Vor gut einem Jahr wurden Gebührenpositionen für die Videosprechstunde eingeführt, nun empfiehlt der Deutsche Ärztetag, in Einzelfällen eine ausschließliche Fernbehandlung zu erlauben. Zwar hat Baden-Württemberg einige Projekte auf den Weg gebracht, doch werden die digitalen Möglichkeiten insgesamt eher zögerlich genutzt.
Die Vergütung für die Videosprechstunde wurde am 1. April 2017 eingeführt. Wie häufig die neuen Gebührenordnungspositionen (GOP 01450, 01439) tatsächlich abgerechnet werden, wird weder in den Routinestatistiken des GKV Spitzenverbands ausgewiesen noch liegen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Zahlen vor. Eine Nachfrage bei der KV Baden-Württemberg hat ergeben, dass dort im vierten Quartal 2017 weniger als eine Handvoll Ärzte die neue Option nutzten. In den anderen Ländern dürfte es ähnlich sein. Zahlen aus den ersten Quartalen nach Einführung einer neuen Leistung seien wenig aussagekräftig, schränkt die KBV jedoch ein. Zugenommen hat die Zahl der zertifizierten Videodienstleister. Der KBV sind neun bekannt. Anfangs war es für Ärzte schwer, überhaupt einen Anbieter zu finden.
Laut einer Umfrage des Hartmannbunds und des Digitalverbands Bitkom im vergangenen Jahr sieht ein Teil der 477 befragten Ärzte durchaus Vorteile in der Online-Sprechstunde. Unter den vorgegebenen Antwortkategorien werden am häufigsten Einsparungen genannt - einmal beim Anfahrtsweg und einmal bei der Wartezeit in der Praxis - sowie mehr Flexibilität für den Arzt. Stärker ausgeprägt sind jedoch die Bedenken. 80 Prozent der Befragten befürchten, dass das Risiko einer Fehlbehandlung steigen könnte. Gut jeder Zweite sieht als Nachteil an, dass „sensible Gesundheitsdaten in falsche Hände geraten, wenn dies über das Internet übertragen werden“ und „Ärzte und Patienten über technisches Know-how und technische Ausstattung verfügen“ müssen. Hinzu kommt die Sorge, dass der Arzt wegen des reduzierten Aufwands häufiger als nötig konsultiert werde und das Vertrauensverhältnis ebenfalls leiden könnte. Zum Erhebungszeitpunkt setzten weniger als fünf Prozent die Online-Sprechstunde im Krankenhaus oder in der Arztpraxis ein.
Wenngleich es Ärzte gibt, die von der Videosprechstunde überzeugt sind, dürfte noch einige Zeit verstreichen, bis sie sich als reguläres Angebot etabliert hat. Um den Kontakt zum Patienten zu halten, nutzen Ärzte überwiegend das Telefon, 66 Prozent der Befragten nach der o.g. Umfrage. Schriftliche Informationen werden in der Regel per Post zugestellt (23 Prozent), die Email spielt mit vier Prozent fast keine eine Rolle. Allerdings macht jede fünfte Arztpraxis von der online-Terminvergabe Gebrauch. Andere digitale Lösungen haben sich zwar für den fachlichen Austausch ihren Weg gebahnt (im Krankenhaus stärker als in der Arztpraxis), die telemedizinische Überwachung der Patienten fällt jedoch deutlich zurück. Zehn Prozent der Krankenhausärzte und drei Prozent der Niedergelassenen gaben an, diese bereits eingesetzt zu haben.
Unklar ist daher, wie stark die Lockerung des Fernbehandlungsverbots, wie sie der Deutsche Ärztetag jüngst empfohlen hat, das Versorgungsgeschehen tatsächlich beeinflussen wird. Nach der neuen Musterberufsordnung wäre es möglich, dass ein Patient im Einzelfall ausschließlich fernbehandelt wird, d.h. ohne vorherigen Arztkontakt (§ 7 Abs. 4 MBO). Sowohl die KBV als auch der GKV Spitzenverband begrüßen diesen Ansatz. Nichtsdestotrotz entscheiden die Landesärztekammern föderativ, ob so verfahren werden darf. Doch selbst wenn die berufsrechtliche Hürde wie jetzt in Schleswig-Holstein genommen ist, muss noch Einiges geregelt werden, bevor die neue Option zur Anwendung kommen kann (z.B. Rechte, Technik, Datenschutz, Vergütung).
Auf Erfahrung blickt Baden-Württemberg zurück. Dort ist die Fernbehandlung, einschließlich einer Arzneimittelverordnung, im Rahmen von Modellprojekten seit zwei Jahren möglich. Sechs hat die Landesärztekammer genehmigt. Darunter docdirekt der KVBW und ein Projekt des Justizministeriums in mehreren Justizvollzugsanstalten. Die übrigen Projekte beziehen sich auf Privatpatienten bzw. Selbstzahler und werden über Startups lanciert. Dies sind TeleClinic und Minxli sowie ein Projekt, das von der hiesigen Niederlassung der britischen Online-Praxis DrEd beantragt wurde, und eines von der des schwedischen Gesundheitsversorgers Kry. Wie die Modelle bei positiven Evaluationsergebnissen fortgeführt werden können und ob die Berufsordnung in Baden-Württemberg nochmals geändert wird, sind Fragen, worüber die Gremien dann entscheiden müssen.