen der Therapie ist in klinischen Studien bewiesen) bis zu V (Interaktion von Arzneimittel und molekularem Marker ist mit einem Ansprechen verbunden, resultiert aber nicht in einem klinisch relevanten Nutzen). In den für das Mammakarzinom spezifizierten ESCAT-Kriterien werden folgende Marker als sinnvoll benannt: BRCA1/2, PALBB2, PIK3, MSI, NTRK, ESR1, PTEN, AKT1 und ERBB2-Mutationen. Diese Marker sollten für geeignete Patientinnen nach Aufklärung zum gegebenen Zeitpunkt bestimmt werden. Über diese Marker hinausgehende Sequenzierungen des gesamten Tumors (NGS) sollten bevorzugt in klinischen Studien/Registern durchgeführt werden, damit die Daten gesammelt werden und daraus neues Wissen gewonnen werden kann. "Unkontrolliertes Testen" und häufig damit verbundene unrealistische Erwartungen können auch Schaden mit sich bringen, wie zum Beispiel ein verspätetes Einleiten einer palliativmedizinischen Versorgung oder die sinnlose Inkaufnahme von Nebenwirkungen. Unter allen molekularen Markern stechen BRCA1/2 hervor. Die entsprechende zielgerichtete Therapie mit einem PARP-Inhibitor (Olaparib oder Talazoparib) ist mit einem erheblichen Nutzen für das progressionsfreie Überleben und für das Gesamtüberleben assoziiert – bei recht guter Verträglichkeit. Allerdings beträgt die Testtreue in Deutschland gerundet nur ein Drittel der Patientinnen, was mit einem erheblichen individuellen und auch epidemiologischen Schaden einhergeht, da nicht nur Patientinnen unter- und fehlbehandelt werden, sondern auch betroffene Familien unterdiagnostiziert werden.

Patientenvertretung: Aufklärung und Beteiligung in den Tumorboards

Der Ansatz der Patientenvertretung ist aufklärungsorientiert. Betroffene sind üblicherweise nicht sehr gut über die Existenz und die Aufgabe von Molekularen Tumorboards informiert. Hilfe bilden die Webseiten der nationalen Krebszentren und der Comprehensive Cancer Centers. Aus Sicht der Patientenvertretung ermöglichen Molekulare Tumorboards die Zuführung der Betroffenen zu zielgerichteten Therapien. Wichtig ist auch die Beteiligung von Patientenexperten in den Netzwerken der Molekularen Tumorboards, um Frauen besser über den klinischen Nutzen zu informieren. Forderung der Patientenvertretung ist, zusätzliche zielgerichtete Therapiemöglichkeiten für Tumorpatienten nach Ausschöpfung der leitliniengerechten Behandlung aufzuzeigen. Der Zugang muss durch den behandelnden Arzt erfolgen. Allerdings werden nur 30% der Empfehlungen umgesetzt. Es sollte "jeder Stein umgedreht werden". 

Off-Label-Use: Optionen und Herausforderungen  

Das Kompetenzzentrum Onkologie mit Sitz in Düsseldorf beschreibt die Option des Off-Label-Use, den Einsatz eines Medikamentes außerhalb der eigentlichen Zulassung, als möglich, sofern neue wissenschaftliche Daten vorliegen. Grundsätzlich sind die Angaben der Arzneimittelbehörden und Fachinformationen verbindlich. "Heilversuche" bei vorbehandelten Patientinnen gelten dann, wenn alle Behandlungsoptionen ausgeschöpft sind. Das Arzneimittelgesetz steht davor vor dem Leistungsrecht. Die Verordnung eines Medikamentes in einem von der Zulassung nicht umfassten Anwendungsgebiet kommt nur in Betracht, wenn eine schwerwiegende, lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt und weitere Faktoren erfüllt sind. Zeitdruck als Charakteristikum einer extremen Notfallsituation ist hierbei relevant. Die anzuwendende Methode muss eine positive Nutzen-Risiko-Relation aufweisen und es darf keine Alternativen geben, weiterhin muss eine hohe Wahrscheinlichkeit auf einen Behandlungserfolg bestehen. „Heilversuche“ dürfen natürlich nicht in Serien durchgeführt werden.

Off-Label-Use ist eine besonders verantwortliche, ärztliche Arbeit.  Aus ärztlich-regulatorischer Sicht wird dargestellt, dass Off-Label-Use häufiger als früher beantragt wird, obwohl – oder gerade weil – aktuell über 200 Substanzen in der Onkologie zugelassen sind. Ein Problem ist, dass pharmazeutische Hersteller sich auf häufige Erkrankungen fokussieren.  Insgesamt 90% der befragten Ärzte finden das Thema „Off-Label“ wichtig, sie sind im Alltag sehr damit beschäftigt. Entscheidungen sind regional und nach Kostenträgern unterschiedlich. Die DGHO hilft aktuell bei Einzelanträgen durch vorgefertigte Formulare bei 70 Indikationen in der Onkologie auf der Website der DGHO. 

Fazit: Bestimmung molekularer Marker in den Fokus rücken

Die frühe Bestimmung von molekularen Markern sollte sehr in den Vordergrund gestellt werden, um im Falle von Therapieentscheidungen die nötige Information bereits zur Hand zu haben. Zeitverluste durch zu späte Vorstellungen in Molekularen Tumorboards bei bereits eingeschränktem Allgemeinzustand der Betroffenen können den Zugang zur qualifizierten Palliativversorgung verzögern. Wichtig ist, die Verfügbarkeit der Begleit ("companion") - Diagnostik und der Arzneimittelzulassung zu synchronisieren. Dies ist eine der nächsten Aufgaben der Fachgesellschaften zusammen mit den politischen Gremien.

Über die Autorin Prof. Dr. Diana Lüftner

Prof. Dr. Diana Lüftner ist Direktorin der Immanuel Klinik Märkische Schweiz und parallel tätig an der Onkologischen Poliklinik des Campus Rüdersdorf der Medizinischen Hochschule Brandenburg. Ihr wissenschaftliches Interesse richtet sich vor allem an klinische Studien sowie die Systemtherapie des Mammakarzinoms in allen Stadien der Erkrankung, dabei insbesondere unter Berücksichtigung des Wissens molekularer Marker im zeitlichen Verlauf.