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Update zur Demenz-Therapie: Biologika bei Morbus Alzheimer

Monoklonale Anti-Amyloid-Antikörper entwickeln sich zu einer praktikablen therapeutischen Option für Menschen mit Alzheimer-Demenz im Prodromalstadium und leichter Demenz. Doch es gibt noch einige Stolpersteine auf dem Weg zur optimalen Therapie.

Update S3-Leitlinie "Demenzen"

Bei Morbus Alzheimer kommen in Deutschland aktuell Acetylcholinesterase-Inhibitoren (Donepezil, Rivastigmin, Galantamin), Memantine sowie Gingko Biloba EGb 761 zum Einsatz.  Die neue S3-Leitlinie "Demenzen" bewertet die Behandlung der milden und moderaten Demenz mittels Acetylcholinesterase-Inhibitoren mit einer hohen Evidenz und einem hohen Empfehlungsgrad. Gingko Biloba EGb 761 (240 mg pro Tag) kommt bei derselben Indikation (ohne psychotische Verhaltensauffälligkeiten), jedoch mit schwachem Empfehlungsgrad und schwacher Evidenz zum Einsatz. Memantine werden mit einem hohen Empfehlungs- und Evidenzgrad für die Therapie der mittleren und schweren Demenz empfohlen. Zu einer Kombination von Memantine und Acetylcholinesterase-Inhibitoren hingegen wird aktuell nicht geraten.1

Anti-Amyloid-Antikörper mit positiven Studiendaten in der Alzheimer-Therapie

Die Anhäufung von löslichem und unlöslichem aggregiertem Amyloid-beta (Aβ) kann die pathologischen Prozesse bei der Alzheimer-Krankheit auslösen oder verstärken. Biologika richten sich daher gegen diese β-Amyloid-Aggregate. Das bei Morbus Alzheimer untersuchte Biologikum, welches als erstes positive Studiendaten hatte, ist Aducanumab. Als monoklonaler Antikörper zielt Aducanumab auf β-Amyloid-Aggregate. In den USA wurde dieses Biologikum von der FDA unter Vorbehalt für die Behandlung der leichten Alzheimer-Krankheit zugelassen, konnte sich jedoch aus wirtschaftlichen Gründen nicht durchsetzen. Die Voraussetzung für die FDA-Zulassung waren die beiden Phase-III-Studien EMERGE und ENGAGE. Aducanumab wurde bei Patienten mit früher Alzheimer-Krankheit in diesen beiden randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten, globalen Phase-III-Studien untersucht. Insgesamt nahmen 1.638 Patienten an der EMERGE- und 1.647 Patienten an der ENGAGE-Studie teil. Die Studienteilnehmer waren zwischen 50 und 85 Jahren alt und hatten eine bestätigte Amyloid-Pathologie. Sie erfülltem zudem die klinischen Kriterien für eine leichte kognitive Beeinträchtigung aufgrund der Alzheimer-Krankheit bzw. für eine leichte Alzheimer-Demenz. In der EMERGE zeigte sich eine 23%-ige Verlangsamung der Erkrankungsprogression. Diese konnte jedoch in der ENGAGE-Studie nicht bestätigt werden. Neben dem Nebenwirkungsprofil war auch dies ein Grund dafür, dass Aducanumab in Europa nicht zugelassen wurde.1,3

ARIAs: Nebenwirkungen der Biologika-Therapie bei Morbus Alzheimer

Die passive Immuntherapie mit Anti-Amyloid-Antikörpern hinterlässt Spuren im MRT

Das Akronym ARIA steht für "amyloid-related imaging abnormalities". Hierunter versteht man abnorme Befunde in der Bildgebung des Gehirns. ARIA zählen zu den häufigsten Nebenwirkungen der passiven Immuntherapie mit den Anti-Amyloid-Antikörpern Aducanumab, Donanemab, Lecanemab und Gantenerumab. All diesen Antikörpern ist gemein, dass sie gegen die Aggregationsform des Amyloids wirken. Eine Ausnahme hiervon ist der Antikörper Solanezumab, der gegen das lösliche Amyloid wirkt und bei welchem die Nebenwirkung ARIA bisher nicht auftrat. Bei 75-80% der Patienten wird die Nebenwirkung ARIA lediglich im MRT erkannt und verläuft sonst asymptomatisch. Von den restlichen 20-25% wurde u.a. folgende Symptomatik berichtet: Schwindel, Kopfschmerzen, zunehmende Verwirrtheit, Sehstörungen, Übelkeit und Krampfanfälle.1,4,5

Ödeme und Hämorrhagien im MRT

Es gibt zwei unterschiedliche ARIA-Formen: ARIA-E (E für Ödem) und ARIA-H (H für Hämorrhagie). ARIA-E kann mit einer übermäßigen Neuroinflammation sowie einer Sättigung der perivaskulären Clearance-Wege in Verbindung gebracht werden - ARIA-H hingegen mit der vaskulären Amyloid-Clearance mit Schwächung und Ruptur kleiner Blutgefäße. In der EMERGE- und in der ENGAGE-Studie war ARIA-E mit 35,2% das häufigste unerwünschte Ereignis. ARIA-Mikrohämorrhagie trat bei 19,1% und ARIA-oberflächliche Siderose bei 14,7% der Studienteilnehmer auf.1,4,5

Risikofaktoren für das Auftreten der ARIA-E oder -H

ApoE4-Träger, eine höhere Dosierung des jeweiligen Anti-Amyloid-Antikörpers sowie ≥ 4 Mikroblutungen auf einer MRT-Basisuntersuchung erhöhen das Risiko für das Auftreten von ARIA-E. Die Inzidenz von ARIA-E war bei den mit Aducanumab behandelten Studienteilnehmern, die gleichzeitig auch Träger des Apolipoprotein E ε4-Allels waren, am höchsten. Risikofaktoren für ARIA-H sind das Lebensalter und zerebrovaskuläre Erkrankungen. Am häufigsten treten ARIA im ersten Jahr nach Therapiebeginn auf. In der EMERGE- und in der ENGAGE-Studie kam es bei einer Dosierung von 10 mg/kg bei 41,3% der Studienpatienten zu ARIAs.1,4,5

Weniger ARIA unter Lecanemab, jedoch letale Blutung

Schulz stellte dem Auditorium in seinem Vortrag den humanisierten monoklonalen IgG1-Antikörper Lecanemab vor. Lecanemab bindet mit hoher Affinität an lösliche Aβ-Protofibrillen. In einer 18-monatigen, multizentrischen, doppelblinden Phase-3-Studie wurde dieses Biologikum bei Personen im Alter von 50 bis 90 Jahren mit früher Alzheimer-Krankheit untersucht. Die Studienteilnehmer litten unter einer leichten kognitiven Beeinträchtigung oder leichte Demenz aufgrund der Alzheimer-Krankheit. Amyloid wurde mittels Positronen-Emissions-Tomographie (PET) oder durch Liquoruntersuchungen nachgewiesen. Sie erhielten entweder intravenösen Lecanemab (10 mg/kg alle 2 Wochen) oder ein Placebo. Der primäre Endpunkt war die Veränderung der Punktzahl auf dem CDR-SB (Clinical Dementia Rating-Sum of Boxes) nach 18 Monaten gegenüber dem Ausgangswert. Im Vergleich zum Placebo verlangsamt Lecanemab den Verlauf um etwa 30%. Auch die sekundären Endpunkte konnten erreicht werden: Im PET kam es zu einer Reduktion der Amyloid-Plaques. Hinsichtlich der Aktivitäten des täglichen Lebens und der kognitiven Funktionen schnitt Lecanemab ebenso gegenüber dem Placebo besser ab. Unter Lecanemab kam es nur bei 12,6% der Patienten zu ARIA-E und 17,3% zu ARIA-H. In der Extensionsstudie kam es jedoch bei einem Patienten zu einer letalen Blutung im Rahmen einer rtPA-Lysetherapie bei Apoplex-Symptomatik. In der histopathologischen Untersuchung konnte eine massive neuroinflammatorische Reaktion an den Gefäßwänden des Gehirns festgestellt werden. Schulz betonte, dass auch der ARIA-E neuroinflammatorische Prozesse zugrunde liegen würden. Unter passiver Immuntherapie mit Anti-Amyloid-Antikörpern muss daher besonders auf Patienten, die unter Antikoagulation stehen oder bei denen eine Lysetherapie geplant ist geachtet werden.1,6

Fazit für die Praxis

ARIA (amyloid-related imaging abnormalities) sind abnorme Befunde in der Bildgebung des Gehirns.

Weitere Informationen in unserer aktuellen Berichterstattung zum DGN-Kongress 2023.
 

Quelle:
  1. Schulz, Jörg B., Prof. Dr. med., Antikörpertherapien der Alzheimer-Demenz, 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Berlin, 10:30-12:00 Uhr, 09. November 2023. 
  2. Reetz, Kathrin, Prof. Dr. med., Demenzen - vom Syndrom zur Diagnose, 96. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) in Berlin, 10:30-12:00 Uhr, 09. November 2023. 
  3. Budd Haeberlein S. et al. (2022). Two Randomized Phase 3 Studies of Aducanumab in Early Alzheimer's Disease. J Prev Alzheimers Dis. 2022;9(2):197-210. 
  4. Withington CG. et al. (2022). Amyloid-Related Imaging Abnormalities With Anti-amyloid Antibodies for the Treatment of Dementia Due to Alzheimer's Disease. Front Neurol. 2022 Mar 23;13:862369. 
  5. Salloway S. et al. (2022). Amyloid-Related Imaging Abnormalities in 2 Phase 3 Studies Evaluating Aducanumab in Patients With Early Alzheimer Disease. JAMA Neurol. 2022 Jan 1;79(1):13-21. 
  6. Van Dyck C. H. et al. (2023). Lecanemab in Early Alzheimer’s Disease.N Engl J Med 2023; 388:9-21.