Nahrungsmittelallergien sind weltweit im Anstieg. Millionen Europäer sind davon betroffen und noch immer weiß niemand so genau, wie es überhaupt zu diesem Massenallergiezustand kam. Nahrungsmittelallergien sind teils schwerwiegende Erkrankungen, die für eine erhebliche Morbidität und in einigen Fällen mit einer Mortalität einhergehen. Obwohl Kleinkinder noch in ersten drei Jahren meist eine natürliche Toleranz entwickeln, zeigen epidemiologische Studien, dass Prävalenz und Schweregrad von Lebensmittelallergien insbesondere bei Kindern zunehmen.
Nahrungsmittelallergien können unterteilt werden in IgE-vermittelte akute allergische Reaktionen, die sich als Urtikaria, Erbrechen, Keuchen und Anaphylaxie manifestieren, und nicht-IgE-vermittelte Nahrungsmittelallergie, die sich auf verzögerte, zellvermittelte Reaktionen bezieht. In der EuroPrevall-Geburtskohortenstudie1, wurden 12.049 Säuglinge in neun Ländern über zwei Jahre lang observiert. Es ist im Bereich der Nahrungsmittelallergien die größte Studie mit Goldstandard-Diagnosekriterien für Nahrungsmittelallergien bei Kindern weltweit. Es wurden erhebliche länderspezifische Unterschiede in Bezug auf eine Vielzahl von Faktoren, von denen angenommen wird, dass sie eine Rolle bei der Entwicklung von Nahrungsmittelallergien spielen, festgestellt. Dazu gehörten unter anderem allergische Familienanamnese, geburtshilfliche Praktiken, prä- und postnatale Umweltbelastung.
Nahrungsmittelallergien können mit einer signifikanten Verringerung der Lebensqualität assoziiert sein, sowohl für Personen, die unter einer Nahrungsmittelallergie leiden, als auch für deren Familienmitglieder. Derzeit im Fokus steht das Thema Prävention. Schwierigkeiten bei der Vermeidung von verantwortlichen Lebensmittelallergenen können zu einer unbeabsichtigten Exposition und dem Risiko einer potenziell lebensbedrohlichen Anaphylaxie führen.
Viele Personen mit Nahrungsmittelallergie müssen daher Adrenalin Autoinjektoren tragen, um Anaphylaxie-Reaktionen selbst zu verwalten. Dieser Ansatz wird jedoch als restriktiv empfunden und birgt immer noch Risiken für den Patienten, wenn eine versehentliche Exposition auftritt. Alternative Ansätze werden daher untersucht. Insbesondere besteht ein großes internationales Interesse an der Rolle der Immuntherapie, die die wiederholte Verabreichung sehr kleiner, aber allmählich ansteigender Dosen der Antigene einschließt, gegen die Personen allergisch sind, in der Hoffnung, eine sichere Exposition gegenüber den fraglichen Nahrungsmitteln zu ermöglichen.
Die Allergen-Immuntherapie (AIT) hat sich im Laufe des letzten Jahrhunderts in der klinische Praxis in Bezug auf die Behandlung von schweren Pollen, Insektengift und Arzneimittelallergie etabliert. Allerdings hat sich das AIT im Routinemanagement der Behandlung von IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien noch nicht durchgesetzt.
Das liegt auch daran, dass der Prozess der zu einer natürlichen Nahrungsmitteltoleranz führt noch nicht vollständig nachvollziehbar ist. Es wird angenommen, dass das Immunglobulin IgG4 maßgeblich daran beteiligt ist.
Neue Studien versuchen Aufklärung zu bringen. Wie auch die Studie von Caubet JC et al. (2017)2, die die natürliche Toleranzentwicklung bei einer Kuhmilchallergie (CMA) untersucht hat. An den Baselines wurden bei Kindern mit persistierendem CMA nach dem fünften Lebensjahr im Vergleich zu Patienten mit transientem CMA eine größere Intensität und eine breitere Diversität der IgE- und IgG4-Bindung gefunden. Darüber hinaus hatten Kinder mit transientem CMA IgE- und IgG4-Antikörpern, häufiger die selben Epitope als diejenigen mit persistentem CMA. Von der Basislinie bis zum Zeitpunkt der Toleranzentwicklung nahmen sowohl die IgE- als auch die IgG4-Bindungsintensität signifikant ab. Die Ergebnisse legen nahe, dass die Überlappung zwischen IgE und IgG4 bei der natürlichen Toleranzerfassung wichtig sein könnte.
Säuglinge mit atopischen Ekzeme haben einen großen Faktor für die frühe Sensibilisierung von Hühnereiern. So wurde in Japan eine Studie von Natsuma O et al. (2017)3 Nahrungsmittelallergien treten oft bei Kindern mit Ekzemen auf. Eine japanische Studie zeigte, dass durch die orale Gabe von Eipulver, eine Nahrungsmittel-Toleranz erreicht werden konnte. Die schrittweise Einführung von gekochtem Ei und die aggressive Behandlung mit der Neurodermitis kann eine sichere und wirksame Methode zur Vorbeugung von Hühnerei-Allergien bei Hochrisiko-Säuglingen sein. In dieser Studie wurde ein praktischer Ansatz entwickelt, um die zweite Welle der allergischen Epidemie durch Nahrungsmittelallergie zu überwinden. Wer die letzten drei Jahre nicht verschlafen hat, weiß auch, dass ähnliches im Zusammenhang mit Erdnussallergie gezeigt werden konnte. Die Zugabe von Erdnussproteinen bei Säuglingen, ob in Form von Patches oder oraler Immuntherapie führt schon nach kurzer Zeit zu einer Toleranzentwicklung.
Ist IgG4 also für die Nahrungsmitteltoleranz ausschlaggebend? Es scheint darauf noch keine klare Antwort zu geben, jedenfalls suggeriert die Evidenz, dass IgG4 nicht der einzige Faktor ist in einem komplexen Interaktion von Immunreaktionen der hier entscheidend ist. Weitere individuelle Biomarker werden benötigt. Trotzdem sind die jüngsten Errungenschaften bei weitverbreitenden Nahrungsmittelallergien ein Meilenstein in deren flächendeckender Bekämpfung.
Quellen:
1. McBride D. (2012). The EuroPrevall birth cohort study on food allergy: baseline characteristics of 12,000 newborns and their families from nine European countries. Pediatric Allergy Immunology 2012: 23: 230–239.
2. Natural tolerance development in cow's milk allergic children: IgE and IgG4 epitope binding
3. Natsuma O. et al. (2017). Two-step egg introduction for prevention of egg allergy in high-risk infants with eczema (PETIT): a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. The Lancet. Volume 389, Issue 10066, 21–27 January 2017, Pages 276-286.
Weitere Quellen:
EAACI München 2018. PL 4 A novel treatment approach: Passive immunotherapy. Plenary Symposia (PL). The need of food IgG4 for food tolerance? 10:00 - 10:30 Kirsten Beyer.