Frühkindliche Demenzen – wie lässt sich die Diagnose bei NCL verkürzen? Logo of esanum https://www.esanum.de

Frühkindliche Demenzen – wie lässt sich die Diagnose bei NCL verkürzen?

NCL sind seltene, vererbte, bislang noch nicht heilbare Erkrankungen des Stoffwechsels. Wie eine Verkürzung der Diagnosezeiten erreicht werden könnte, war Thema eines Symposiums auf der 115. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder-und Jugendmedizin (DGKJ) in München.

NCL – ein Fall für das Neugeborenen-Screening?

Neuronale Ceroid-Lipofuszinosen (NCL) sind seltene, vererbte, bislang noch nicht heilbare Erkrankungen des Stoffwechsels und gehören zu den lysosomalen Speicherkrankheiten. Sie werden auch als "Kinderdemenz" bezeichnet. Charakteristisch sind fortschreitender geistiger Abbau, Epilepsie und Degeneration der Netzhaut. Zugrunde liegt eine Ablagerung von Ceroid-Lipofuscin in Gehirn und Retina. Meist tritt die Krankheit im Alter von 1 bis 8 Jahren auf, die maximale Neuerkrankungsrate liegt bei 1:30.000. Bis eine NCL diagnostiziert ist, dauert es in der Regel Jahre. Wie eine Verkürzung der Diagnosezeiten erreicht werden könnte, war Thema eines Symposiums auf der 115. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder-und Jugendmedizin (DGKJ) in München.

Diagnostische Odyssee mit diversen Fehldiagnosen

Von einer diagnostischen Odyssee berichtete Dr. Andrea Thulfaut, Kinderärztin und Mutter von drei Kindern mit NCL. Ihre beiden Mädchen wirkten wie gesunde Zwillinge, wiesen unauffällige Vorsorgeuntersuchungen auf, fingen lediglich ein bisschen spät an zu sprechen, waren sogenannte "late talker". In der ersten Klasse kommen sie nicht richtig mit, schlafen schlecht, sind unzufrieden und ängstlich. Als mit sieben Jahren Blendungsempfindlichkeit auftritt, die Mädchen die Augen zukneifen, Gläser umstoßen, stolpern und massive Lernschwierigkeiten zeigen, diagnostiziert der Augenarzt Hyperopie und Astigmatismus, Visus 0,3.

Doch Brillen helfen nicht. Der zweite Augenarzt diagnostiziert eine "psychosomatische Sehblockade", eine Überweisung in die Augenklinik ergibt einen Visus 0,6 bis 0,8 mit "unklarer Diagnose". Die Mädchen beginnen eine Verhaltenstherapie, wiederholen die zweite Klasse. Ein dritter Augenarzt diagnostiziert ebenfalls eine "psychosomatische Sehblockade" und einen Visus < 0,2.

Die Mädchen sind achteinhalb Jahre alt, als M. Stargardt (juvenile Makuladegeneration) diagnostiziert wird. Sie erhalten Lupen und Tafelbildkameras, werden in der Schule durch den sozialpädagogischen Dienst betreut. Doch die Schlafstörungen und die Schulprobleme halten an. Ein vierter Augenarzt diagnostiziert einen Visus von 0,1. Bei den Geschwisterkindern ist die genetische Abklärung von M. Stargardt negativ. Auf Initiative der Eltern wird die Suche auf alle erblich bedingten Augenerkrankungen durch Panel-Diagnostik ausgeweitet und ergibt schließlich: Neuronale Ceruidlipofuszinose Typ 3.

Die Mädchen werden alle Fähigkeiten verlieren, inklusive Sprache und Motorik. Sie werden auf den Rollstuhl angewiesen sein und Schluckstörungen bekommen, die eine Ernährung mit der Magensonde erforderlich machen. Bis zur Diagnose hat es 3 Jahre gedauert. Hinzu kommen Fehldiagnosen und durch die Empfehlungen "Abwarten, Kontrolle" blieb auch die Vermittlung an Spezialisten aus. Der Sehtest in der Augenklinik (Visus 0,6 -0,8) zeige, dass man eher einem Test glaube als PatientInnen, so Thulfaut.

Weshalb eine rasche Diagnose wichtig ist

Auch wenn die Krankheit nicht ursächlich behandelbar ist, ist eine rasche Diagnosestellung wichtig, machte Dr. Christine Mundlos, ACHSE eV. Berlin, deutlich. Ohne Diagnose kann keine Krankheitsprognose, keine Krankheitsbewältigung und keine Patientenselbsthilfe erfolgen. Liegt keine Diagnose vor, erschwert das die Familien- und Berufsplanung. Ohne Diagnose ist auch kein Zugang zu Forschung und Therapie möglich, kein Nutzen von neuen Erkenntnissen zur Erkrankung, und es drohen Probleme mit Krankenkassen und Ämtern. Mundlos warb dafür, PatientInnen frühzeitig an Zentren für Seltene Erkrankungen (ZSE) vorzustellen.

Frühsymptome, die man nicht ignorieren sollte

Welche NCL-Frühsymptome man nicht ignorieren sollte stellte Dr. Eva Wibbeler vom UKE Hamburg klar. Es gibt 13 genetisch verschiedene NCLs, 12 davon werden autosomal-rezessiv vererbt. Alle NCL-Formen weisen die Hauptsymptome Demenz, Visusverlust durch Retinopathie und Epilepsie auf.

Die CLN2 ist darunter die erste therapierbare NCL. Die Kinder erkranken häufig zwischen dem zweiten und fünften Lebensjahr. Frühsymptome sind eine Verzögerung der Sprachentwicklung und Epilepsie. Bei Verdacht auf eine CLN im Kleinkindalter sollten Enzymtests (Palmitoyl-Protein-Thioesterase auffällig bei CLN1 und Tri-Peptidyl-Peptidase bei CLN2) durchgeführt werden. Sind die Tests unauffällig, sollte in Gewebeproben nach den charakteristischen Ablagerungen, den Ceroid-Lipofuszinen, gesucht werden.

Treten beim Neugeborenen Epilepsie und Mikrozephalie auf, sollte die Aktivität von Cathepsin D in Leukozyten oder Fibroblasten gemessen werden. Bei eindeutig verringerter Aktivität steht die Diagnose CLN 10 fest, doch sollte zusätzlich eine Mutationsanalyse des betroffenen Gens erfolgen.

Wird beim Kleinkind ein Entwicklungsstillstand oder eine Regression beobachtet mit oder ohne Epilepsie unklarer Genese, sollten als erstes Enzymtests gemacht werden. Sind die Tests unauffällig, sollte elektronenmikroskopisch in Gewebeproben nach Ceroid-Lipofuszin-Ablagerungen gesucht werden.

Wenn beim Schulkind ein Visusverlust mit oder ohne Epilepsie auftritt, sollte ein Blutausstrich auf Lymphozytenvakuolen untersucht werden. Sind die vorhanden, gilt die Diagnose der juvenilen CNL (CNL 3) als sicher. Zusätzlich kann eine molekulargenetische Analyse des CLN3-Gens erfolgen. Bei keiner Mutation sollte an atypische Formen (z.B. protrahierter Verlauf einer CLN1 oder CLN2) oder andere Mutationen (z.B. CLN8 oder CLN9) gedacht werden. Zur Diagnosesicherung der CLN sollte in Gewebeproben nach Ceroid-Lipofuszinen gesucht werden. Wichtig: Bei CLN3 tritt als erstes Symptom der Visusverlust auf.

Man sollte an NCL denken beim kombinierten Auftreten von:

Ein dringender Verdacht besteht bei zwei kombinierten Symptomen. Dabei ist die initiale Entwicklung der Kinder meist völlig altersgerecht. Bei ersten Krampfanfällen und Sprachentwicklungsverzögerung: Vorsicht CLN2 und bei zunehmender Sehschwäche im Schulalter: Vorsicht CLN3.

Ist NCL ein Fall für ein Neugeborenen-Screening?

Ist ein Neugeborenen-Screening auch für NCL sinnvoll? Der Frage ging Dr. Uta Nennstiel vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit nach. Das Neugeborenen-Screening in Deutschland ist ein Erfolgsmodell. Wenngleich noch nicht flächendeckend gewährleistet sei, dass alle auffälligen Befunde auch abgeklärt werden. Als Voraussetzungen für die Einführung neuer Zielkrankheiten sieht Nennstiel:

Referenzen:
115. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft Kinder-und Jugendmedizin Kongresszentrum München 2019