Zusätzliche Pflegekräfte in Krankenhäusern werden seit Jahresbeginn voll refinanziert, so das BMG. Ab 2020 werden die Personalkosten zudem in ein Pflegebudget ausgelagert. Klingt erstmal gut. Was das für Häuser, Pflege und ÄrztInnen tatsächlich bedeutet, erläuterte Annett Laban, Pflegedirektorin an der Universitätsmedizin Rostock auf dem DGU 2019.
Gegen die Personalnot in der Krankenhauspflege hat das Bundesgesundheitsministerium (BMG) mit dem "Sofortprogramm Pflege" auch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) auf den Weg gebracht. Das BMG verspricht die volle Finanzierung zusätzlicher Pflegekräfte und die Refinanzierung von Tarifsteigerungen. "Aber schon beim Versprechen, höhere Tarife zu refinanzieren, hakt es. Die sollen laut Gesetz rückwirkend bis 2018 erfolgen. Und da warten die Krankenhäuser bis heute drauf", sagt Laban.
Der Grund: Aktuell sei der Berechnungsalgorithmus so kompliziert, dass er sich nicht nur auf die Pflege beziehe, sondern auf auch auf alle anderen Berufsgruppen im Krankenhaus, so Laban weiter. Die Pflegedirektorin geht davon aus, dass die Pflege in puncto Tarifsteigerungen leer ausgehe.
Zudem fehlten bis heute klare Vorgaben zu den Pflegepersonaluntergrenzen, die der damalige Bundesgesundheitsminister Gröhe in der letzten Legislaturperiode mit dem Gesetz zur Modernisierung der epidemiologischen Überwachung übertragbarer Krankheiten verankert hatte. Es regelt auch die verbindliche Einführung von Personaluntergrenzen für die Pflege in den sogenannten pflegesensitiven Bereichen.
Die Selbstverwaltungspartner – im Wesentlichen Deutsche Krankenhausgesellschaft und GKV-Spitzenverband – sollten sich danach auf Untergrenzen und pflegesensitive Bereiche verständigen. Das haben sie nicht getan. Die BMG musste einspringen und hat die Untergrenzen für die vier Bereiche Kardiologie, Unfallchirurgie, Geriatrie sowie Intensivmedizin entwickelt und weitere Bereiche festgelegt oder verschärft.
Unklar sei auch, welche Pflegepersonalkosten ab 2020 in das neue Pflegebudget ausgelagert werden können, so die ehemalige Urologie-Schwester. Laut Gesetz dürfen das nur Kosten sein, die durch die unmittelbare Patientenversorgung auf bettenführenden Stationen entstehen. Grauzone bleibt, wo die bettenführende Station anfängt und wo sie aufhört. "Gehört die Pflege im OP oder in Funktionsabteilungen dazu? Was ist mit Aufwachräumen?", fragt Laban. Sie empfiehlt den Krankenhäusern möglichst viele Kosten in das Pflegebudget zu bringen.
Zwar grenzt die sogenannte Pflegepersonalkostenabgrenzungsvereinbarung die Kosten gegen diejenigen aus dem DRG-System ab. Welche Erlöse genau aus dem Pflegebudget zurück in die Krankenhäuser fließen, bleibe abzuwarten, sagt Laban. Die Selbstverwaltungspartner sollen sich hierzu zeitnah einigen, frühestens am 30. September 2019. Klar ist die Höhe des Pflegebudgets: Frank Heimig, Geschäftsführer des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus, hat für das Jahr 2020 aus dem DRG-System rund 15 Milliarden Euro für die Pflegepersonalkosten rausgerechnet.
Um die Höhe der Erlöse aus dem Pflegebudget zu errechnen, braucht es dann noch den Pflegepersonalquotienten. "Auf den warten wir aktuell ebenfalls noch", so Laban. Der Quotient ist ein Instrument, mit dem die Pflegepersonaluntergrenzen im Jahr 2020 risikoadjustiert für jedes Krankenhaus berechnet werden sollen. Werden diese Untergrenzen nicht eingehalten, drohen Sanktionen in Form von Fall-Reduktionen oder Vergütungsabschlägen. Sie gehen mit Finanzierungsanreizen einher, etwa durch das Pflegestellenförderprogramm, das für das Jahr 2019 jede Stelle, die über dem Durchschnitt von 2018 liegt, zu 100 Prozent finanziert.
Ein zentrales Problem bleibt ungelöst: Der akute Mangel an verfügbaren Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt. Hier war aus dem Plenum zu hören, dass man das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz vor diesem Hintergrund auch anders interpretieren könne. Demnach könnten die Strukturvorgaben dazu führen, dass viele kleine Häuser schließen müssen. Weniger Krankenhäuser sind gleichbedeutend mit einem geringeren Pflegekräfte-Bedarf – eine Art Strukturbereinigung.
Spätestens dann wären Klinik-ÄrztInnen nicht nur durch eine höhere Arbeitsbelastung betroffen, sondern auch durch die Schließung von Stationen oder Krankenhäusern direkt bedroht. Zudem könnte das unabhängige Pflegebudget der Anfang vom Ende des DRG-Systems sein, vermutete DGU-Präsident Prof. Oliver W. Hakenberg, einer der Vorsitzenden des Symposiums. "Es ist eine Frage der Zeit, bis bestimmte Verbände sagen, die Arztkosten müssen auch raus aus dem DRG-System, weil die Klinik-ÄrztInnen mehr leisten als sie abrechnen können", so Hackenberg weiter. Auch Laban sieht das ähnlich.
Grundsätzlich werden Krankenhäuser gewinnen, die bis dato mehr Pflegepersonalkosten hatten als sie erlöst haben. Verlierer seien die Häuser, die bisher mehr Pflege erlöst haben und weniger Pflegekosten hatten, prognostiziert Laban. Zu letzterer Gruppe gehörten die meisten Häuser, da die Pflege oftmals die Sparbüchse des Hauses sei.
Für den Fachkräftemangel hat Annett Laban für die Universitätsmedizin Rostock eine eigene Lösung parat: "Wir rekrutieren inzwischen in Vietnam und haben jetzt am Sonntag eine zweite Gruppe von 25 Auszubildenden am Flughafen Berlin-Tegel empfangen."
Quelle:
Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU), 20. September 2019, Symposium "Berufspolitik - Gesetze und Reformen"