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Molekulare Biomarker der Neurodegeneration

Neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Morbus Parkinson früher diagnostizieren? Molekulare Biomarker könnten das ermöglichen.

Extrazelluläre Vesikel als Biomarker für Morbus Alzheimer

Neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Morbus Parkinson früher diagnostizieren? Molekulare Biomarker könnten das ermöglichen. Welche Biomarker dafür infrage kommen könnten – das erläuterten Expertinnen und Experten auf einem Symposium auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie im Kongresszentrum Stuttgart.

Bislang ist die Treffgenauigkeit einer klinischen Alzheimer-Diagnose nicht besonders hoch: Unter ExpertInnen liegt sie bei 77%, so Prof. Dr. Anja Schneider, Leiterin der Translationalen Demenzforschung am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) Bonn. Eine interessante Option könnten extrazelluläre Vesikel (EV) bieten: Sie stehen im Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer.

Die Vesikel werden von Blutplättchen gebildet, die den größten Anteil an Amyloid-Beta-Peptiden im Blut tragen; Amyloid-Beta ist bekannt dafür, dass es sich in großen Mengen in den Gehirnen von Alzheimer-PatientInnen ablagert, die Ablagerungen gelten als typisches Krankheitssymptom. Exosomen sind kleine Vesikel mit einer Größe von ca. 50-150nm und Mikrovesikel haben eine Größe von ca. 100-1.000nm. Die Aufgabe von EVs ist die Zell-Zell-Kommunikation, der Transfer von Proteinen, Botenstoffen, Lipiden und RNA. Und auch die Clearance von toxischen Substanzen und das Abschalten von Signalwegen.

ForscherInnen konnten Unterschiede in der Zusammensetzung und Funktion der EV im Liquor von Alzheimer-PatientInnen und gesunden Personen nachweisen (Gaurav et al, Transl. Psy.  in press).  EVs spiegeln die Zusammensetzung von nichtcodierender Ribonukleinsäure (small non-coding RNA) wider (Gaurav et al). Dass small non-coding RNA bei der Alzheimer-Erkrankung eine Rolle spielen, darauf deuten die Ergebnisse einer Studie aus 2019 hin (Patel et al. JAD, 2019).

Biomarker aus der Tränenflüssigkeit?

Die Diagnose der Parkinson-Krankheit (PD) ist nach wie vor schwierig. Biomarker könnten zu einer verbesserten diagnostischen Genauigkeit beitragen. Tränenflüssigkeit ist eine leicht zugängliche Körperflüssigkeit, die pathophysiologische Veränderungen bei systemischen und okulären Erkrankungen widerspiegelt und bereits als Biomarkerquelle für verschiedene ophthalmologische Erkrankungen eingesetzt wird.

Prof. Dr. Paul Lingor, Oberarzt an der Neurologischen Klinik der TU München und Kollegen (Boerger M et al. Parkinsonism Relat Disord, 2019) haben die Tränenflüssigkeit von PatientInnen mit PD und Kontrollen analysiert, um krankheitsbedingte Veränderungen in Tränenflüssigkeit zu beschreiben und mutmaßliche Biomarker für die Diagnose von PD zu identifizieren.

Proben von Tränenflüssigkeit von 36 PD-PatientInnen und 18 KontrollprobandInnen wurden über Schirmer-Tränenstreifen gesammelt und anschließend über BULCMS (Bottom-up liquid chromatographyelectrospray ionization tandem mass spectrometry) untersucht. Die BULCMS-Analyse identifizierte 571 Tränenproteine; 31 Proteine kamen ausschließlich in der PD-Gruppe und 7 Proteine nur in der Kontrollgruppe vor.

Während 21 Proteine in der IPS-Kohorte signifikant erhöht waren, zeigten sich 19 Proteine signifikant verringert. Eine detaillierte Analyse dieser Proteine zeigte Netzwerke von Proteinen, die an Immunantwort, Lipidstoffwechsel und oxidativem Stress beteiligt sind. Unter den validierten Proteinen waren Apolipoprotein A1, Serotransferrin und Gelsolin, die in der initialen IPS-Kohorte hochreguliert ausfielen, sowie Clusterin, das niedrigere Konzentrationen in IPS-PatientInnen aufwies. Es fanden sich auch Trends für erhöhte Mengen an Serotransferrin, das an der Retina-Homöstase und an der antimikrobiellen Abwehr beteiligt ist, und Gelsolin, einem Protein, das mit der Myelinscheide assoziiert ist. Die Hochregulation von Apolipoprotein A1 spricht für eine weitergehende Validierung des Proteins als Biomarker in größeren Patientenkohorten.

Seltene Risikogene bei ALS

Seltene ALS-Risikogene wie FIG4-Mutationen sind bei der Amyotrophen Lateralsklerose (ALS) mit einem längeren Überleben und der Beteiligung nur des unteren Motoneurons assoziiert, wohingegen Varianten im SPG7-Gen offenbar häufiger mit zerebellärer Beteiligung in Verbindung stehen, berichtete Prof. Dr. Susanne Petri von Medizinische Hochschule Hannover.

Die ALS ist die häufigste Motoneuronerkrankung mit Beginn im Erwachsenenalter, mit einer Inzidenz von 1 bis 3:100.000. Es handelt sich um eine Affektion der ersten und zweiten Motoneurone mit typischer Symptomkonstellation. Die Erkrankung der Vorderhornzellen führt zu Atrophie, zu Paresen und zu Faszikulationen. Wenn die im Hirnstamm liegenden motorischen Nervenzellen betroffen werden, ist die Sprach-, Kau- und Schluckmuskulatur geschwächt. Die durchschnittliche Überlebenszeit liegt bei 2 bis 3 Jahren ab Symptombeginn. Es gibt keine spezifischen diagnostischen Marker und die Elektromyographie (EMG) ist die wichtigste Zusatzdiagnostik.

Eine Studie aus 2013 (Turner MR, et al. Lancet Neurol. 2013) konnte zeigen, dass ALS nur in 5 bis 10% der Fälle familiär bedingt war und in 90 bis 95% der Fälle sporadisch auftrat. Das deutet darauf hin, dass zumindest einige Formen von ALS aus dem Zusammenspiel mehrerer Gene, schlecht verstandenen Entwicklungs-, Umwelt- und Altersfaktoren resultieren.

Eine Studie aus 2017 (Osmanovic A, et al. Eur J Hum Genet. 2017) entdeckte neue und bekannte seltene FIG4-Mutationen mittels Whole Exome Sequenzing (WES). Gefunden wurden auch 5 seltene heterozygote FIG4-Mutionen in 200 weiteren ALS-Fällen. FIG4-Mutationen sind mit einem längeren Krankheitsverlauf (4,9 +-3,9 Jahre in Mutationsträgern vs. 3,18 +- 2,2 Jahre) und der überwiegenden Beteiligung des ersten (unteren) Motoneurons assoziiert. Erstmals wurden FIG4-Varianten in einer US-amerikanischen ALS-Kohorte in 2% der PatientInnen beschrieben (Chow CY et al. Am J Hum Genet. 2009).

In einer Studie aus 2016 (Krüger S, et al. Front. Mol. Neurosci. 2016) wurden vier heterozygote SPG7-Gen Varianten in einer Kohorte mit 80 deutschen ALS-PatientInnen gefunden. Bei SGP7-Variantenträgern finden sich signifikant häufiger Zeichen der zerebellären Beteiligung (Ataxie, Intentionstremor, Nystagmus, sakkadierte Blickfolge) im Vergleich mit ALS-PatientInnen, die diese Variante nicht aufweisen.

Referenzen:
Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Kongresszentrum Stuttgart ICS 2019