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Urtikaria verstehen und behandeln – im Erbe von Marcus Maurer

Auf dem EADV 2025 wurde die chronische Urtikaria von der Pathogenese bis hin zu Therapien in der Pipeline erneut thematisiert.

Chronische spontane Urtikaria verstehen

Prof. Dr. Martin Metz (Berlin, Deutschland) eröffnete die Sitzung mit einem Überblick über die (CSU), eine Erkrankung, von der bis zu 1 % der Bevölkerung betroffen sind und die eine erhebliche psychosoziale Belastung darstellt. Patienten mit CSU leiden nicht nur täglich unter Symptomen wie Quaddeln und Angioödemen, sondern auch unter Schlafstörungen, verminderter Arbeitsproduktivität und einem erhöhten Risiko für Angstzustände und Depressionen. Bemerkenswert ist, dass die Selbstmordrate bei CSU-Patienten deutlich höher ist als in der Allgemeinbevölkerung, was die tiefgreifenden Auswirkungen der Erkrankung auf die Lebensqualität unterstreicht.

CSU ist auch mit einem erheblichen Aufwand im Gesundheitswesen und hohen wirtschaftlichen Kosten verbunden. Vor der endgültigen Diagnose wenden sich viele Patienten an unterschiedliche Ärzte. Eine unzureichende Kontrolle der Erkrankung zieht nicht selten vermeidbare und unnötige diagnostische Maßnahmen nach sich. Während H1-Antihistaminika der zweiten Generation nach wie vor die Grundlage der Therapie bilden, erreicht nur eine Minderheit mit Standarddosen eine vollständige Kontrolle, sodass ein großer Teil der Patienten trotz Dosiserhöhung weiterhin Symptome aufweist.

Metz erinnerte an den entscheidenden Beitrag von Marcus Maurer zur Identifizierung von Autoimmun-Endotypen der CSU. Etwa die Hälfte der Patienten weist eine Auto-IgE-Reaktivität (Typ-I-Autoimmunität) auf, während 8–10 % IgG-Autoantikörper gegen IgE oder FcεRI (Typ-IIb-Autoimmunität) aufweisen. Diese Mechanismen helfen zu erklären, warum einige Patienten gut auf Omalizumab ansprechen, während andere alternative Ansätze wie Cyclosporin benötigen. Wichtig ist, dass die Typ-IIb-Autoimmun-CSU oft schwerer verläuft und mit Angioödemen und komorbiden Autoimmunerkrankungen einhergeht.

Trotz dieser Erkenntnisse bleibt die CSU unvorhersehbar. Biomarker wie der Basophilen-Histamin-Freisetzungstest oder der autologe Serum-Hauttest stehen zwar zur Verfügung, sind jedoch bislang nicht standardisiert. Metz betonte die Notwendigkeit klinisch anwendbarer Marker als Orientierungshilfe für die Therapiewahl, eine Vision, für die sich Maurer stark einsetzte.

Chronische induzierbare Urtikaria verstehen

Prof. Dr. Mojca Bizjak (Golnik, Slowenien) konzentrierte sich auf die chronisch induzierbare Urtikaria (CIndU), zu der Subtypen gehören, die durch physikalische oder umweltbedingte Reize wie Dermographismus, Kälte, Druck und cholinerge Reize ausgelöst werden. Obwohl sie traditionell von der CSU unterschieden wird, gibt es Überschneidungen, und einige Patienten leiden unter beiden Erkrankungen.

CIndU ist seltener als CSU, macht jedoch einen erheblichen Teil der Fälle chronischer Urtikaria aus und ist außerhalb von Referenzzentren oft schwieriger zu diagnostizieren. Die heterogenen Krankheitsmechanismen – von veränderten Mastzellaktivierungsschwellen bei Kälteurtikaria bis hin zur Schweißüberempfindlichkeit bei cholinerger Urtikaria – verdeutlichen, warum ein einheitlicher Therapieansatz nicht zielführend ist.

Für Kliniker liegt die Herausforderung in zuverlässigen Provokationstests. Bizjak unterstrich die Bedeutung standardisierter Protokolle, wie z. B. der Verwendung von Dermographometern oder Kältestimulationsgeräten, um Fehldiagnosen zu vermeiden und die Krankheitsaktivität zu quantifizieren. Ohne solche Instrumente riskieren Patienten eine anhaltende Unsicherheit und eine unangemessene Behandlung.

Die therapeutischen Reaktionen variieren: Während Antihistaminika und Omalizumab bei einigen CIndU-Subtypen wirksam sind, bleiben andere schwer zu kontrollieren, was den ungedeckten Bedarf unterstreicht. Bizjak merkte an, dass personalisierte Strategien, darunter Vermeidung, Dokumentation von Auslösern und Aufklärung der Patienten, nach wie vor die Eckpfeiler der Behandlung sind.

Diagnostische Abklärung

Prof. Margarida Gonçalo (Coimbra, Portugal) wandte sich der Frage zu, wie die diagnostische Abklärung bei chronischer Urtikaria strukturiert werden sollte. Über die Anamnese und Untersuchung hinaus können gezielte Tests bei der Einstufung der Patienten helfen. Gonçalo wies darauf hin, dass umfassende Screenings in der Regel nicht notwendig sind; stattdessen sollten diagnostische Maßnahmen gezielt auf den Phänotyp und den vermuteten Endotyp abgestimmt werden.

Bei CSU können Schilddrüsen-Autoantikörper auf hinweisen, während bei CIndU Provokationstests unerlässlich sind. Gonçalo erinnerte daran, dass Maurer wiederholt „intelligente Tests” befürwortete: den Fokus auf diejenigen Assays zu legen, die die Behandlung verändern, anstatt auf umfassende Panels.

Biomarker beginnen eine Rolle zu spielen. Erhöhte D-Dimer-Werte und Basopenie wurden mit einem schlechten Ansprechen auf Omalizumab in Verbindung gebracht, sind jedoch noch nicht für den routinemäßigen Einsatz bereit. Gonçalo merkte auch an, dass ein strukturierter diagnostischer Ansatz dabei helfen kann, Patienten zu identifizieren, die für neue Biologika oder klinische Studien geeignet sind.

Neue Behandlungen: über Omalizumab hinaus

Abschließend skizzierte Prof. Ana Giménez-Arnau (Barcelona, Spanien) den therapeutischen Horizont bei chronischer Urtikaria. H1-Antihistaminika der zweiten Generation bleiben die erste Wahl, doch bei vielen Patienten ist die Wirkung unzureichend. Omalizumab hat die Behandlung der chronischen Urtikaria revolutioniert, dennoch zeigen bis zu 40 % der Patienten ein unzureichendes Ansprechen oder einen Rückfall.

Neue Strategien machen rasante Fortschritte:

  • Ligelizumab, ein Anti-IgE der nächsten Generation, zeigte zunächst vielversprechende Ergebnisse, konnte jedoch in Phase-III-Studien keine Überlegenheit gegenüber Omalizumab nachweisen, was die Erwartungen dämpfte.
  • Remibrutinib, ein oraler BTK-Inhibitor, zeigte in einer kürzlich im NEJM veröffentlichten Phase-II-Studie eine signifikante Wirksamkeit bei CSU, mit schnellem Wirkungseintritt und überschaubarer Sicherheit. Die Ergebnisse der Phase III stehen noch aus.
  • Barzolvolimab, ein monoklonaler Anti-KIT-Antikörper, hat vielversprechende Ergebnisse in Phase II gezeigt, insbesondere bei Patienten, die auf Omalizumab nicht ansprechen.
  • Dupilumab, das auf IL-4Rα abzielt, hat sich bei Patienten mit gleichzeitig auftretenden atopischen Merkmalen als wirksam erwiesen und bietet damit einen weiteren möglichen Ansatz.

Diese neuen Therapien unterstreichen eine Verlagerung hin zu einer mechanismusbasierten Behandlung. Die Stratifizierung der Patienten nach Endotyp, Typ-I- vs. Typ-IIb-Autoimmunität, Vorliegen von Komorbiditäten oder Biomarkern wird wahrscheinlich dabei helfen, zu bestimmen, wer am meisten von jedem neuen Ansatz profitiert. Wie Giménez-Arnau betonte, ist das Ziel nicht nur die Symptomkontrolle, sondern auch die Erreichung einer Remission und die Verbesserung der Lebensqualität der Patienten – eine Vision, für die sich Marcus Maurer während seiner gesamten Karriere eingesetzt hat.

Zu Ehren von Marcus Maurer

Über wissenschaftliche Neuigkeiten hinaus hatte die Sitzung auch eine starke emotionale Komponente. Marcus Maurer, der 2024 verstorben ist, wurde als unermüdlicher Fürsprecher der Patienten und Pionier im Verständnis der Urtikaria-Endotypen und der Weiterentwicklung gezielter Therapien gewürdigt. Seine Führungsrolle bei der Entwicklung internationaler Leitlinien und seine Arbeit an der Charta für Patienten mit chronischer Urtikaria haben die Herangehensweise von Ärzten und Patienten an diese Krankheit geprägt. Sein Vermächtnis zeigt sich nicht nur in therapeutischen Algorithmen, sondern auch in der Betonung einer patientenzentrierten Versorgung.

Quellen:
  1. Metz M. Understanding chronic spontaneous urticaria. Urticaria session in honour of Marcus Maurer (Session ID D2T04.3A), EADV Congress 2025, Paris/Virtual, 18 Sept 2025, 14:15–14:35 CEST.
  2. Bizjak M. Understanding chronic inducible urticaria. Urticaria session in honour of Marcus Maurer (Session ID D2T04.3B), EADV Congress 2025, Paris/Virtual, 18 Sept 2025, 14:35–14:55 CEST.
  3. Gonçalo M. Diagnostic workup. Urticaria session in honour of Marcus Maurer (Session ID D2T04.3C), EADV Congress 2025, Paris/Virtual, 18 Sept 2025, 14:55–15:15 CEST.
  4. Giménez-Arnau A. New treatments. Urticaria session in honour of Marcus Maurer (Session ID D2T04.3D), EADV Congress 2025, Paris/Virtual, 18 Sept 2025, 15:15–15:35 CEST.
  5. Kolkhir P, Pogorelov D, Maurer M. Chronic spontaneous urticaria: a review. JAMA. 2024;332(3):251–263. doi:10.1001/jama.2024.6795.
  6. Kolkhir P, Church MK, Weller K, Metz M, Maurer M. New treatments for chronic urticaria. Curr Opin Allergy Clin Immunol. 2020;20(5):421–429. doi:10.1097/ACI.0000000000000677.
  7. Zuberbier T. Chronic urticaria: unmet needs and emerging drugs. Lancet. 2024;404(10420):1253–1255. doi:10.1016/S0140-6736(24)00852-3.
  8. Maurer M, Giménez-Arnau AM, Sussman G, et al. Ligelizumab for chronic spontaneous urticaria. N Engl J Med. 2022;386(14):1320–1330. doi:10.1056/NEJMoa2110578.
  9. Sussman G, Hébert J, Shakar S, et al. Remibrutinib, an oral Bruton’s tyrosine kinase inhibitor, in chronic spontaneous urticaria. N Engl J Med. 2024;390(9):783–794. doi:10.1056/NEJMoa2310451.
  10. Kaplan AP, Giménez-Arnau A, Saini SS. Targeting KIT with barzolvolimab in chronic spontaneous urticaria: results from a phase 2 trial. J Allergy Clin Immunol. 2023;152(1):89–98. doi:10.1016/j.jaci.2023.04.012.