Ob sich die Videosprechstunde im nennenswerten Umfang durchsetzen wird, ist ungewiss. Positive Erfahrungen liegen aus einem Modellversuch zur elektronischen Visite in Bünde, Westfalen, vor. Die Software wurde am 24. Juli 2017 von der TÜV IT GmbH zertifiziert.
Seit dem 1. April dürfen niedergelassene Ärzte über die neu eingeführte Gebührenordnungsposition (GOP) 01450 für jede Videosprechstunde einen Technik- und Förderzuschlag in Höhe von 4,21 Euro abrechnen, für bis zu 50 Sprechstunden im Quartal. Der Zuschlag darf für einen Behandlungsfall mehrfach geltend gemacht werden. Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung geht der Bewertungsausschuss davon aus, dass sich die Lizenzgebühren für einen Videodienst von durchschnittlich etwa 100 Euro im Quartal bereits bei zwei Videosprechstunden pro Woche amortisieren würden. Die Zuschlagsvergütung erfolgt außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung.
Rund 200 Euro pro Quartal und Vertragsarzt der berechtigten Fachgruppen (z. B. Dermatologie, HNO, Innere Medizin, Psychiatrie, rehabilitative Medizin) können so zusätzlich zur Abrechnung kommen, vorausgesetzt der Patient ist dem Arzt bekannt. Ein persönlicher Kontakt muss in einem der beiden vorangegangenen Monate stattgefunden haben. D. h. im August ist eine Videosprechstunde zur Beratung und Verlaufskontrolle möglich (z. B. bei Wunden, Dermatosen, Bewegungseinschränkungen, Beurteilung der Sprache), wenn der Arzt seinen Patienten zuletzt im Januar gesehen hat.
Wenn der Patient die Arztpraxis im laufenden Quartal aufgesucht hat, wird der Zuschlag nach GOP 01450 ergänzend zur Grundpauschale für den persönlichen Arztkontakt gezahlt. Andernfalls kann die Praxis einmalig eine Pauschale nach der ebenfalls neuen GOP 01439 abrechnen, die wie ein Telefonkontakt in Höhe 9,27 Euro vergütet wird. Hiermit sollen die Betreuungsleistungen im Rahmen einer Videosprechstunde entgolten werden. Finden ausschließlich Telefonkontakte statt, gilt die GOP 01435. Die Pauschalen sind Teil der Gesamtvergütung auf Landesebene.
Die Videoleistungen können nur abgerechnet werden, sofern die technischen Voraussetzungen – gemäß Vereinbarung über die Anforderungen an die technischen Verfahren zu einer Videosprechstunde gemäß § 291g Absatz 4 SGB V vom Oktober 2016 (Anlage 31b zum Bundesmantelvertrag – Ärzte) – stimmen, was der Arzt gegenüber der KV mittels Zertifikaten und Erklärungen belegen muss. Ebenso sind Änderungen anzuzeigen.
Zu den technischen Voraussetzungen gehört, dass die Arztpraxis mit einer Kamera und einem Bildschirm von mindestens 3 Zoll und einer Auflösung von mindestens 640 x 480 Pixel sowie mit Mikrofon und Tonwiedergabe ausgestattet sein muss und über eine Internetverbindung mit einer Geschwindigkeit von mindestens 2.000 Kilobit pro Sekunde im Download verfügt. Schwieriger ist es, einen zertifizierten Videodienstanbieter zu finden, bei dem sich der Vertragsarzt registrieren kann.
Die bundesweit erste zertifizierte Software für eine Videosprechstunde wurde in Kooperation mit dem Ärztenetz MuM e. V. in Bünde von der La-Well Systems GmbH entwickelt. Die Testphase auf Basis eines Vertrags zwischen der KV Westfalen-Lippe und der AOK Nordost startete im Mai 2016 in 13 Pflegeheimen. 15 Arztpraxen beteiligten sich. Seit Juli 2017 wird das Projekt auf weitere Regionen ausgedehnt. Projektleiter Dr. Hans-Jürgen Beckmann, Geschäftsführer der La-Well Systems und Vorstandsmitglied des MuM, hebt den Nutzen für an Demenz erkrankte Heimbewohner hervor: "Jeder Ortswechsel bringt zusätzliche Orientierungsprobleme mit sich, die durch Pflege und Medikation aufgefangen werden müssen. Durch die Tele-Visite können die Patienten jedoch in ihrer vertrauten Umgebung bleiben, wenn kein direkter Arztkontakt nötig ist."
Ein zertifizierter Videodienstleister muss nachweisen können, dass er die Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit der personenbezogenen Daten gewährleistet und die inhaltlichen Anforderungen erfüllt. So darf der Dienstleister die Inhalte der Videosprechstunde weder einsehen noch speichern. Die Daten werden mittels Peer-to-Peer-Verschlüsselung vom Sender zum Empfänger übertragen. Notwendige Metadaten zur Abwicklung müssen spätestens nach drei Monaten gelöscht werden und die hierfür genutzten Server in der EU stehen. Eine Weitergabe der Daten ist untersagt. Ein Zweitzugang für das Praxispersonal ist höchstens für organisatorische Zwecke möglich. Patienten müssen sich ohne Account anmelden können. Der Videokontakt zum Arzt ist auf maximal einen Monat befristet. Danach muss der Arzt eine neue Zugangsberechtigung an den Patienten vergeben.