Wie lässt sich Demenz vorbeugen? Logo of esanum https://www.esanum.de

Demenzielles Syndrom: Immer mehr Stellschrauben zur Prävention

In Deutschland leben knapp 1,6 Millionen Menschen mit Demenz. Entsprechend intensiv wird die Erkrankung beforscht. Auf dem Berlin Brain Summit 2022 stellt der Neurologe Prof. Dr. Rejko Krüger ein neues Präventionsprogramm aus Luxemburg vor.

Interview mit Neuro-Experten über Demenz

esanum: Prof. Krüger, was erwarten Sie vom Berlin Brain Summit?

Prof. Krüger: Ich nehme das erste Mal teil. Das Setting ist breit über verschiedene Fachdisziplinen verteilt. So ein Forum hat mir bisher gefehlt. Den multidisziplinären Ansatz halte ich für essenziell. Darauf freue ich mich.

esanum: Es wird natürlich auch um Demenzielle Syndrome gehen. Ist das ein Themenbereich, bei dem es viel Neues, und hoffentlich Erfreuliches, zu berichten gibt?

Prof. Krüger: Wir verstehen immer neue Aspekte. Zum Beispiel entzündliche Prozesse, die man stärker und früher adressieren kann. Die neuen Einblicke in die Pathogenese sind wichtig. Aber noch wichtiger ist, was wir inzwischen über eine echte Prävention wissen. Es gibt zunehmend wissenschaftliche Belege, dass wir einer Demenz effektiv vorbeugen können. Das Alter können wir natürlich nicht beeinflussen. Aber andere Risikofaktoren sind beeinflussbar. Und darauf konzentriert sich die Forschung. So können wir in den nächsten Jahren durch gezielte Änderung des individuellen Lebensstils versuchen, das Ansteigen der Demenzerkrankungen zu reduzieren. Wenn sich gewisse Veränderungen zeigen – wie ein so genanntes mild cognitiv impairment - kann man durch gezieltes Eingreifen das Voranschreiten zu einer Demenz vermeiden.

esanum: Wie wird genau vorgegangen?

Prof. Krüger: Wir haben in Luxemburg das Programm Demenz-Prävention. Zunächst macht ein Neuropsychologe eine ausführliche Untersuchung, um erst einmal herauszufinden, ob bestimmte Veränderungen der Hirnfunktionen messbar sind. In positiven Fall wird ein individuelles Risikoprofil erstellt, aus dem sich Empfehlungen ableiten, wie die Person ihr Risiko für ein Voranschreiten in Richtung Demenz verringern kann. Dazu gehören kardiovaskuläre Risikofaktoren, die Durchblutungsstörungen des Gehirns verursachen können. Darauf kann man einwirken, indem der Blutdruck und Blutzucker medikamentös gut eingestellt, das Cholesterin überwacht wird. Das kann der Hausarzt machen. Was nicht sofort auffällt, ist vielleicht der Fakt, dass jemand nicht ausreichend geistig stimuliert wird oder in eine soziale Isolation gerät oder auch schlecht hört und sich falsch ernährt. Auch das sind Risikofaktoren, die man aktiv angehen kann. Auch Rauchen und Übergewicht gehören zu den wissenschaftlich nachgewiesenen Risikofaktoren. Zuletzt kam bei Auswertung der Daten Alkohol neu hinzu, sowie auch die Luftverschmutzung in Ballungsräumen. Die modifizierbaren Risikofaktoren gelten gleichermaßen für Alzheimer, für Parkinson-Demenz und für frontotemporale Demenz.

esanum: Ihr Vortrag auf dem BBS trägt den Titel "Risikofaktoren und nicht-pharmakologische Prävention" - was sind Ihre Hauptpunkte?

Prof. Krüger: Wir können Hoffnung geben. Wenn wir eine erste Störung finden, können wir eingreifen. Und das geschieht personalisiert. Denn jeder Mensch hat ein anderes Risikoprofil. Die Menschen werden dabei begleitet, ihrem Risiko entgegenzuwirken. Unsere Neuropsychologen, die Memory Coaches, geben entsprechende Empfehlungen. Dafür haben wir ein Gutschein-Programm für Ernährungsberatung, für Gedächtnistraining und so weiter. Davon profitieren auch Personen, die selbst spüren, dass sich bei ihnen etwas verändert, ohne wenn wir das messen können. 

esanum: Wo liegen die Hoffnungen und Schwierigkeiten bei der Demenz-Prävention?

Prof. Krüger: Sehr positiv ist: Das Panel der modifizierbaren Risikofaktoren wird immer größer. Wir haben also immer mehr Stellschrauben. Das Bewusstsein für gesundes Altern nimmt zu. In den westeuropäischen Ländern steigt die Demenz daher nicht mehr ganz so schnell. In anderen Ländern wie Brasilien, die unsere Fehler im Lebensstil nachholen, steigt sie immer noch schneller. Jetzt geht es darum, unser Programm sichtbar zu machen. Die Menschen zu motivieren. Lernen in der Gruppe ist viel einfacher – und das wirkt zugleich gegen soziale Isolation. Wir sammeln gerade Erfahrungen, wie man das alles unter die Menschen bringt. Mit dem Roten Kreuz, mit Krankenhäusern, Physiotherapeuten, Hausärzten, dem Verein für Gedächtnistraining. Wir verknüpfen soziale Einrichtungen miteinander, wie zum Beispiel Alterszentren mit Seniorenprogrammen.

esanum: Ist das nötige Wissen über die wesentlichen Zusammenhänge zur Prävention und zum Umgang mit dem Krankheitsbild eigentlich ausreichend gut – bei Ärzten und in der Allgemeinbevölkerung?

Prof. Krüger: Die Aufklärung ist ein Prozess, der nicht aufhört. Wir haben immer wieder neue Erkenntnisse. Wir planen jetzt zum Beispiel eine App zu starten: "My brain Coach" - mit Tipps zur Demenz-Prävention und Aufgaben, die man spielerisch lösen kann.

esanum: Haben Sie einen Tipp oder einen Hinweis für Ihre ärztlichen Kolleginnen und Kollegen?

Prof. Krüger: Immer dran denken! Es könnte eine Demenz sein. Und dann präventiv handeln. Wenn der Patient von seinen Sorgen berichtet, das ernst nehmen. Und Anlaufstellen finden, wohin sich die Menschen wenden können. Lokale Netzwerke nutzen oder unterstützen, wie Gedächtnistrainingsvereine. Zum kognitiven Test beim Neuropsychologen überweisen. Und im Krankheitsfall auch mit Patientenvereinigungen zusammenarbeiten – um alle Player einzubinden und zu nutzen. Es ist wichtig, sich zu vernetzen. 

Was ist der Berlin Brain Summit? 

Der Berlin Brain Summit ist ein fächer- und disziplinübergreifender Kongress, bei dem neueste Erkenntnisse zu Diagnose, Ursachen und Behandlung von Erkrankungen des Gehirns vermittelt werden. Er findet vom 31. Mai bis zum 02. Juni 2022 im CityCube Berlin statt. Hier finden Sie die Berichterstattung zum Brain Summit bei esanum.