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"Wie geht es Ihnen, Herr Doktor?"

Zunehmende Evidenz zeigt, dass Burnout und Depressionen bei ÄrztInnen und Ärzten mit medizinischen Fehlern und jener Art von depersonalisierter Versorgung Hand in Hand gehen, die oft weniger effektiv und weniger zufriedenstellend ist.

Zunehmende Evidenz zeigt, dass Burnout und Depressionen bei ÄrztInnen und Ärzten mit medizinischen Fehlern und jener Art von depersonalisierter Versorgung Hand in Hand gehen, die oft weniger effektiv und weniger zufriedenstellend ist.

In der New York Times tauchte vor Zeiten ein Artikel der amerikanischen Kinderärztin und Schriftstellerin Dr. Perri Klass auf, der vielen Kollegen aus der Seele sprechen dürfte.1

Ein systemimmanentes Problem wird gern zum Problem des Einzelnen erklärt

In einigen Studien wurde gezeigt, dass fitte Ärzte Patienten mit besseren klinischen Outcomes haben. Also; eine Ärzteschaft, die Sport treibt, auf sich selbst achtet, sich gut ernährt, besser schläft. Doch das Problem sind weniger die individuellen Gesundheits- und Lebensgewohnheiten einzelner Mediziner, sondern primär das System, welches uns allen schadet, meint die Autorin.

"Es sollte nicht die Verantwortlichkeit des Arztes sein, das Gefühl zu haben: Wenn ich nur besser auf mich aufpasse, wenn ich nur mehr Sport treibe oder es besser oder konsequenter mache, wird alles gut sein und ich sollte mich nicht ausgebrannt oder erschöpft fühlen", stellt Prof. Hilary McClafferty, University of Arizona College of Medicine, klar.

Die Tatsache, dass fast die Hälfte aller Ärzte und bereits mehr als jeder zweite Auszubildende irgendwann in einen Burnout rutscht, zeigt, dass es relativ wenig mit mangelhafter Belastbarkeit Einzelner zu tun hat, sondern mit einem Defizit in der Organisation und im System, meint auch ein weiterer in dem Beitrag zu Wort kommender Pädiater, Dr. David Schonfeld vom Children’s Hospital Los Angeles.

Burnout: mangelnde Entscheidungsbefugnisse und Überhäufung mit administrativen Aufgaben als konstant genannte Probleme

Einen wesentlichen Faktor für die überhandnehmende Arbeitsbelastung hatten wir bereits in unserem Beitrag "Sind Ärzte und Krankenpfleger unkaputtbar?" mit Zahlen untermauert: zunehmende Frustration und Zeitdruck, welche von elektronischen Patientenakten und Dokumentation ausgehen, die mehr als die Hälfte der Zeit einiger Mediziner in Anspruch nehmen – oftmals nur zu schaffen durch länger bleiben, früher anfangen oder in den Nachtdiensten erledigen.

Dabei ist bekannt: der Umfang, den die Arbeit einnimmt, die als die Wichtigste empfunden wird (z.B. Patientenversorgung, Forschung oder Lehre), weist eine starke inverse Korrelation zum Burnout-Risiko auf. Für die Ärzteschaft, die weniger als 20% ihrer Zeit auf die bedeutsamste Aufgabe verwenden können, lagen in einer Studie die Burnout-Raten signifikant höher (54 % vs 30 %; P < 0,001).2

"Seit Jahren lese ich solche Beiträge und alles ist nur schlimmer geworden. Insbesondere die elektronische Patientenakte hat jedem meiner Kliniktage etwa zwei Stunden absolut sinnloser Tätigkeit hinzugefügt", schreibt ein Leser, ein Allgemeinmediziner mit 28 Jahren Berufserfahrung.

Ein weiterer Leser resümiert: "Ärzte haben jeden Einfluss darüber verloren, wie [Gesundheits]versorgung passiert. Die Zeit ist gefüllt mit administrativer, hektischer Arbeit. Tod durch Klicks etc. Es ist surreal. Ärzte haben es aufgegeben, das Schicksal ihrer Patienten in diesem System über ihre persönliche Arbeit hinaus beeinflussen zu wollen. Mangel an Einfluss über die eigene Situation führt zu Burnout."

Große Wahrheiten sind oft einfach: Personalmangel verursacht Burnout

"Das Problem ist schlicht das: nicht genug Ärzte. Es gibt niemanden, der einspringt, wenn du krank bist, im Urlaub, einen Notfall hast oder irgendetwas anderes, was dich von deiner Arbeit fernhält. Es ist eine nette Idee, dass wir alle ausbrennen und auf uns achten sollten, aber es gibt nicht mehr von uns, die helfen, die Rolle zu übernehmen", kommentiert eine weitere ärztliche Leserin.

Die teils hart erkämpften Reduzierungen der Arbeitszeit scheinen Burnout oder Depression nicht in zufriedenstellendem Maße reduziert zu haben – vielleicht, weil die PatientInnen im Durchschnitt schwerer krank sind als sie es früher waren, vielleicht, weil (Verzeihung für den furchtbaren Ausdruck) der Durchsatz höher ist. Jeder kann sich ausrechnen, was mit der Arbeitsauslastung passiert, wenn man die Arbeitszeiten senkt, aber die Anzahl der Ärzteschaft nicht erhöht. Viele Mediziner sind ernstlich traurig darüber, oftmals keine Zeit für eine wirklich gute Versorgung ihrer Patient zu haben, was auf lange Sicht selbst die empathischsten KollegInnen unzufrieden werden lässt und somit verschleißt.

Mangelnde Wertschätzung und Anerkennung emotionaler Belastungen

Aus vielen Leserkommentaren spricht zwar noch immer eine ehrliche Begeisterung für den Beruf, aber zugleich auch Resignation. "Natürlich würde jeder ziemlich depressiv und ausgebrannt werden, wenn du keine Kontrolle über deine Arbeitsumgebung hast, wenn du minutiös gemikromanagt wirst und dennoch vollumfänglich verantwortlich für schlechte Ausgänge bist, wenn niemand deinen Sorgen und deiner fachmännischen Meinung zuhört und wenn du keine Hoffnung hast, dass sich das jemals ändern könnte."

Prof. em. Janet Serwint, Johns Hopkins University, schrieb über ein Ereignis in ihrer Jungassistentenzeit, bei dem ein Kind starb und sie dachte, es sei aufgrund eines Fehlers gewesen, den sie gemacht hatte. Aber in dem hektischen Klinikalltag gab es keinen Raum, ihre Reaktion zu besprechen. Besorgniserregend oft höre ich Berichte von Kollegen, die im Stillen (wegen nur subjektiv empfundener oder aber tatsächlich passierter Fehler) leiden und statt Unterstützung oder einer konstruktiven Besprechung eher ein entnervtes "Da muss er/ sie jetzt durch" oder "Der/ Die ist halt nicht ausreichend belastbar" erfahren.

Dabei besteht auch hier ein klarer Zusammenhang: eine Studie berichtete, dass Jungassistenten in der Pädiatrie sechs Mal so häufig Medikationsfehler machten, wenn sie depressiv waren.3 Diese und weitere Studien beschrieben auch, dass unter Burnout leidende Assistenten deutlich häufiger das Gefühl hatten, sie würden Fehler machen, selbst wenn dies nicht der Fall war.4 Dies war mit erheblichem Disstress assoziiert, der tatsächlich die Fehlerwahrscheinlichkeit erhöht. Ein Circulus vitiosus.

Studien, die sich mit Problemen wie Zeitdruck, Chaos am Arbeitsplatz und Kontrollverlust beschäftigen, deuten vor allem darauf hin, dass Arbeitsplatzinterventionen zwar helfen, aber dass es wesentlich effektiver ist, auf institutioneller oder Systemebene etwas zu verändern als nur der Ärzteschaft zu sagen, dass sie sich in puncto Wellness mehr bemühen müsste, schließt der Artikel.5,6

Ein Arzt, der nach über 30 Jahren gerade in Rente gegangen war, wurde immer wieder von seiner zufriedenen Leitung angefragt, ob er nicht weiter für sie tätig sein wolle, weil sie froh wären, ihn zurück zu haben. "Als er (der medizinische Direktor und gleichzeitig sein Internist) meine 20 Pfund Gewichtsverlust, meinen rapide fallenden HbA1C mit verbesserter Diabeteskontrolle und meine Teilnahme an regionalen künstlerischen Veranstaltungen bemerkte, gab er auf." Schöner wäre es gewesen, wenn dafür nicht erst der Ruhestand hätte kommen müssen, sondern wenn engagierte, empathische und gute Medizin und ein gesunder und erfüllter Lebenswandel ab Berufseinstieg zur Regel werden könnten.

In Ambulanzen und Praxis-Sprechstunden bleibt uns pro Patient häufig kaum Zeit für die Erfüllung des Allernotwendigsten. Entweder oberflächlich zu arbeiten oder dem Geschehen permanent hinterherzulaufen, ist nicht nur frustrierend, sondern ein Nährboden für medizinische Fehler, Patientengefährdung und Burnout.

Referenzen:
1. Klass, P. Taking Care of the Physician (Published 2017). The New York Times (2017).
2. Shanafelt, T. D. et al. Career fit and burnout among academic faculty. Archives of Internal Medicine 169, 990–995 (2009).
3. Fahrenkopf, A. M. et al. Rates of medication errors among depressed and burnt out residents: prospective cohort study. BMJ (Clinical research ed.) 336, 488–491 (2008). 4.         West, C. P. et al. Association of perceived medical errors with resident distress and empathy: a prospective longitudinal study. JAMA 296, 1071–1078 (2006). 5.         Panagioti, M. et al. Controlled Interventions to Reduce Burnout in Physicians: A Systematic Review and Meta-analysis. JAMA internal medicine 177, 195–205 (2017). 6.         Linzer, M. et al. A Cluster Randomized Trial of Interventions to Improve Work Conditions and Clinician Burnout in Primary Care: Results from the Healthy Work Place (HWP) Study. Journal of General Internal Medicine 30, 1105–1111 (2015).