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Aducanumab gegen Alzheimer: Hoffnungsträger oder Blindgänger?

Zum ersten Mal seit 20 Jahren ist in den USA ein neues Medikament gegen Alzheimer zugelassen worden – trotz widersprüchlicher Studienergebnisse. Was ist von dem Wirkstoff zu halten?

Die umstrittene FDA-Zulassung von Aducanumab

Zum ersten Mal seit 20 Jahren ist in den USA ein neues Medikament gegen Alzheimer zugelassen worden – trotz widersprüchlicher Studienergebnisse. Eine Entscheidung der EMA wird für Anfang nächsten Jahres erwartet. Was ist von dem Wirkstoff zu halten?

Wohl kaum ein Wirkstoff ist in den vergangenen Monaten in der Fachwelt so intensiv diskutiert worden wie Aducanumab. Zwei Phase-3-Studien hat der Hersteller Biogen abgebrochen und später dennoch Ergebnisse präsentiert, die zu einer Zulassung durch die US-Food and Drug Administration (FDA) geführt haben. Prof. Dr. Jörg Schulz, Direktor der Neurologischen Klinik der RWTH Aachen, hat auf dem DGN Kongress 2021 die bisherigen Erkenntnisse eingeordnet.

Zwei Studien mit gleichem Design, aber abweichenden Ergebnissen

Aducanumab ist ein Antikörper, der sich gegen das Eiweiß Beta-Amyloid richtet. Entwickelt wurde er aus dem Blut von Patientinnen und Patienten, die diesen Antikörper natürlicherweise in sich trugen. Es handelt sich somit um den ersten zugelassenen Wirkstoff, der auf diesem Weg in die Alzheimer-Erkrankung eingreift.

Biogen startete zwei parallel laufende Phase-3-Studien mit gleichem Design: EMERGE und ENGAGE. Eingeschlossen wurden Betroffene mit einer überwiegend milden Alzheimer-Demenz, bei denen über eine PET erhöhte Werte von Beta-Amyloid nachgewiesen worden waren. Aufgeteilt wurden die Teilnehmenden in drei Gruppen: Placebo, niedrige Dosierung, Hochdosis. Primärer Endpunkt war das Clinical Dementia Rating – Sum of Boxes (CDR-SB).

Im März 2019 brach der Hersteller beide Studien ab, obwohl nur 52 Prozent der Teilnehmenden die Studie bereits durchlaufen hatten. Das Ziel, das Fortschreiten der Demenz aufzuhalten, sei nicht mehr zu erreichen. Im Oktober 2019, nach Auswertung weiterer Daten stellten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine signifikante Verbesserung der CDR-SB fest, im Vergleich zur Placebo-Gruppe. Die Symptome waren in der Hochdosisgruppe um 23 Prozent langsamer vorangeschritten – allerdings nur in der EMERGE-Studie. In der ENGAGE-Studie gab es in der Hochdosisgruppe kaum einen Unterschied im Vergleich zur Placebo-Gruppe.

Eine mögliche Erklärung für diese Unterschiede könnte laut Schultz in den Subgruppen liegen: Bei ENGAGE sei eine Subgruppe mit starker Krankheitsprogression eingeschlossen gewesen, die möglicherweise das Ergebnis verzerrt habe. Bei einer weiteren Subgruppe habe die Hochdosisbehandlung durchaus Wirkung gezeigt.

Zulassung unter besonderen Bedingungen

Die Zulassung hat Aducanumab jedoch faktisch nicht aufgrund der klinischen Ergebnisse erhalten, sondern wegen einer Gemeinsamkeit in beiden Studien: Die Destruktionsmarker nahmen ab. "Das Beta-Amyloid sank massiv", sagt Schulz. Die Zulassung durch die FDA erfolgte schließlich auf einem besonderen Weg, dem Accelerated Approval Pathway. "Er bezieht sich auf den positiven Einfluss auf Biomarker, auch wenn die Klinik nicht überzeugt", erklärt Schulz.

Für Biogen heißt das: Erneute Studien sind nötig. Denn innerhalb der nächsten neun Jahre muss eine klinische Verbesserung durch den Wirkstoff nachgewiesen werden. Für das Design der erforderlichen Studie hat die FDA bislang jedoch keine Vorgaben gemacht. Zunächst soll Aducanumab bei Patientinnen und Patienten mit milden Symptomen eingesetzt werden, mit positiven Biomarkern für eine Amyloidpathologie.

Über eine mögliche Behandlungsdauer oder eventuelle Intervalle, abhängig von den Amyloid-Werten, gibt es noch keine Erkenntnisse. Bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) hat Biogen ebenfalls eine Zulassung beantragt, einen äquivalenten Weg zum Accelerated Approval Pathway gibt es hier jedoch nicht. Die Entscheidung wird voraussichtlich nicht vor Beginn nächsten Jahres fallen.

Biogen-Medikament: ein Grund zur Hoffnung?

Die Ergebnisse der abgebrochenen Studien können also nur bedingt überzeugen. War die Zulassung trotzdem sinnvoll? Schulz kommt in seiner Einschätzung zu einem "ja", auch wenn der politische Druck durch Patientenverbände sicherlich die Entscheidung beeinflusst habe. "Solche Medikamente müssen früh und lange verabreicht werden, wenn sie eine Wirkung entfalten sollen. In den Studien ist der wesentliche Unterschied erst nach der 50. Woche erfolgt."

Dementsprechend sieht er die Möglichkeit, dass Aducanumab in der Langzeittherapie klinisch wirksam sein könnte, auch wenn ausreichende Belege bis dato dafür fehlen. Entsprechende Daten könne man durch die Zulassung in den USA nun gewinnen.

Quelle:
Schulz, Jörg B., Prof. Dr., Leiter der Klinik und Poliklinik Neurologische Klinik, RWTH: Datenlage zum Aducanumab – eine neue Ära der Alzheimer-Therapie?, DGN Kongress 2021, Düsseldorf, 05. November 2021.