Pathomechanismus neurodegenerativer Erkrankungen Logo of esanum https://www.esanum.de

Vom molekularbiologischen Pathomechanismus demenzieller neurodegenerativer Erkrankungen

Auf dem diesjährigen Berlin Brain Summit wurden Themen wie Demenzielle Syndrome und Nahtoderfahrungen interdisziplinär heiß diskutiert.

Die Demenz beginnt im Kleinen

Zu Beginn seines Vortrages gibt er dem Auditorium eine kurze Übersicht über die Ursachen verschiedener Demenzformen. Er hat dabei die neurodegenerativen Erkrankungen nicht nach ihrer Häufigkeit sortiert, sondern nach klinisch-pathologischen Gesichtspunkten. Gemein ist den folgenden Erkrankungen, dass sie sehr komplex und heterogen sind. Dies gilt für ihren Pathomechanismus, aber auch für ihre klinische Manifestation in Form verschiedener Subtypen und Mischformen. Folgende neurodegenerative Erkrankungen können Düzel zufolge mit einer Demenz assoziiert sein: 

Neurodegenerative Erkrankungen1

Neurodegenerative Erkrankungen sind in den meisten Fällen Proteinopathien

Neurodegenerative Erkrankungen besitzen eine heterogene, äußerst komplexe Ätiologie. In den meisten Fällen handelt es sich bei den neurodegenerativen Erkrankungen um Proteinopathien. Hier spielen vor allem Fehlfaltung (Funktionsstörung als Resultat), Fehllokalisation (Zyoplasma statt Nukleus) und Aggregation eine Rolle. Die Proteinopathie an sich ist jedoch nicht der einzige Baustein im Pathomechanismus neurodegenerativer Erkrankungen. Es können sich vaskuläre, inflammatorische und auch andere organübergreifende Pathophysiologien hinzugesellen.1

Lokalisation der Proteinaggregate spielt eine wichtige Rolle

Düzel ordnet die unterschiedlichen Proteinopathien nach der Lokalisation der Proteinaggregate ein. Diese können sich intrazellulär oder extrazellulär ansammeln.  Eine extrazelluläre Aggregation findet sich bei dem Amyloid-Plaque und der Amyloid-Angiopathie. Zu einer intrazellulären Proteinaggregation kommt es bei Taupathien, FUS-Proteinopathien, TDP-43-Proteinopathien und Synucleinopathien.1

Kombination neurodegenerativer Proteinopathien könnte prognostisch relevant sein

Düzel geht auf den Pathomechanismus der Proteinopathien näher ein und führt hierfür die 2019 erschienene Publikation der Gabor G. Kovacs auf. Kovacs hat ein Review zu Komorbiditäten bei neurodegenerativen Erkrankungen verfasst. Interessanterweise kommen komorbide Proteinopathien häufiger vor als bisher angenommen wurde. Dies gilt sowohl für erbliche als auch für sporadische neurodegenerative Erkrankungen. In den meisten Fällen treten zusätzliche Proteinopathien im Zusammenhang mit Morbus Alzheimer, der Lewy-Körperchen-Krankheit und der Proteinopathie des limbischen transaktiven Antwort-DNA-bindenden Proteins 43 auf. Ätiopathologisch relevant könnten gemeinsame Krankheitswege sowie der Einfluss genetischer Variationen sein. Hinzukommen noch der Alterungsprozess und mögliche synergistische Interaktionen der Proteine. Hat man eine Patientin/einen Patienten mit z. B. einem Morbus Alzheimer vor sich sitzen, so ist es wichtig, sich die Möglichkeit einer komorbiden Proteinopathie bewusst zu machen. Komorbide Proteinopathien können nicht nur den klinischen Verlauf beeinflussen, sondern auch Auswirkungen auf die Entwicklung von Biomarkern und Therapien haben.2

Unterschiedliche Tau-Formen bestimmen den Schweregrad einer Tauopathie wie Morbus Alzheimer

Düzel stellt dem Auditorium die wichtigsten Erkenntnisse der Forschungsgruppe um Cherry vor. In der unten aufgeführten Tabelle werden neurodegenerative Erkrankungen anhand ihrer molekularbiologischen Merkmale unterteilt:1,3

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Chronische traumatische Enzephalopathie und Morbus Alzheimer haben aus neurobiologischer Sicht viele Gemeinsamkeiten

Die chronische traumatische Enzephalopathie (CTE) ist genauso wie der Morbus Alzheimer eine Tauopathie. Diese fortschreitende neurodegenerative Erkrankung ist gekennzeichnet durch die Ablagerung von hyperphosphoryliertem Tau. Neuropathologische Merkmale sind in der Hirnrinde auffindbar. Ein wichtiges neuropathologisches Merkmal verschiedener Taupoathien wie auch des Morbus Alzheimer ist das Vorkommen von Tau im Hippocampus. Der Schweregrad der CTE kann sich anhand dieses Merkmals bestimmen lassen. Die Forschungsgruppe um Cherry hat mittels Immunfluoreszenzanalyse eine histologische Charakterisierung der 3R- und 4R-Tau-Isoformen bei CTE und Morbus Alzheimer untersucht. Bei beiden Erkrankungen konnten gemischte 3R- und 4R-Tau-Isoformen beobachtet werden. Interessanterweise zeigte sich bei leichter Erkrankung vor allem eine Ablagerung von 4R. Mit zunehmendem Schweregrad herrschte die 3R-Ablagerung bei beiden Erkrankungen vor. Die Ergebnisse von Cherry deuten darauf hin, dass bei gemischten 3R/4R-Tauopathien zu Beginn eine 4R-Dominanz besteht, die jedoch mit zunehmendem Schweregrad der Pathologie in eine 3R-Dominanz übergeht.1,3

Fazit für die Praxis:

Referenzen:
1. Düzel Emrah, Prof. Dr. med., Direktor des Instituts für Kognitive Neurologie und Demenzforschung (IKND) und Leiter der Klinischen Forschung am Standort Magdeburg, Ätiologien der verschiedenen Demenzformen, Demenzielle Syndrome – allgemeiner Teil, Berlin Brain Summit, CityCube Berlin, 14:00-14:30 Uhr, 31.05.2022.
2. Kovacs GG. Are comorbidities compatible with a molecular pathological classification of neurodegenerative diseases? Curr Opin Neurol. 2019 Apr;32(2):279-291. 
3. Cherry J.D. et al. Tau isoforms are differentially expressed across the hippocampus in chronic traumatic encephalopathy and Alzheimer’s disease.acta neuropathol commun 9, 86 (2021).