Psychiatrie & Philosophie: Was ist der Geist? Logo of esanum https://www.esanum.de

Der Geist als etwas Unfassbares

"Was ist der Geist eigentlich?" Mit dieser Frage wurde das Berlin Brain Summit eröffnet. Den ersten Vortrag mit dem Thema "Betrachtungen zu Geist und Gehirn aus philosophischer Sicht" hielt Prof. Dr. phil. Thomas Schramme.

Der Geist des Gegenübers

Wie können psychiatrische Erkrankungen aus philosophischer Sicht überhaupt erklärt werden? Ein Aspekt ist sicherlich neurobiologisch im Gehirn verankert. Die Betonung liegt hier bewusst darauf, dass es in der Entstehung psychiatrischer Krankheiten und Störungen mehr als einen Aspekt gibt. Aus philosophischer Sicht betrachtet ist ihr Ursprung durchaus facettenreicher. Der mangelnde Zugang zum Geist eines anderen Menschen stellt ein grundlegendes erkenntnistheoretisches Problem in der Erforschung psychiatrischer Krankheiten und Störungen dar. Wir haben kein direktes Wissen darüber, was - umgangssprachlich ausgedrückt - im Kopf eines anderen Menschen vor sich geht. Was wird gedacht? Was motiviert? Aus philosophischer Sicht stellt sich die Frage, ob die psychiatrische Krankheit einer anderen Person überhaupt existiert.

Der Geist ist etwas Unfassbares und so hat die psychiatrische Krankheit an sich keine Existenzort, den wir fassen können. In unserer Vorstellung, in unseren eigenen Köpfen stellen wir uns den Geist und die psychiatrische Krankheit des Gegenübers vor. Doch es stellt sich weiterhin die Frage der Existenz. Die neurobiologische Betrachtung des Geistes und psychiatrischer Erkrankungen liefert uns das Gehirn als Ort dieses komplexen Geschehens.1

Das Gehirn als sicherer Hafen im Umgang mit dem Geist

Ein essentielles ethisches Problem ist die Kommunikation. Wir können nicht genau wissen, was in unseren Patienten vorgeht. Manche Patienten können aufgrund ihrer psychiatrischen Krankheit gar nicht kommunizieren. Wir können nur vermuten, was in ihrem Geist vor sich geht. Es ist leicht auf das Gehirn Bezug zu nehmen in der Behandlung psychiatrischer Erkrankung. Es vermittelt uns ein Gefühl der Sicherheit im Umgang mit etwas so Unfassbarem wie dem Geist einer anderen Person. Eigentlich tappen wir im Dunkeln, unsere Schlussfolgerungen beruhen auf Vermutungen, die wir über den Geist des Gegenübers aufstellen. Schramme betitelt dieses ethische Problem als eine Anfälligkeit der Psychiatrie, wobei er dies nicht negativ meint.1

Wir projizieren geistige Phänomene auf das Gehirn. Diese reduktionistische Sichtweise ist Segen und Fluch zugleich in der Psychiatrie.1

Referenzen:
  1. Schramme, Thomas, Prof. Dr. phil., Berlin Brain Summit, Betrachtungn zu Geist und Gehirn aus philosophischer Sicht, B01 Eröffnungsveranstaltung - Betrachtungn zu Geist und Gehirn, CityCube Berlin, 12:00-13:00 Uhr, 31.05.2022