Wie erleben wir unseren Beruf? Sind wir zu den Ärztinnen und Ärzten geworden, die wir nie sein wollten? Müssen wir die Medizin neu begreifen? RE imagine MEDICINE ist ein crossmediales Projekt, das den Dialog zwischen Neurologinnen und Neurologen anstoßen möchte. Prof. Dr. Peter Pramstaller, Leiter des Instituts für Biomedizin in Bozen, und Prof. Dr. Christine Klein, Direktorin des Instituts für Neurogenetik in Lübeck und Präsidentin der DGN, und NN stellten auf dem Neurologenkongress im ICS Stuttgart erste Ergebnisse der RE imagine-Umfragen vor.
Bis März 2019 hatten die DGN-MitgliederInnen die Möglichkeit, an einem multimedialen Fragebogen teilzunehmen. Mit dem Online-Tool "insights" gab es bis Ende Juni dann die Möglichkeit, die "Intelligenz der Vielen" zu nutzen, um gemeinsam den Arztberuf für die Zukunft zu gestalten. 46 Fragen, gegliedert nach 6 Kapiteln u.a. zum "Arbeitsalltag", zum "Beruf Arzt" oder zu "Wissen im Arbeitsalltag" konnten beantwortet werden.
Es gab Fragen wie: "Der Arzt der Zukunft. Was würden Sie in Ihrem Arbeitsumfeld konkret ändern, um den Beruf Arzt für heute und für die Zukunft zu gestalten?" Oder: "Was können konkrete Lösungen zu Wissensaufnahme und Wissenstransfer sein, die man in Arbeitsalltag und Weiterbildung einbauen kann?" Fast 2.000 DGN-MitgliederInnen beteiligten sich an der Umfrage, über 3.000 Freitexte wurden verfasst.
Vor allem zwei Themen brannten den Teilnehmenden der Online-Umfrage unter den Nägeln:
Die Projekt-Verantwortlichen hatten die Vorschläge, Ideen und Anregungen der Teilnehmenden in 8 Kategorien zusammengefasst.
Auch wenn über die CME-Punkte Weiterbildung bereits messbar und vergleichbar geworden ist, gibt noch großes Potenzial in der Weiterbildung. Neben der Einführung und Institutionalisierung neuer regelmäßiger Formate (Journal Clubs, Clinical Pathways etc.) zur Wissensvermittlung, bedarf es gleichzeitig flacher Hierarchien, die eine solche Kultur erlauben.
Ein strukturierter Ausbildungsplan mit hoher Rotationsfrequenz, regelmäßigem Bedsid-Teaching und begleitendem, von der DGN entwickelten Online-Curriculum würde zur Verbesserung der Facharztausbildung beitragen.
Neben regelmäßigen internen Fortbildungen sollten auch externe Fortbildungsmöglichkeiten genutzt werden. So sollten z.B. Hospitationen an anderen Einrichtungen oder die Teilnahme an Fachkongressen finanziert und durch regelmäßige Freistellung gefördert werden.
Im Anschluss an regelmäßige feste Termine, wie z.B. die Frühbesprechung, könnten kurze Fortbildungen zu aktuellen Themen stattfinden. Beispielsweise könnten sich die Kollegen gegenseitig über neue Studien informieren oder gemeinsam an kurzen Webinaren von externen ExpertInnen teilnehmen.
Fachpublikationen sind oft zugriffsbeschränkt. Dies behindert die individuelle Weiterbildung. Eine DGN-Lizenz für relevante Quellen könne hier Abhilfe schaffen. Zudem könnten zusätzlich zu den Leitlinien Checklisten entwickelt werden, so dass auch unter Stress z.B. seltene Erkrankungen leichter erkannt werden können.
Wissensvermittlung lässt sich über verschiedene digitale Formate erleichtern. Beispielsweise wäre eine App, welche die Leitlinien sowie Erklärvideos enthält und über eine ausgereifte Suchfunktion verfügt, ein nützliches Nachschlagewerk für den Arbeitsalltag und die individuelle Weiterbildung. Per Videokonferenz könnten AllgemeinärztInnen vermehrt mit Spezialistinnen und Spezialisten vernetzt werden.
Eine gute Betreuung in der Facharztausbildung ist wichtig. OberärztInnen sollten im Arbeitsalltag Zeit haben, AssistenzärztInnen zu unterrichten. Auch ein Mentorenprogramm für junge Assistenzärztinnen und Assistenzärzte durch z.B. Ärztinnen und Ärzte im Ruhestand würden den Wissenschaftstransfer von erfahrenen zu weniger erfahrenen Kolleginnen und Kollegen fördern.
Ziel muss es sein, regional ein aufeinander abgestimmtes Weiterbildungsprogramm anzubieten und zu kommunizieren. Dazu bedarf es eines verstärkten regionalen Austauschs. Zudem liegen Potenziale in einer besseren Zusammenarbeit zwischen Kliniken und Praxen.
In den Freitexten zur Umfrage und auch in der Diskussion der Ergebnisse wurde deutlich, dass Ökonomisierung zwar nicht direkt thematisiert wurde, faktisch aber bei allen Themen indirekt präsent war. So klangen der Faktor Zeit und auch die Frage, weshalb Kliniken überhaupt Gewinn erwirtschaften müssten, immer wieder an.
Als eine Art "Ärzte-Graswurzelbewegung", so Pramstaller, soll das Projekt eine Veränderungsbewegung von innen heraus anstoßen. Viel zu Vieles im Arbeitsalltag von ÄrztInnen werde von Politik und Management bestimmt: "Wir Ärzte müssen das Ruder wieder in die eigene Hand nehmen". Mit RE imaging MEDICINE möchte die DGN in einem konstruktiven Dialog gemeinsam Lösungen entwickeln und so ÄrztInnen von einem Teil des Problems zu einem aktiven Teil der Lösung zu machen.
Referenzen:
Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Kongresszentrum Stuttgart ICS 2019