Das ist ein durchaus reizvolles, subtiles Thema. Soll es bedeuten, dass nur Gesunde Sport machen? Und alle anderen machen gar nichts? So einfach ist es ja nicht. Und umgekehrt: Macht Sport gesund? Dazu gibt es sehr spannende Daten: Laut Bewegungsstudie der Techniker Krankenkasse im Jahr 2022 macht ein Drittel aller Deutschen regelmäßig Sport. 37 Prozent der Befragten bewegen sich mehr als eine Stunde am Tag. Danach sind es überwiegend gesunde und fitte Personen, die Sport treiben. Aber fast jeder Dritte bewegt sich täglich weniger als eine halbe Stunde. Viele dieser Personen sind mit Risikofaktoren behaftet. Die meisten von ihnen sehen, gelinde gesagt, auch nicht schlank und fit aus wie Marathonläufer. Die Master Heart Study von 2023 zeigt im Gegenzug, dass auch das extremes Training gesundheitliche Risiken birgt. Im Herz-CT vieler Extremsportler, zum Beispiel bei Rennradfahrern, zeigt sich eine deutliche Kalkbelastung der Herzkranzgefäße. Moderater Ausdauersport ist hingegen eindeutig von Vorteil: Die Gesamtmortalität und die kardiovaskuläre Sterblichkeit können dadurch reduziert werden. Wir beobachten allerdings eine U-Kurve: Ab 2000 Kilokalorien, die pro Woche im Rahmen von sportlichen Freizeitaktivitäten verbrannt werden, geht die Kurve in puncto kardiovaskuläre Risiken wieder nach oben. Extreme sind nicht gut, nicht für die Knochen und auch nicht für die Herzkranzgefäße. Die immer wiederkehrenden Reize des Sports können Spuren an den Herzkranzgefäßen hinterlassen. Und bei zu wenig Regenerationszeit kann das vom Körper nicht kompensiert werden.
Freizeitsport ist hocheffektiv. Am meisten profitieren Menschen mit kardiovaskulären Risikofaktoren oder Erkrankungen, die ursprünglich eher immobil sind und die man motivieren kann, körperlich aktiver zu werden. Große Studien, zum Beispiel die Stability Studie, zeigen an über 15.000 Patienten mit koronarer Herzerkrankung, dass beim Trainingseinstieg nach vorhergehender Passivität die höchste Verbesserungsquote erzielt wird. Eine ganz aktuelle Studie zeigt nun sogar, dass jeder Schritt zählt. Es müssen nicht 10 000 Schritte sein, bevor sich ein Benefit einstellt. An 226 000 Teilnehmern wurde gezeigt, dass ab täglich 3867 Schritten die Gesamtmortalität sinkt. Das wurde über 7 Jahre kontrolliert. Bei weiteren 1000 Schritten geht die Gesamtmortalität jeweils um 15 Prozent zurück. Und bei weiteren 500 Schritten geht die kardiovaskuläre Mortalität um 7 Prozent zurück. Auch hier zeigt sich der größe Effekt, wenn jemand von Null beginnt und sich langsam in Richtung 5000 Schritte steigert.
Im DKV-Report “Wie gesund lebt Deutschland?” wurden in Kooperation mit der Deutschen Sporthochschule Köln die durchschnittlichen Sitzzeiten der Deutschen errechnet: Es sind 9,2 Stunden pro Tag. Das ist eigentlich ungeheuerlich. Beim ESC Kongress wurde eine weitere spannende Studie dazu vorgestellt. Hier wurden die Sitzzeiten von Jugendlichen mit Activity Trackern gemessen. Bei Elfjährigen waren es 6 Stunden. Ab dann steigen die Sitzstunden weiter an. Der schädliche Einfluss auf das Herz ist bereits deutlich geworden: Die Herzen werden mit der Zeit größer und schwerer. Das bedeutet eine Zunahme an linksventrikulärer Masse. Und diese ist eng assoziiert mit dem späteren Auftreten von kardiovaskulären Ereignissen.
Gerade Jugendliche müssen an körperliche Aktivität herangeführt werden. Je früher man die Inaktiven in die Aktivität bringt, desto höher ist ihr Benefit. Wir machen zum Beispiel die Aktion “Bremen läuft 10”, an der Personen, die bisher wenig körperlich aktiv waren, teilnehmen. Sie trainieren mit einem Lauftrainer in kleinen Trainingsgruppen. Mit dem Ziel, in zehn Wochen die Fitness so zu steigern, dass sie zehn Kilometer laufen können. Die Stadt hat mit einem tollen, übergewichtigen Testimonial tatsächlich mitgefiebert, als sie nach zwei Wochen zunächst zwei Kilometer geschafft hatte und das Ziel zum Schluss wirklich erreicht hat. Ganz Bremen hat ihr applaudiert. Diese Laufgruppen bleiben häufig bestehen. Der erste Benefit sind eine bessere mentale Fitness und mehr soziale Kontakte. Das stärkt insgesamt das Lebensgefühl.
Die Empfehlung der DGK, mindestens vier- bis fünfmal pro Woche dreißig Minuten Aktivität, ist den meisten Patienten schwer zu vermitteln. Aber wenn wir sagen, 3000 bis 4000 Schritte auf dem Schrittzähler sind ein toller Erfolg - das holt Frau und Mann eher hinterm Ofen vor. Natürlich hat derjenige, der die angestrebten 10 000 Schritte erreicht, die niedrigste kardiovaskuläre Mortalität, aber die Zahl 10 000 kann auch abschrecken. Das ist insgesamt sehr viel. Die beste Nachricht für alle, die etwas tun möchten, sich aber noch einen kleinen Ruck geben wollen, ist tatsächlich: Jeder Schritt zählt. Und wer aus einer körperlichen Inaktivität in die Aktivität kommt, profitiert sofort und messbar. Das gilt gerade in der Anfangsphase - von Null auf 4000. Das zu wissen, senkt die Hürden und stärkt die Motivation.
Es geht ja nicht um intensive körperliche Aktivität, sondern um moderates Ausdauertraining, kombiniert mit Krafttraining - aber auch das niedrig dosiert. Wir sprechen nie vom hochdosierten oder gar kompetitiven Sport, das ist für Herzkranke sowieso nicht sinnvoll. Die Jungen, Gesunden können natürlich intensiv trainieren - wenn sie Regenerationsphasen einhalten. Moderates Ausdauertraining bedeutet, dass man sich dabei noch gut unterhalten kann.
Prof. Dr. Rainer Hambrecht ist Facharzt für Innere Medizin, Angiologie und Intensivmedizin. Er ist Chefarzt der Medizinischen Klinik II (Kardiologie, Angiologie und internistische Intensivmedizin) am Herzzentrum Bremen, Klinikum Links der Weser. Außerdem ist Herr Prof. Hambrecht seit 2005 Sprecher der Arbeitsgruppe Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie. Er erhielt zahlreiche nationale und internationale Preise für seine Leistungen in Forschung und Lehre.
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