Phelister Abdalla ist HIV-positiv, Mutter dreier Kinder und hat sich für den Beruf Sexarbeiterin entschieden. Sie ist außerdem die nationale Koordinatorin der Kenya Sex Workers Alliance (KESWA). Auf dem IAS 2021 berichtet Abdalla, wie und warum sich der Blick auf Sexarbeit dringend ändern muss - auch aus gesundheitlichen Gründen.
Unter dem Titel “Decriminalization of sex work and providing good health outcomes for sex workers” spricht die nationale Koordinatorin der Kenya Sex Workers Alliance (KESWA) über Vorurteile, gesundheitliche und gesetzliche Einschränkungen von Sexarbeiter:innen sowie die Notwendigkeit, Stigmatisierung und Diskriminierung geschlossen entgegenzutreten. Abdalla betont: Probleme wie Prostitution aus einer Notlage heraus oder Zwangsprostitution existieren - Zwangsarbeit sei aber ein globales Problem, das nicht nur das Feld der Sexarbeit betreffe. Abdalla selbst und die KESWA setzen sich unter anderem gezielt gegen Menschenhandel und Kinderarbeit in der Sexarbeit ein. Viele entscheiden sich jedoch freiwillig und bewusst für die Sexarbeit. Dementsprechend müssten diese Menschen politisch und medizinisch genau so behandelt werden wie in allen anderen Berufsfeldern auch.
Faktoren wie die Kriminalisierung von Sexarbeit, rechtliche Einschränkungen oder eingeschränkter Zugang zu Verhütungsmitteln aus Armutsgründen führen dazu, dass viele Sexarbeiter:innen einem erhöhten HIV-Infektionsrisiko ausgesetzt sind. Die COVID-19-Pandemie hat zur zusätzlichen Gefährdung und Ausgrenzung vulnerabler Bevölkerungsgruppen geführt. Dabei stellten berufliche Einschränkungen durch Corona-Regeln allerdings nur einen von vielen Gefährdungsaspekten in der Sexarbeit dar, wie Phelister Abdalla berichtet.
Bei KESWA handelt es sich um einen Dachverband der von Sexarbeiter:innen geführten Organisationen in Kenia, der sich zum Ziel gesetzt hat, Sexarbeiter:innen Gehör zu verschaffen und deren Organisationen in ihrer Vielfalt zu verbinden - egal, ob weiblich, männlich oder transgender. In Kenia werde Sexarbeit immer noch vielerorts als Straftat angesehen; dabei seien besonders gesetzliche Grundlagen entscheidend für das Wohlbefinden von Sexarbeiter:innen, betont Abdalla. In staatlicher Sanktionierung lasse sich nämlich eine besonders starke Grundlage für Stigmatisierung, Diskriminierung, Ausbeutung und Erpressung finden. Die KESWA-Koordinatorin nennt ein Beispiel: In einem Teil Kenias wurden mehrere Prostituierte aufgrund der reinen Vermutung, sexuell übertragbare Krankheiten zu verbreiten, verhaftet und zwanghaft getestet.
Die Gefahren, denen Sexarbeiter:innen bei der Ausübung ihrer Tätigkeit ausgesetzt sind, sind laut Abdalla vielseitig. Besonders im COVID-19-Lockdown seien sie selbst und viele ihrer Kolleg:innen gezwungen gewesen, ihre Arbeit “in der Nachbarschaft” zu verrichten, was diese Beschäftigtengruppe in einen anderen, öffentlichen Blickwinkel rückt - besonders auch von Leuten, die Sexarbeit missbilligen. Hierdurch werde Stigmatisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung begünstigt. Durch die Notwendigkeit, bei Kund:innen zuhause zu arbeiten, sei zudem das Risiko angestiegen, zum Opfer von Gewalt zu werden. Abdalla berichtet von 30 Sexarbeiter:innen der KESWA, die seit Pandemiebeginn in größeren Städten und Ortschaften Kenias ermordet worden seien. Zusätzlich seien Sexarbeiter:innen durch die Sperrstunde um 19 Uhr abends und die berufsbedingte Notwendigkeit, diese Zeit zu überschreiten, teilweise zu Opfern von Polizeibrutalität oder -belästigung geworden.
Viele dieser Gefährdungen stellen laut Abdalla auch konkrete gesundheitsgefährdende Faktoren für Sexarbeiter:innen dar. So gebe es viele Kunden, die aus soziokulturellen Gründen - etwa mangelnder Bildung oder aus religiösen Motiven - keine Kondome tragen wollen. Auch biologische Faktoren, wie etwa die männliche Beschneidung und ein hohes Aufkommen sexuell übertragbarer Krankheiten generell, stellten einen hohen gesundheitlichen Gefährdungsaspekt dar. Vor allem, da in Kenia sowohl unter Sexarbeiter:innen als auch unter Kund:innen zusätzlich Alkohol- und Drogenmissbrauch weit verbreitet seien. Darüber hinaus, so Abdalla, gebe es auch viele Sexarbeiter:innen, die aus Furcht vor Stigmatisierung und Diskriminierung im Gesundheitswesen den Weg zur medizinischen Versorgung scheuen. Sie gibt aber auch zu verstehen: Gesundheitliche Risiken in der Sexarbeit erstrecken sich nicht nur über HIV und andere sexuell übertragbare Krankheiten. Viele weibliche Prostituierte sorgen sich etwa auch um ihre reproduktive Gesundheit. Ein weiteres großes gesundheitliches Thema, über das viel zu wenig geredet werde, sieht Abdalla zudem in der mentalen Gesundheit von Sexarbeiter:innen.
Wie kann gesundheitlichen Risiken unter Sexarbeiter:innen also entgegengewirkt werden? Hierfür, betont Abdalla, sei es dringend notwendig, dass sich die öffentliche und rechtliche Wahrnehmung von Sexarbeit grundlegend verändere und Prostitution entkriminalisiert werde. Entfielen Stigmatisierung und Diskriminierung, so ändere sich auch unmittelbar der Zugang zu medizinischer und ärztlicher Versorgung. Das Risiko HIV zu übertragen, könne in der Sexarbeit minimiert werden, wenn regelmäßige Aufklärung zu Verhütungsmitteln und Prävention stattfinde und Zugang zu diesen gewährleistet werde. Bei der KESWA sei es längst Alltag, sich regelmäßig über Verhütung und Prävention zu informieren und sich mit anderen Kolleg:innen hierzu austauschen.
Quelle: International AIDS Society Conferences (IAS) 2021, Prime Session “Decriminalization of sex work and providing good health outcomes for sex workers”, 20. Juli 2021