esanum: Dr. Maier, warum ist die Debatte um die ärztliche Suizidassistenz so schwierig und immer noch weit entfernt von einem Ergebnis?
Dr. Maier: Wir haben eine klare rechtliche Ausgangslage: nämlich keine dezidierte gesetzliche Regelung. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass der selbstbestimmte Tod ein Grundrecht ist. Wenn also der Suizid kein Straftatbestand ist, kann die Beihilfe zum Suizid auch nicht strafbewehrt sein. Daher ist die Handlungsfreiheit in Bezug auf Suizidassistenz nicht eingeschränkt. Zugleich gibt es eine Sehnsucht nach Rechtssicherheit. Und die wird ohne verbindliche gesetzliche Regelung nicht erfüllt. Ich denke, dass die bisher diskutierten Gesetzentwürfe keine wirkliche Kompetenz für den Umgang mit diesem besonderen Thema zeigten. Daher finde ich es gut, dass keiner bislang umgesetzt wurde. Hinzu kommt, dass im Hintergrund auch eine Wertedebatte steht. Es geht um Selbstbestimmung, um ein Leben in Angewiesenheit und nicht zuletzt auch um Ressourcen. Das zusammen macht die Debatte zum Teil sehr emotional.
esanum: Es braucht also gar kein Gesetz zur ärztlichen Suizidassistenz?
Dr. Maier: Wir haben eine gesetzliche Grundlage, aber viele tun sich schwer mit dieser liberalen Regelung. Die Frage bleibt: wie geht man damit verantwortungsvoll um? Die verbreitete Verunsicherung bedeutet zugleich, dass wir völlig zu Recht mit Vorsicht an dieses Thema herangehen. Es gibt hier keinen Algorithmus, so wie in anderen medizinischen Bereichen. Es gibt auch keine Indikation für Suizidassistenz.
esanum: Mit welcher ärztlichen Haltung kann man als Arzt mit dem Sterbewunsch eines Patienten umgehen?
Dr. Maier: Es ist in jedem Fall ärztliche Aufgabe, den Sterbewunsch verstehen zu wollen, zu hinterfragen: Warum bist du, mein Patient, an diesen Punkt gekommen? Oft sind es körperliche Belastungen, oft Zukunftsängste, auch Beziehungsschwierigkeiten. Das sind Punkte, die durchaus beeinflussbar sind. Die unbestrittene Aufgabe ist, Suizidprävention zu betreiben. Die Frage ist dann: Was könnten wir gemeinsam tun, um deine Situation zu verbessern? Der Arzt kann zeigen: Es berührt mich, dass du den Tod als höherwertig empfindest, als am Leben zu sein. Und die zweite Frage ist dann, ob es ärztliche Aufgabe sein kann, bei der Umsetzung des Sterbewunsches behilflich zu sein - wenn er trotz aller Versuche, die Situation zu verbessern, weiter besteht. Hier gibt es einen Mitwirkungsvorbehalt: kein Arzt kann dazu verpflichtet werden. Denn wenn es eine solche Pflicht gäbe, träfe sie auch auf andere Menschen zu. Das kann nicht allein Ärzten überlassen sein, nur weil sie über das medizinische Wissen verfügen.
esanum: Wie viele ärztliche Kollegen sind grundsätzlich bereit, unter Umständen beim Suizuid zu helfen?
Dr. Maier: Das variiert sehr stark von der Fragestellung in entsprechenden Umfragen - die methodisch oft genug unsauber sind. Das schwankt zwischen 10 und 30 Prozent. Die Mehrheit ist verunsichert und sucht noch nach einer Position. Der Schwerpunkt des ärztlichen Selbstverständnisses liegt weiterhin in der Suizidprävention. Im Unterschied zum Suizidassistenzgesetz wurde das Suizidpräventionsgesetz ja verabschiedet. Dazu gehört beispielsweise, dass genug Hospizangebote und eine flächendeckend wirksame Palliativversorgung überhaupt verfügbar sind.
esanum: Was gehört alles zu einer guten Beratung, wenn es um das Lebensende geht?
Dr. Maier: Zum einen gehört dazu, daran zu erinnern: Wie kann ich für mich selbst Vorsorge treffen? Das berührt die Vorsorgevollmacht und die Patientenverfügung. Der Arzt kann dabei unterstützen, Selbstwirksamkeit zu bewahren. Da geht es um Beratung zu Fragen, die auch sorgebesetzt sind.
Man wird auf Unterstützungsangebote im sozialen Umfeld hinweisen. Einfaches Beispiel: Wenn hochbetagte Menschen nicht mehr Autofahren können, verlieren sie ihre Mobilität und die soziale Einbindung. Wenn ich rechtzeitig zusammen überlege, wie man einen Fahrdienst, Nachbarschaftshilfe und ähnliches organisieren kann, ist viel getan, um die Situation zu verbessern. Hinzu kommt natürlich, über das Sterben aufzuklären, aufzuzeigen, wo und wie Unterstützung in der unmittelbaren Sterbephase zu finden ist. Und wenn der Suizidwunsch geäußert wird, sollte auch das Thema Suizidassistenz nicht ausgespart oder tabuisiert werden.
esanum: Das klingt nach zeitaufwändigen Gesprächen. Werden sie finanziell überhaupt genügend abgebildet?
Dr. Maier: Natürlich nicht so, wie es wünschenswert wäre. Aber es gibt Bemühungen, das mit dem Suizidpräventionsgesetz zu verbessern. Allerdings sehe ich es auch so: Wenn ich mir einmal die Zeit nehme, die Grundsatzfragen gründlich, konsequent und in der nötigen Tiefe zu kommunizieren, spare ich an anderen Stellen massiv Zeit ein. Ich brauche nicht endlos Zeit, sondern muss effektiv vorgehen.
esanum: Was kann der Palliativarzt wirklich für seine Patienten tun?
Dr. Maier: Zunächst: den Patienten ernst nehmen. Hier haben wir einmal nicht den biologischen Wissensvorsprung, mit dem wir klare Ansagen machen können. In der Palliativmedizin kehrt sich das Verhältnis dahingehend um, dass wir aktiv abfragen und zuhören, um dann zu schauen, was passt? Was stärkt, was macht Freude? Die Haltung ist: Weg von Befunden - hin zum Befinden. Wir brauchen einerseits klinische Souveränität und andererseits die Neugier, diesen einen Menschen so kennenzulernen, dass wir ein individuelles, bestmögliches Konzept für ihn finden. Man lebt nicht für die Therapie, sondern macht Therapie um zu leben. Daran müssen wir erinnern. Und auch darüber reden: Was macht für dich Lebendigkeit aus?
esanum: Wie wird man Palliativarzt? Wie war es bei Ihnen persönlich?
Dr. Maier: Es gibt eine Zusatzbezeichnung Palliativarzt und wir setzen uns dafür ein, dass das als Facharzt anerkannt wird. Palliativmedizin ist zunehmend auch als Pflichtfach verankert.
Ich selbst hatte den ersten Impuls für diese Richtung, als ich Medizinstudent war und meine Großmutter im Sterben lag. Die Diskrepanz zwischen dem, was wünschenswert wäre und dem, was ich im familiären Umfeld erlebt habe, hat meine Neugier geweckt, diese scheinbar unvereinbaren Dinge unter einen Hut zu bringen.
esanum: Was wünschen Sie sich von der Gesellschaft, wie kann sie mit dem Sterben besser umgehen?
Dr. Maier: Ich wünsche mir, dass wir neben der Vergötzung der Autonomie, die wir momentan erleben, uns als solidarische Gesellschaft zeigen. Schwäche und Angewiesensein sollten weniger als Makel empfunden werden, sodass es klare und starke Angebote gibt, sich gegenseitig zu unterstützen. Das kommt mir ein bisschen zu kurz. Schön wäre mehr Mut zur Weichheit.
Dr. med. Bernd Oliver Maier ist Chefarzt der Medizinischen Klinik III - Palliativ und Onkologie - am St. Josefs-Hospital in Wiesbaden. Als Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie, internistische Onkologie und Palliativmedizin hat er sich auf die Versorgung schwerkranker Patienten spezialisiert. Teil der Klinik ist das JoHo Krebszentrum, zu dessen klinischem Ethikkomitee Maier als Mitglied angehört.