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Diabetes-Subtypen und ihre Bedeutung in der Praxis

Schwere und moderate Subtypen des Diabetes mellitus Typ 2 zu kennen, ist verlaufsentscheidend und therapierelevant. Wie man Unterschiede am besten erkennt, erklärt Prof. Dr. med. Andreas Fritsche.

Anhand der Diabetes-Subtypen über die Therapie entscheiden

Interview mit Prof. Dr. med. Andreas Fritsche auf dem DDG-Kongress 2022 

esanum: Herr Prof. Fritsche, den meisten Kolleginnen und Kollegen ist die Unterscheidung nach Diabetes mellitus Typ 1 und Typ 2 vertraut. Inwieweit reicht diese Unterscheidung im Praxisalltag therapeutisch nicht aus?

Prof. Fritsche: Die Unterscheidung zwischen Typ 1 und Typ 2 Diabetes ist wichtig, da der Typ 1 Diabetes ein Leben lang insulinpflichtig ist. Wird das Insulin beim Typ-1-Diabetiker abgesetzt, wird es schnell lebensgefährlich für ihn. Auf der anderen Seite fallen fast 95% unserer täglichen Patientinnen und Patienten in die Kategorie des Diabetes mellitus Typ 2. Und genau da sehen wir unterschiedliche Diabetes-Verlaufsformen, oder Subtypen, wie wir das heute nennen. All diese verschiedenen Subtypen unterscheiden sich sowohl in der Pathophysiologie als auch in den Folgeerkrankungen sowie letztendlich in der Therapiewahl, haben somit einen großen Einfluss auf die tägliche Diabetes-Praxis.   

esanum: Beim Erwachsenen-Diabetes werden seit 2018 gemäß einer schwedischen Studie drei schwere und zwei mildere Verlaufsformen unterschieden. In welcher Weise ist das relevant für Ärztinnen und Ärzte, z. B. in der Therapieplanung? 

Prof. Fritsche: Die Unterscheidung in schwere und moderate Verlaufsformen beim Diabetes Typ 2 sind prinzipiell gut und auch richtig. Allerdings darf hier nicht der Eindruck entstehen, dass die vermeintlich leichteren oder moderaten Diabetes-Verläufe weniger therapeutische Aufmerksamkeit verdienen würden. Der Hauptunterschied zwischen den schweren und moderaten Verlaufsformen liegt darin, dass die schweren Verläufe höhere HbA1c-Werte und ein größeres Risiko für Folgeerkrankungen mitbringen. Innerhalb eines Jahrzehnts werden wir den Schätzungen zufolge etwa 12 Millionen Diabetikerinnen und Diabetiker haben. Das bringt mit sich, dass wir uns um die schweren Fälle ganz besonders kümmern müssen – Patientinnen und Patienten also, die ein hohes Risiko für Folgekrankheiten haben. 

esanum: Welche der Diabetes-Subtypen haben das höchste Risiko für Folgeerkrankungen, wie z. B. eine diabetische Nierenerkrankung?

Prof. Fritsche:  Wir unterscheiden heutzutage fünf Verlaufsformen. Zum einen gibt es den schweren Autoimmundiabetes (SAID), der in etwa einem Typ-1-Diabetes entspricht, der sich im Erwachsenenalter manifestiert. Der zweite Typ ist der schwere insulindefiziente Diabetes (SIDD), bei dem Patientinnen und Patienten unter einem schweren Insulinmangel leiden und daher früh eine Insulintherapie benötigen. Der dritte Typ ist der schwere insulinresistente Diabetes (SIRD). Hinzu kommen noch die beiden moderaten Formen, der mit Übergewicht assoziierte MOD (mild obese diabetes) sowie der altersabhängige MARD (mild age related diabetes). Für die diabetische Nierenerkrankung ist insbesondere der SIRD relevant, der mit starkem Übergewicht, Leberverfettung und einer Insulinresistenz einhergeht. Bei diesem schweren Verlauf ist zudem die Nierenschädigung bereits angelegt, bevor sich der eigentliche Diabetes manifestiert hat. 

esanum: Seit einigen Jahren definieren wir in der Praxis auch den sogenannten Prädiabetes. Gibt es dabei ebensolche Subtypen und welche Konsequenz haben diese für die Patienten?

Prof. Fritsche: Wenn es verschiedene Subtypen beim Diabetes mellitus Typ 2 gibt, liegt der Gedanke nahe, dass es diese Subtypen auch schon auf dem Weg zum manifesten Diabetes geben müsste. Und tatsächlich bestätigten eigene Studien, dass schon der Prädiabetes verschiedene Wege einschlagen kann und wir deshalb heute ebenfalls von Prädiabetes-Subtypen sprechen. So gibt es beispielsweise einen Hochrisiko-Prädiabetes, der sehr schnell in einen manifesten Diabetes mellitus Typ 2 übergeht. Ein Prädiabetes mit beginnender Nierenerkrankung geht überdies häufig in einen Diabetes mellitus vom SIRD-Typ über, weshalb betroffene Patientinnen und Patienten frühzeitig behandelt werden sollten.

esanum: Was empfehlen Sie Kolleginnen und Kollegen aus Ihrem Arbeitsalltag heraus, um nicht selbst zum Diabetiker/zur Diabetikerin zu werden?

Prof. Fritsche: Das ist die Frage nach der Prävention und die hat in der Tat zwei Seiten: nämlich eine gesundheitspolitische und eine individuelle. Politisch betrachtet, brauchen wir natürlich bessere Rahmenbedingungen, um uns alle mehr im Alltag bewegen zu können, um gesünder zu essen und um z. B. auch den Zuckerzusatz in den Getränken und Fertignahrungsmitteln deutlich zu reduzieren. Individuell und von Arzt zu Arzt würde ich sagen, dass vor allem diejenigen mit einem Prädiabetes vom Hochrisikotyp noch mehr vorsorgen müssen. Wir haben dazu eine Studie gemacht, die im Ergebnis zeigen konnte, dass mehr Bewegung „dosisabhängig“ beispielsweise auch bei einem Hochrisiko-Prädiabetes hilft, der Entstehung eines Diabetes vorzubeugen. Was viele Kolleginnen und Kollegen darüber hinaus oft vergessen: Diabetesprävention besteht nicht allein aus gesunder Ernährung, Gewichtsreduktion und mehr Bewegung. Genauso wichtig sind Stressabbau, gesunder Schlaf und psychische Ausgeglichenheit.
 

Anmerkung: Das Interview mit Prof. Dr. Andreas Fritsche führte die esanum-Redaktion anlässlich des DDG-Kongresses 2022.