esanum: Herr Professor Müller-Wieland, Ihre aktuelle Studie beleuchtet ja die Versorgungslandschaft der Inneren Medizin. Eine erfreuliche Erkenntnis ist, dass das Fachgebiet wächst und jünger sowie weiblicher wird. Können Sie uns diese Entwicklung näher erläutern?
Prof. Müller-Wieland: Ja, das ist definitiv eine sehr positive Nachricht. Sie zeigt, dass die Innere Medizin als großes und zentrales Fachgebiet weiterhin bei der jüngeren Generation Anklang findet. Und natürlich freuen wir uns über den zunehmenden Anteil junger Kolleginnen und Studentinnen, was einen wichtigen Generationswechsel signalisiert. Das ist ein gutes Zeichen für die Zukunft unseres Faches.
esanum: Gleichzeitig geschieht diese positive Entwicklung ja vor dem Hintergrund einer alternden Gesellschaft und vieler Internisten, die bald in den Ruhestand treten. War dies der Ausgangspunkt Ihrer Analyse?
Prof. Müller-Wieland: Genau. Es gab viele Eindrücke und Diskussionen, aber wenig konkrete Zahlen. Daher war es uns wichtig, die Fakten zu analysieren, um eine fundierte Grundlage für Diskussionen und mögliche Reaktionen zu schaffen. Die Identifizierung der zentralen Themen ist der erste Schritt, um gegebenenfalls auch steuernd einzugreifen. Der Generationswechsel ist ein wichtiger Punkt, ebenso die Zunahme von Teilzeitbeschäftigung, auf die wir uns einstellen müssen.
esanum: Was würden Sie als den herausragendsten Befund Ihrer Studie zusammenfassen?
Prof. Müller-Wieland: Neben dem bereits erwähnten Wachstum und der Verjüngung der Inneren Medizin gibt es zwei weitere wichtige Punkte. Zum einen die zunehmende Rolle der hausärztlich tätigen Internisten in der primärärztlichen Versorgung. Fast jeder vierte Patient in diesem Bereich wird von einem Internisten betreut. Zum anderen die erheblichen regionalen Unterschiede sowohl auf personeller als auch struktureller Ebene. Die Studie zeigt, dass das Angebot und die Fallzahlen in den verschiedenen Schwerpunkten der Inneren Medizin regional stark variieren, was wahrscheinlich nicht allein durch den medizinischen Bedarf zu erklären ist. Einige Schwerpunkte, wie die Geriatrie, nehmen zu, während andere, eher querschnittsorientierte Fächer wie Endokrinologie und Rheumatologie, tendenziell abnehmen.
esanum: Ihre Studie deutet also an, dass die flächendeckende Versorgung nicht überall zufriedenstellend ist, insbesondere in spezialisierten Bereichen wie der Rheumatologie.
Prof. Müller-Wieland: Ja, aus meiner Sicht liegt es nahe, dass neben dem reinen Bedarf auch die vorhandene Struktur das Versorgungsangebot maßgeblich beeinflusst.
esanum: Der von Ihnen untersuchte Zeitraum war 2010 bis 2020. In dieser Zeit stieg die Zahl der Internisten, aber nicht die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden. Was bedeutet das?
Prof. Müller-Wieland: Das deutet u.a. darauf hin, dass es mehr Teilzeit gibt.
esanum: Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus den erhobenen Daten?
Prof. Müller-Wieland: Der Zweck der Studie war die Analyse der Versorgungslandschaft. Gesundheitsstrategisch müssen wir als Fachgesellschaft untersuchen, warum es solche regionalen Unterschiede in der Versorgung der einzelnen Schwerpunkte gibt. Ein Kernproblem ist das drohende Verschwinden bestimmter Fachbereiche wie Infektiologie, Endokrinologie/Diabetologie und Rheumatologie sowie Angiologie. Hier müssen wir gegensteuern. Wir brauchen eine Bedarfsanalyse und müssen sicherstellen, dass die Versorgung nicht zufällig durch noch vorhandene Spezialisten erfolgt, sondern strukturiert und flächendeckend gewährleistet wird. Es kann keine derart großen Unterschiede in der Schwerpunktversorgung zwischen verschiedenen Regionen geben. Hier ist eine gesundheitspolitische Steuerung notwendig.
esanum: Nun stehen wir ja vor der Krankenhausreform. Was erwarten Sie oder was muss hier passieren, um die Versorgung zu verbessern?
Prof. Müller-Wieland: Die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin bringt sich seit drei Jahren aktiv in den Prozess der Krankenhausreform ein. Wir haben regelmäßige Gespräche mit den verschiedenen Schwerpunktgesellschaften. Aktuell diskutieren wir die Leistungsgruppen. Hier sehen wir einen Ansatzpunkt, um sicherzustellen, dass die Schwerpunkte nicht regional und strukturell bedingt, sondern medizinisch sinnvoll abgebildet werden, um eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. Das ist der Schlüssel, und hier müssen wir weiterhin in die politische Diskussion gehen.
esanum: Was kann man konkret tun, wenn in ländlichen Regionen beispielsweise die Rheumatologie unterrepräsentiert ist?
Prof. Müller-Wieland: Zunächst muss man analysieren, wo die Patienten sind und wie die regionale Versorgung aussieht. Unsere Analyse aus der übergeordneten Perspektive zeigt ja, dass es in bestimmten Regionen keine entsprechenden Angebote gibt. Dann muss man gezielt die qualitätsorientierte Versorgung in den einzelnen Regionen sicherstellen. Das setzt natürlich auch genügend Strukturen, Nachwuchs, Studierende und Forschung voraus. Wenn ein Schwerpunkt unter einen bestimmten Grenzwert zu fallen droht, ist das ein Alarmsignal. Da Gesundheitspolitik regional ist, müssen wir mit den Akteuren in den einzelnen Bundesländern – Gesundheitsministerien, Krankenkassen, Krankenhausträgern, KVen – in den Dialog treten und die Dinge konkret angehen.
esanum: Welche Steuerungsmechanismen sehen Sie, um beispielsweise mehr Rheumatologen in unterversorgte Gebiete zu bringen?
Prof. Müller-Wieland: Dann muss man bedarfsorientiert vorgehen, was regional sehr unterschiedlich sein kann. Ein konkreter Vorschlag wäre die Sicherstellung bestimmter Leistungsgruppen und einer ausreichenden Anzahl von Spezialisten in bestimmten Krankenhäusern. Auch die transsektorale Versorgung muss gestaltet oder gegebenenfalls angepasst werden.
esanum: Abschließend, Herr Professor Müller-Wieland, die wachsende und jünger werdende internistische Medizin klingt hoffnungsvoll. Sehen Sie trotz der genannten Herausforderungen optimistisch in die Zukunft?
Prof. Müller-Wieland: Das eine hat mit dem anderen nicht zwingend direkt etwas zu tun. Das Wachstum und die Verjüngung sind eine Feststellung. Ob wir genügend Ärzte haben, lässt sich daraus nicht direkt ableiten. Der Optimismus bezieht sich eher auf das Potenzial, das in der Weiterentwicklung des Faches und der Anpassung an neue Gegebenheiten liegt. Die Herausforderungen in der regionalen Versorgung und der strukturellen Gestaltung müssen wir jedoch entschieden angehen, um eine flächendeckende und qualitativ hochwertige Versorgung sicherzustellen. Zudem sehe ich die Notwendigkeit weiterer, größerer Schritte, insbesondere im Hinblick auf die Sektorengrenzen, Weiterbildung und Personalbemessung und Sicherstellung von sogenannten Querschnittsfächern.
Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland ist Experte für Endokrinologie und Diabetologie an der Medizinischen Klinik I des Universitätsklinikums Aachen. Sein klinisch-wissenschaftlicher Fokus liegt auf dem Zusammenhang zwischen Genregulation, Fettstoffwechsel, Insulinresistenz und kardiovaskulärem Risiko. Nach einem Forschungsaufenthalt am Joslin Diabetes Center der Harvard Medical School leitete er von 2006 bis 2015 die Klinik für Innere Medizin an der Asklepios Klinik St. Georg in Hamburg und war Gründungsdekan der Asklepios Medical School. Professor Müller-Wieland engagiert sich intensiv in der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG), deren Präsident er von 2017 bis 2019 war.