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Psychedelika: Paradigmenwechsel für die psychische Gesundheit?

Im öffentlichen Diskurs und in Teilen der wissenschaftlichen Literatur wird behauptet, psychedelische Therapien könnten die Psychiatrie und die psychiatrische Versorgung umgestalten und revolutionieren. Doch können Psychedelika diesem Anspruch wirklich gerecht werden? Darüber wurde auf der abschließenden Podiumsdiskussion am ersten Abend der INSIGHT 2021 debattiert.

Warum Psychedelika allein keine Lösung sind

Im öffentlichen Diskurs und in Teilen der wissenschaftlichen Literatur wird behauptet, psychedelische Therapien könnten die Psychiatrie und die psychiatrische Versorgung umgestalten und revolutionieren. Doch können Psychedelika diesem Anspruch wirklich gerecht werden? Darüber debattierten auf der abschließenden Podiumsdiskussion am ersten Abend der INSIGHT 2021 unter der Moderation von Dr. med. Andrea Jungaberle, Gründerin der MIND Foundation, Prof. Dr. med. Gerhard Gründer, Dr. Katrin Preller, Dr. Martha Havenith und Dr. Sc. Hum. Henrik Jungaberle.

Psychedelische Therapieoptionen, die Vor- und Nachteile von Psychedelika für die psychische Gesundheit sowie deren Nutzen für Patientengruppen und die öffentliche Bevölkerung – darüber tauschten sich die vier Referent:innen auf der abschließenden Podiumsdiskussion "New Paradigm or Co-Existance? The Potential of Psychedelics in Mental Health" aus. Einleitend in das Gespräch gab Dr. Sc. Hum. Henrik Jungaberle, Gründer der MIND Foundation, zu verstehen: Man müsse sich immer vor Augen führen, wie und wem mit psychedelischer Medizin geholfen werden könne. Durch Psychedelika gewonnene Lösungen müssten aber auch außerhalb des psychedelischen Zustands funktionieren. Daher steht Jungaberle auch einer grundsätzlichen Aushändigung bewusstseinserweiternder Mittel skeptisch gegenüber. Psychedelika allein könnten die Krise der psychischen Gesundheit nicht lösen. Dr. Martha Havenith, Max-Planck-Forschungsgruppenleiterin am Ernst-Strüngmann-Institut für Neurowissenschaften, merkt an, im besten Fall könnten Psychedelika dabei helfen, die "harte Arbeit" im Inneren des Menschen besser zu bewerkstelligen. Dieser Prozess könne sich dann auch positiv nach außen hin auf die Verfassung behandelter Personen auswirken. 

Bereitschaft zur Veränderung muss vorhanden sein

Dr. Katrin Preller, Preisträgerin des Pfizer-Forschungspreises und des Nachwuchspreises der Schweizerischen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie, merkt allerdings an dieser Stelle an: Patient:innen müssten an erster Stelle auch von sich aus zu einer Veränderung bereit sein. Ein veränderter psychischer Zustand allein könne diesen Wandel nicht bewerkstelligen. Prof. Dr. med. Gerhard Gründer, Leiter der Abteilung für Molekulares Neuroimaging am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, gibt anschließend zu verstehen: In einem kontrollierten medizinischen Umfeld haben Psychedelika das Potential, das Leben sowohl für Patient:innen als auch für Mediziner:innen deutlich zu erleichtern. Auch gesunde Menschen könnten seiner Ansicht nach von Psychedelika grundsätzlich profitieren, die Datenlage hierzu sei zum aktuellen Zeitpunkt aber noch absolut unzureichend. Gründers Ansicht nach sollte allerdings zunächst der Nutzen psychedelischer Medizin für Menschen mit psychischen Problemen fundierter untersucht werden, bevor man sich über weitere Schritte Gedanken machen sollte.

Mehr Studien zu psychedelischer Medizin dringend erforderlich

Als weitere Diskussionspunkte wirft Moderatorin Dr. med. Andrea Jungaberle die Stichworte Medikalisierung und Verschreibung in die Runde. Gründer übernimmt das Wort, nachdem zunächst alle Beteiligten über mögliche Antworten konzentriert nachdenken, und erklärt die Zurückhaltung: "Das ist ein Minenfeld." Er wisse, dass er sich mit seiner Antwort nicht nur Freunde machen werde, aber die Thematik müsse differenziert betrachtet werden. Gründer selbst habe auch Patient:innen erlebt, bei denen das genaue Gegenteil des erwünschten Effekts eingetreten sei und die nach der Behandlung mit Psychedelika psychotisch geworden sind. Henrik Jungaberle merkt an, es gebe bereits einige Untersuchungen, die auf einen Nutzen psychedelischer Medizin auch für gesunde Menschen hinweisen, durch die geringe Datenlage lasse sich aber noch kein klares Bild davon abzeichnen. Daher gibt der Mitbegründer der MIND Foundation zu verstehen, dass etwa die Verschreibung von und die Behandlung der breiten Öffentlichkeit mit MDMA seiner Ansicht nach mehr Schaden anrichten als helfen würde. Psychedelika könnten sich vor allem dann positiv auswirken, wenn die Grundhaltung und das Umfeld der Menschen, die damit behandelt werden, grundsätzlich stabil sind. 

Preller sieht Medikalisierung und Verschreibung als zwei verschiedene Themengebiete. Im medizinischen Umfeld sollten Psychedelika, wenn es einen Nutzen für Patient:innen aufzeigt, unbedingt angewendet werden. Legalisierung in der Öffentlichkeit sei aber ein anderes Thema. Die Neuropsychologin kann sich zwar vorstellen, dass der Verkauf und die Verabreichung im "Tageslicht", also in einem kontrollierten und rechtlich festgelegten Umfeld, viele Vorteile mit sich bringen könnte, dies sei allerdings eine Entscheidung, die die Politik zu treffen habe. Havenith stimmt hier zu, es gebe etwa aus den Niederlanden Hinweise auf einen sicheren Umgang mit Psychedelika, wenn dieser in einem legalen, kontrollierten Umfeld stattfindet. Die Diskussion sollte ihrer Ansicht nach auch hierzulande im Licht der Öffentlichkeit stattfinden.

Evolution oder Revolution durch Behandlung mit Psychedelika?

Abschließend gehen die Referent:innen noch einer entscheidenden Frage nach: "Kommen Psychedelika einer Revolution im psychiatrischen Bereich gleich?" Dr. Havenith merkt an, ihrer Ansicht nach sollte psychedelische Medizin in Zukunft zumindest  für einige Bereiche die führende Handlungsmethode werden. Besonders Menschen mit Depressionen etwa könnten von Psychedelika profitieren, da Antidepressiva in vielen Fällen mit schwerwiegenden Nebenwirkungen einhergingen. Gründer gibt zu verstehen, die Welt der Psychiatrie würde durch psychedelische Medizin auf jeden Fall anders aussehen, es sei aber nicht absehbar, wie lange dieser Wandel dauern wird. Aktuell handele es sich bei der Psychiatrie oftmals um ein sehr steriles Umfeld, dass sich dringend ändern und den Bedürfnissen individueller Patient:innen anpassen müsse. Psychedelika seien aber keinesfalls für alle Patientengruppen geeignet, bei Menschen mit Schizophrenie etwa wäre diese Herangehensweise vollkommen ungeeignet, so der Leiter der Abteilung für Molekulares Neuroimaging am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit. Daher sei eine Koexistenz zwischen traditionellen Behandlungsmethoden und neuen Herangehensweisen von höchster Bedeutung.

Henrik Jungaberle ergänzt, bei psychedelischer Medizin handle es sich eher um eine Evolution als eine Revolution, da diese Behandlungsweise nicht für alle Patientengruppen geeignet sei. Menschen müssten im Bereich der Psychiatrie nach wie vor individuell behandelt werden, eine Universallösung gebe es hier nicht. Für eine kleine Patientengruppe könnten psychedelische Therapien allerdings einer Revolution gleichkommen. Katrin Preller fügt hinzu, eine zunehmende Nutzung psychedelischer Behandlungsansätze würde sich noch auf eine weitere Ebene auswirken: So ließe sich aufzeigen, dass in der Psychiatrie Pharmazeutika nicht die einzige Behandlungsoption seien. Dies könne einen massiven Einfluss darauf haben, Patient:innen individuell die bestmögliche Therapie zukommen zu lassen. So schließt die Neuropsychologin: Psychedelika stellen eine Revolution für alle individuellen Patient:innen dar, denen auf diesem Weg geholfen werden kann.
 

Quelle: INSIGHT Conference 2021; Panel I: New Paradigm or Co-Existance? The Potential of Psychedelics in Mental Health; 09.09.2021, 20.20 - 21.00 Uhr

English Version: Psychedelics: Paradigm shift for mental health? (esanum.com)