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Aspirin: Herzschlag versus Blutung

Ob Aspirin eingesetzt werden sollte, um ein kardiovaskuläres Ereignis zu verhindern, bleibt ungewiss. Aktuelle Studien zeigen: Die absoluten Vorteile der Vermeidung schwerer Gefäßereignisse werden durch das erhöhte Blutungsrisiko weitgehend ausgeglichen.

Zur Primärprävention von Herz-Kreislauf-Ereignissen nicht eindeutig zu empfehlen

Ob Aspirin eingesetzt werden sollte, um ein kardiovaskuläres Ereignis zu verhindern, bleibt ungewiss. Aktuelle Studien zeigen: Die absoluten Vorteile der Vermeidung schwerer Gefäßereignisse werden durch das erhöhte Blutungsrisiko weitgehend ausgeglichen.

Aspirin hat sich bei der akuten Behandlung und Sekundärprävention von koronaren und zerebrovaskulären Erkrankungen gut etabliert. Mehr als 200 Studien mit 200.000+ Patienten unterstützen die Verwendung von niedrig dosiertem Aspirin. Die Verwendung von Aspirin bei der primären Vorbeugung dieser koronaren und zerebrovaskulären Ereignisse ist jedoch nach wie vor umstritten, und die wichtigsten Richtlinien für die Verwendung von niedrig dosiertem Aspirin sind in diesem Umfeld widersprüchlich. Unklar ist außerdem, ob Aspirin routinemäßig als Primärprävention bei Diabetespatienten, die grundsätzlich ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle haben, verordnet werden sollte, um ein erstes kardiovaskuläres Ereignis zu verhindern. Post-hoc-Analysen ausgewählter randomisierter Aspirin-Studien weisen außerdem auf eine Verringerung des Krebsrisikos, insbesondere vom Magen-Darm-Karzinomen, hin. Dies konnte aber durch die beim ESC 2018 erstmals präsentierten Studien ARRIVE und ASCEND nicht bestätigt werden.

ASCEND und Diabetes: 12% Risikoreduktion versus 29% Risikoerhöhung schwerer Blutungen

Diabetes ist häufig und meist haben Patienten keine kardiovaskulären Erkrankungen. Ob sie dennoch mit Aspirin behandelt werden sollten, um das erste Ereignis zu verhindern, ist ungewiss. Die randomisierte Placebo-kontrollierte Studie ASCEND mit 15.480 Patienten mit Diabetes und ohne kardiovaskuläre Grunderkrankung im Alter ≥ 40, die über einen Zeitraum von 7,4 Jahren 100 mg Aspirin täglich verabreicht bekamen, sollte hier Aufklärung bringen.

Die Resultate der Studie sind prekär. Obwohl Aspirin um 12% signifikant das Risiko schwerwiegender vaskulärer Ereignisse reduziert, wird auf der anderen Seite das Risiko schwerer Blutungen um 29% erhöht. Die absoluten Vorteile der Vermeidung schwerer Gefäßereignisse wurden also durch das erhöhte Blutungsrisiko weitgehend ausgeglichen. Es gab keine Gruppe, in der die Vorteile die Risiken deutlich überwogen. "Dies ist ein wichtiger Befund mit Auswirkungen auf viele Millionen Menschen, die Diabetes haben, aber noch keine Herz-Kreislauf-Ereignisse hatten“ so Professor Jane Armitage, Principal Investigator am Nuffield Department of Population Health der University of Oxford, UK und Co-Autor der Studie.

Die meisten ASCEND-Teilnehmer wurden mit Statinen und Blutdruckbehandlungen mit guter Blutzuckerkontrolle betreut. Für die Diabetiker, die mit Statinen behandelt wurden, gab es keinen Zusatznutzen von Aspirin. Freek W. A. Verheugt, Professor der Kardiologie am Heart-Lung Centre des University Medical Centre of Nijmegen, fügt dem erklärend hinzu, dass Statine womöglich die Wirkung von Aspirin vernichten. Zudem hat Aspirin das Risiko für gastrointestinale oder andere Krebserkrankungen nicht verringert, auch bei längerer Nachbeobachtung trat kein offensichtlicher Effekt auf.

ARRIVE und das 10-Jahres-CV-Erkrankungsrisiko: Reduktion nicht signifikant, Blutungsrisiko hoch

Die ARRIVE-Studie versuchte, die Rolle von niedrig dosiertem Aspirin bei der Primärprävention von kardiovaskulären Ereignissen bei Patienten mit moderaten kardiovaskulären Risiken (10-20%, 10-Jahres-KHK-Risiko basierend auf europäischen und US-Risikorechnern) zu untersuchen in dem Ziel, Sicherheit versus Wirksamkeit zu beurteilen.

Die randomisierte, doppelblinde, placebokontrollierte, multizentrische Studie mit Primärversorgung wurde in 7 Ländern (Deutschland, Italien, Irland, Polen, Spanien, Großbritannien und USA) durchgeführt. Insgesamt wurden 12.546 (mittleres Alter 64 Jahre; fast 30% Frauen) Patienten randomisiert mit Aspirin (N = 6.270) oder Placebo (N = 6.276) behandelt. Die mediane Nachbeobachtungszeit betrug 60 Monate. Das Follow-up wurde von Hausärzten bei persönlichen Besuchen, durch Telefonanrufe und durch die Beschaffung von Krankenakten durchgeführt, die zur Beurteilung eingereicht wurden.

Die Ergebnisse zeigten, dass die Behandlung mit Aspirin die Häufigkeit von kardiovaskulären Ereignissen in der Studienpopulation nicht signifikant reduziert (HR 0,96; 95% CI 0,81-1,13; P = 0,60). Gastrointestinale Blutungen (meist mild) traten bei 61 (97%) Patienten in der Aspirin-Gruppe gegenüber 29 (0,46%) in der Placebo-Gruppe auf. Es gab keinen Unterschied in den tödlichen Blutungsraten zwischen Aspirin und Placebo. Die Sicherheitsergebnisse stimmten auch mit früheren Primärpräventionsstudien überein, die ein erhöhtes Risiko (HR 2,11, 95% CI 1,36-3,28; P = 0,0007) bei einer sehr niedrigen Rate von vorwiegend leichten, gastrointestinalen Blutungen mit niedrig dosiertem Aspirin zeigten. Es wurden keine Auswirkungen auf die kurzfristigen Krebsraten beobachtet, die Dauer des Follow-Ups reichte allerdings nicht aus, um längerfristige Ergebnisse zu bewerten. Auch bei der ARRIVE-Studie kann zusammengefasst werden, dass der Einsatz von Aspirin bei der Primärprävention von Herz-Kreislauf-Ereignissen nicht eindeutig zu empfehlen ist.

Fazit

Die Verwendung von Aspirin bleibt eine Entscheidung, die in enger Abstimmung zwischen Arzt und Patient erfolgen sollte, da kardiovaskuläre Ereignisse gegen Blutungsrisiken, Patientenpräferenzen, Kosten und andere Faktoren abgewogen werden müssen.

Bei Diabetern ist außerdem davon auszugehen, dass bewährte sichere Behandlungen wie Statine und Blutdruck mindernde Medikamente adäquat vor Herzinfarkten und Schlaganfällen schützen, ohne schwere Nebenwirkungen wie Blutungen hervorzurufen. Beide Studien zeigten außerdem eindeutig, dass das Krebsrisiko weder bei Patienten mit Diabetes noch bei Patienten mit mittlerem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen verringert werden.

Die aktuellen klinischen Richtlinien variieren in ihren Empfehlungen über die Verwendung von Aspirin für die Primärprävention, da es einen früheren Mangel an eindeutigen Beweisen gab. Die Ergebnisse der ASCEND- und ARRIVE-Studien sorgen nun für mehr Klarheit.

Quellen:
1. European Cardiology Congress 2018: Press Conference Hot Line 1, Sonntag, 26.8.2018, 08:00 – 09:00, Auditorium München.
2. European Cardiology Congress 2018: Hot Line Session 2, Sonntag, 26.8.2018, 16:45 - 17:45, Auditorium München.
3. European Cardiology Congress 2018: Meet the Trialist – ASCEND, Montag, 27. August, 12:40 - 13:10 ESC TV Stage im ESC Plaza, München.
4. Bowman, L. et Armitage, J. (2018) ASCEND Study Collaborative Group. ASCEND: Characteristics of a randomized trial of aspirin and of omega-3 fatty acid supplementation in 15,480 people with diabetes. Am Heart J. 2018;198:135–144.
5. Gaziano JM et al (2018). Use of aspirin to reduce risk of initial vascular events in patients at moderate risk of cardiovascular disease (ARRIVE): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Sardenya Primary Health Care Center, EAP. 26 August 2018. Published Online.