Die Neurologie ist ein weites Feld: Das spiegelten seltene und exotische Fälle wider, die junge Neurologinnen und Neurologen auf dem diesjährigen DGN-Kongress vorgestellt haben. Darunter die zunehmende spastische Parese einer Patientin aus Afrika und ein Morbus Fabry, der nicht als Vollbild auftritt.
Keine Multiple Sklerose, keine Amyotrophe Lateralsklerose, keine hereditäre spastische Paraparese und auch kein Neurolues – die zunehmenden Gangstörungen einer 38 Jahre alten Patientin aus Sierra Leone erwiesen sich als tropische spastische Paraparese/HTLV-1-assoziierte Myelopathie (TSP/HAM). Ein Befund, der hierzulande künftig häufiger werden dürfte, so Dr. Nadine Hambsch: "Vor dem Hintergrund der Zuwanderung wird die TSP/HAM zu einer zunehmend wichtigen Differentialdiagnose".
Die Patientin hatte sich mit Gangstörungen, schmerzhafter Steifheit der Beinmuskulatur und Harndrang in der Diako Mannheim vorgestellt. Gefunden wurden eine leichte proximal betonte Paraparese, ein spastisch erhöhter Muskeltonus, Pyramidenbahnzeichen und ein paraspastisches Gangbild mit leicht innenrotierten Füßen. Im kranialen MRT und im WS-MRT zeigten sich keine entzündungssuspekten Signalveränderungen im ZNS. Das Differentialblutbild war unauffällig. Im Liquor waren allerdings HTLV-1-DNA und im Serum HTLV-1-Antikörper nachweisbar.
Die TSP/HAM ist eine langsam fortschreitende, virale, immunvermittelte Erkrankung des Rückenmarks und führt zu einer spastischen Lähmung beider Beine. Das Retrovirus HTLV-1 wird über sexuellen Kontakt, intravenösen Drogenkonsum oder beim Stillen übertragen. Es ist in der Äquatorialregion, Südjapan und Teilen von Südamerika endemisch.
Die Evidenz zur Therapie ist begrenzt: Infrage kommen vierteljährlich parenterales Methylprednisolon, eine symptomatische Therapie (regelmäßige Physiotherapie) und antivirale Therapien in Kombination mit Valproinsäure, Interferon alpha, Azathioprin, Vitamin C und monoklonalen Antikörpern. "Bei der Patientin zeigte sich eine nicht progrediente Symptomatik und nach 3 bis 4 Monaten eine leichte Besserung der Gangstörung", berichtete Hambsch. In der Literatur ist beschrieben, dass Betroffene 20 Jahre nach Infektion rollstuhlpflichtig werden. Weil HTLV-1 auch mit T-Zell-Leukämie assoziiert ist, sind regelmäßige Blutbildkontrollen notwendig.
Der Leidensweg bis zur richtigen Diagnose ist nicht selten lang – ganz besonders dann, wenn es sich um eine seltene Erkrankung handelt und diese sich zudem nicht als Vollbild präsentiert. Morbus Fabry (Inzidenz 1:40.000 bis 1:117.000) beruht auf einem X-Chromosomal-rezessiv vererbten Defekt der Alpha-Galaktosidase. Dieser führt zur intrazellulären Speicherung von Fetten. "Wobei die Veränderung im GLA-Gen nicht zwingend zum Vollbild Morbus Fabry führt, vor allem bei Frauen", berichtete Dr. Maike Dohrn von der Neuromuskulären Spezialambulanz der Uniklinik Aachen. Gerade Frauen würden deshalb häufig spät diagnostiziert.
Dohrn schilderte den Fall einer 30 Jahre alten Patientin mit brennenden und stechenden Schmerzen in Armen und Beinen. Aus Angst vor Verschlimmerung mied die Patientin körperliche Belastung, verwendete zeitweise einen Rollstuhl und ist in ihrem Beruf als Altenpflegerin teilberentet. In der Vorgeschichte wurde von "Wachstumsschmerzen" als Kind nach körperlicher Belastung, von vermindertem Schwitzen, häufigen Magen-Darm-Beschwerden und wiederkehrenden, leicht erhöhten Kreatininwerten berichtet. Mit 19 Jahren war ihr aufgrund eines intermittierenden AV-Blocks Grad II und bradykardialen Episoden ein Herzschrittmacher eingesetzt worden. Aufgrund anhaltender Beschwerden hatte sie sich wiederholt bei Ärzten und in Kliniken vorgestellt, auch in einer psychosomatischen Klinik.
Es zeigten sich distale Defizite des Berührungs- und Tastempfindens. Die Quantitativ Sensorische Testung (QST) ergab eine abgesenkte Kältedetektionsschwelle – ein Hinweis auf eine Dysfunktion der Aδ-Nervenfasern, die zu den Small Fibers zählen. "Small Fiber Neuropathien werden bei routinemäßigen elektrophysiologischen Untersuchungen nicht erfasst. Das bedeutet aber nicht, dass die Patienten nichts haben", betonte Dohrn.
Molekulargenetisch lag als Ursache der Neuropathie eine Veränderung im GLA-Gen vor, das für Alpha-Galaktosidase kodiert. Die Symptome bei Fabry sind vielfältig und erste Beschwerden treten – wie auch bei der beschriebenen Patientin – bereits in der Kindheit auf: brennende Schmerzen in Händen und Füßen, Fieberschübe, vermindertes Schwitzen, Bauchschmerzen und Durchfall. Mit zunehmendem Alter werden immer mehr Organe in Mitleidenschaft gezogen. Morbus Fabry wird mittels Enzymersatztherapie oder Chaperontherapie behandelt.
Quelle:
94. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie: Symposium "Junge Neurologen präsentieren: schon mal gehört? Spannende Fälle aus den Nischen der Neurologie", 03.11.2021
Die Berichterstattung vom DGN-Kongress 2021 finden Sie hier.