Kann eine einfache Intervention wie Musikhören wirklich Ängste, Depressionen, Schmerz, Fatigue und Schlafstörungen lindern? Studien sagen: ja! Und in der jetzigen Situation wäre dies ein nebenwirkungsfreies Tool, welches Patienten zu Hause helfen könnte.
Zahlreiche Krebspatienten leiden an Begleitsymptomen wie Ängsten und Depressionen. Verschiedene Methoden kommen für die Behandlung zum Einsatz, doch viele davon haben Nebenwirkungen.1
Eine Studie zeigte, dass allein schon das Hören von Musik, selbst für nur 20 Minuten über nur wenige Tage, bereits zu einem signifikanten Rückgang dieser Symptome führt (erfasst mittels Hospital Anxiety and Depression Scale, kurz: HADS).1
Auch eine kürzlich erschienene, randomisierte klinische Studie ergab, dass eine einzige Musikintervention von 45 Minuten bei Brustkrebspatientinnen während der Chemotherapie bereits merkliche Effekte hatte.2 Diese Intervention bestand aus dem Hören von Musik über Kopfhörer in einer von einem Musiktherapeuten begleiteten Einzelsitzung. Die 50 Teilnehmer der Interventionsgruppe hörten zunächst, je nach persönlichem Geschmack, einige Titel Popularmusik, Klassik oder Naturgeräusche, was als Einleitung für eine anschließende musikalische Gedankenreise diente. Die Zusammenstellung der Titel hierfür basierte auf Studienergebnissen zur Linderung von Ängsten, Depressionen oder Schlafstörungen. Die 50 Frauen in der Kontrollgruppe erhielten nur die Standardversorgung.
Vor Intervention, unmittelbar danach, eine Woche später sowie drei Wochen später wurden der MFI (Multidimensional Fatigue Symptom Inventory), der PSQI (Pittsburgh Schlafqualitätsindex), der HADS (Hospital Anxiety and Depression Scale) sowie die neurologische Reaktivität und Herzratenvariabilität erhoben.
Insbesondere bei Patienten, die zum Ausgangszeitpunkt einen erhöhtem Sympathikotonus aufwiesen, waren im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikante Verbesserungen hinsichtlich Fatigue, Depressionen und Schlaf, sogar noch drei Wochen nach dieser einzelnen Intervention zu beobachten.
Noch einfacher realisierbar ist die Selbstanwendung zu Hause. Die Autoren einer kleinen, im European Journal of Cancer Care erschienen Studie empfehlen, dass diese Krebspatienten "verordnet" wird, um die mit Krebs verbundenen negativen Gedanken zu reduzieren. In ihrer Arbeit stellten sie fest, dass nur 30 Minuten Musikhören an fünf Tagen pro Woche nach 6, 12 und 24 Wochen zu bedeutenden Verbesserungen hinsichtlich Symptomschwere, Schmerzintensität, Fatigue und Vitalität gegenüber der Kontrollgruppe führten.3
Metaanalysen von mehreren hundert Studien kamen auch zu diesem Ergebnis und fügen noch hinzu, dass die Effektivität am besten zu sein scheint, wenn nicht die Forscher, sondern die Patienten selbst die Musik auswählen4 und dass auch kleine Effekte auf Vitalzeichen, wie den Blutdruck, die Atem- und Herzfrequenz nachweisbar sind, wenngleich hierzu noch mehr Studien nötig wären.5 Der Benefit für das Schmerzmanagement ist laut einer Auswertung von fast sechshundert Studien moderat, aber immens wichtig.6
Ein Review aus dem Cochrane Database sieht auch eine Verbesserung der Stimmung und Lebensqualität insgesamt.7 Einige Studien bezogen sich dabei auch auf aktive Sitzungen mit Instrumenten und einem Musiktherapeuten, die meisten jedoch auf das reine Hören von Aufnahmen.
Doch nicht nur für Krebspatienten ist dies bedeutsam. Nachdem im British Medical Journal publizierte Ergebnisse der English Longitudinal Study of Ageing ergaben, dass die rezeptive Beschäftigung mit Kunst die Mortalität senkt, gibt es in verschiedenen Ländern Modellprojekte, welche Ärzten beispielsweise die Verschreibung von Museumsbesuchen ermöglichen.8 Selbst Menschen, die nur ein oder zwei Mal im Jahr Museen, Galerien, Ausstellungen, Theater, Konzerte oder Opern besuchten, hatten eine um 14% geringere Wahrscheinlichkeit, in der 14‑jährigen Nachbeobachtungsperiode zu versterben. Menschen, die alle paar Monate oder sogar öfter eine solche Veranstaltung besuchten, sogar 32% (jeweils im Vergleich zu komplett "Kulturabstinenten").
Dieser Zusammenhang könnte zwar zum Teil durch Unterschiede in Kognition, mentaler Gesundheit und körperlicher Aktivität der kulturell Aktiven begründet sein, die Assoziation blieb aber auch nach Korrektur für diese Faktoren bestehen und war darüber hinaus unabhängig von demographischen, sozioökonomischen und gesundheitlichen Charakteristika.
Immer mehr Organisationen streamen seit dem Shutdown ihre Veranstaltungen live oder machen ihre Archive online zugänglich – in vielen Fällen sogar kostenlos.
Gleich, ob Kenner oder jemand, der erst den Zugang in diese Musikwelt findet: weiterempfehlen möchte ich an dieser Stelle unbedingt den On demand-Bereich der Metropolitan Opera. Für einen geringen Monatsbeitrag erhält man Zugriff auf einen nahezu unerschöpflichen Katalog grandioser Audio- und Videoaufzeichnungen mit Untertiteln, Interviews und Specials. Die aktuelleren Mitschnitte sind in HD, aber auch alte Schätze aus den 30ern sind hier zu finden. Dem einen oder anderen sind die Live-in-HD-Übertragungen der Met vielleicht aus dem Kino bekannt. Seit Beginn des Lockdowns wird außerdem jeden Tag eine Oper aus dem umfangreichen Katalog kostenlos gestreamt.
Auch das Portal https://operavision.eu/de bringt derzeit spannende Opernproduktionen aus verschiedenen Ländern kostenlos in die Wohnzimmer.
Hier finden Sie eine Liste vieler weiterer Organisationen, die derzeit Ähnliches unternehmen, von Berliner Philharmoniker bis Wiener Staatsoper oder Opernhaus Zürich.
Auch die Webseite des Montreux Jazzfestivals bietet derzeit kostenlosen Zugriff auf über 50 Konzerte zum Streamen, um nur wenige Beispiele zu nennen.
"Musik verleiht dem Universum eine Seele, dem Geist Flügel, der Phantasie Flugkraft, der Traurigkeit einen Zauber und allen Dingen Freude und Leben."
(unbekannt, oft Platon zugeschrieben)
Referenzen:
1. Jasemi, M., Aazami, S. & Zabihi, R. E. The Effects of Music Therapy on Anxiety and Depression of Cancer Patients. Indian J Palliat Care 22, 455–458 (2016).
2. Chen, S.-C., Yeh, M.-L., Chang, H.-J. & Lin, M.-F. Music, heart rate variability, and symptom clusters: a comparative study. Support Care Cancer 28, 351–360 (2020).
3. Hsieh, F.-C. et al. Effect of home-based music intervention versus ambient music on breast cancer survivors in the community: A feasibility study in Taiwan. European Journal of Cancer Care 28, e13064 (2019).
4. Tsai, H. F. et al. Effectiveness of music intervention in ameliorating cancer patients’ anxiety, depression, pain, and fatigue: a meta-analysis. Cancer Nurs 37, E35-50 (2014).
5. Zhang, J.-M. et al. Music interventions for psychological and physical outcomes in cancer: a systematic review and meta-analysis. Support Care Cancer 20, 3043–3053 (2012).
6. Yangöz, Ş. T. & Özer, Z. The effect of music intervention on patients with cancer-related pain: A systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. J Adv Nurs 75, 3362–3373 (2019).
7. Bradt, J., Dileo, C., Grocke, D. & Magill, L. Music interventions for improving psychological and physical outcomes in cancer patients. Cochrane Database Syst Rev CD006911 (2011) doi:10.1002/14651858.CD006911.pub2.
8. Fancourt, D. & Steptoe, A. The art of life and death: 14 year follow-up analyses of associations between arts engagement and mortality in the English Longitudinal Study of Ageing. BMJ 367, (2019).