Steigende Krebsinzidenzen bei jüngeren Erwachsenen – eine Konsequenz der Übergewichts-Epidemie? Logo of esanum https://www.esanum.de

Steigende Krebsinzidenzen bei jüngeren Erwachsenen – eine Konsequenz der Übergewichts-Epidemie?

Bei jungen Erwachsenen treten mit steigender Häufigkeit Krebserkrankungen auf. Und zwar insbesondere solche, die mit Übergewicht in Zusammenhang stehen.

Bei jungen Erwachsenen treten mit steigender Häufigkeit Krebserkrankungen auf. Und zwar insbesondere solche, die mit Übergewicht in Zusammenhang stehen.

Die Krebsfallzahlen unter jungen Erwachsenen sind aus mehreren Gründen sehr aufschlussreich. Zum einen spiegeln sie relativ aktuelle Veränderungen der Exposition gegenüber Risikofaktoren wider. Zum anderen geben sie Aufschluss über die zu erwartende zukünftige Krankheitslast bei älteren Erwachsenen, die am meisten von Krebs betroffen sind.

Im Zuge der Übergewichts-Pandemie der vergangenen 40 Jahre erfahren jüngere Generationen weltweit eine frühere und länger andauernde Exposition gegenüber Adipositas im Verlauf ihrer Lebensspanne als vergangene Generationen. Zahlreiche Krebsarten sind mit zu hohem Körpergewicht assoziiert und Evidenz aus experimentellen Arbeiten deutet darauf hin, dass Übergewicht und eine adipogene Ernährungsweise den mehrstufigen Übergang von normalem Gewebe hin zu invasiver Neoplasie und metastatischer Erkrankung beschleunigt.1

Viele Neoplasien potenziell vermeidbar?

Eine amerikanische Untersuchung kam bereits 2014 zu dem Ergebnis, dass zu hohes Körpergewicht bei Erwachsenen über 30 Jahren für 60% der Endometrium-Karzinome, 36% der Gallenblasen-Karzinome, 33% der Nierenkarzinome, 17% der Pankreaskarzinome und 11% der Multiplen Myelome verantwortlich sein könnte.Da die meisten Studien bislang auf ältere Populationen fokussierten, sind die Auswirkungen von Übergewicht in jüngerem Alter auf das Krebsrisiko noch nicht gut beschrieben. Immer mehr Belege sprechen jedoch für eine Assoziation zwischen Übergewicht in der Kindheit oder Adoleszenz und einem erhöhten Risiko für verschiedene Neoplasien.3

Studien der vergangenen Jahre beschrieben einen Inzidenz-Anstieg kolorektaler Karzinome bei jüngeren Menschen in mehreren Ländern mit hohem Einkommen über das letzte Jahrzehnt hinweg, der zumindest zum Teil mit der Adipositas-Epidemie zusammenhängen könnte.4 Die Autoren einer solchen Studie weiteten ihre Untersuchungen daraufhin auf die 30 häufigsten Tumorentitäten aus und veröffentlichten die spannenden Ergebnisse im Februar im Lancet Public Health.5 

Inzidenz-Anstieg von 6 Adipositas-assoziierten Krebsarten

Von 1995 bis 2014 wurden mithilfe von 25 staatlichen Registern, die Daten für ca. zwei Drittel der amerikanischen Bevölkerung enthalten, 14,7 Mio. invasive Tumoren erfasst. Einem Expertenkomitee der IARC (International Agency for Research on Cancer) zufolge stehen 12 Tumorentitäten in Zusammenhang mit dem Risikofaktor Übergewicht.Für 6 dieser 12 Krebsarten zeigt die Studie einen signifikanten Anstieg der Inzidenz bei jungen Erwachsenen (25-49 Jahre):

Dabei fielen die Anstiege in sukzessive jüngeren Kohorten zunehmend steiler aus. Beispielsweise nahm die Inzidenz von Nierenkarzinomen bei 25-29‑Jährigen um 6,23% zu, bei 45-49‑Jährigen dagegen um 2,95%.
Die Inzidenzen für Krebsarten, die mit Übergewicht in Zusammenhang stehen, sind (mit Ausnahme des kolorektalen Karzinoms) auch bei älteren Erwachsenen gestiegen, jedoch nicht so disproportional stark wie bei jüngeren Erwachsenen.

Bei 18 weiteren Tumorentitäten, die nicht speziell mit Übergewicht assoziiert sind, war keine solche Entwicklung zu beobachten. Nur für 2 dieser 18 zeigte sich eine Zunahme bei schrittweise jüngeren Erwachsenen, während für etwa die Hälfte der verbliebenen Krebsarten ein Rückgang zu verzeichnen war, insbesondere für mit Rauchen oder HIV-Infektion assoziierte Tumoren (Lungenkarzinom, Kaposi-Sarkom).

Fazit

Das Risiko, eine mit Übergewicht assoziierte Neoplasie zu entwickeln, steigt demnach schrittweise für sukzessiv jüngere Geburtsjahrgänge. Dieser Trend könnte mit der rapide zunehmenden Übergewichtsproblematik in Zusammenhang stehen. Zwischen 1980 und 2014 ist die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas unter Kindern und Jugendlichen in den USA um mehr als 100% gestiegen (von 14,7% auf 33,4%). Bei Erwachsenen zwischen 20 und 74 Jahren hat ein Zuwachs um 60% stattgefunden (von 48,5% auf 78,2%).7 

In drei separaten Beiträgen des vergangenen Jahres waren wir bereits auf einzelne Aspekte, wie Übergewicht und chronische Überkonsum von Fertignahrungsmitteln und Zucker (bzw. Maissirup, der sich in zahlreichen Lebensmitteln versteckt), eingegangen, die die Entwicklung von Malignomen begünstigen können. Diese Studie ist jedoch die erste dieser Art und Größe, die altersspezifisch die aktuellen Inzidenz-Trends für 30 Krebsarten in den USA analysierte. Ob in anderen Populationen mit vergleichbaren Trends hinsichtlich des Übergewichts ähnliche Entwicklungen stattgefunden haben, müsste untersucht werden.

Mehr ätiologische Forschung zu modifizierbaren Risikofaktoren in jungen Lebensjahren ist nötig, um die Gründe für diese aufkommenden Trends besser zu beleuchten. Politik und Gesundheitssystem müssen Lösungsstrategien entwickeln, um die mit Übergewicht verbundene Morbidität und vorzeitige Mortalität zu senken. Mit der Alterung dieser jüngeren Kohorten könnte die zukünftige Krankheitslast an Adipositas-assoziierten Krebserkrankungen exazerbieren. Die Fortschritte der letzten Jahrzehnte in der Reduzierung der Krebsmortalität könnten damit zum Stehen kommen oder sich gar umkehren.5 

Referenzen:
1. Berger, N. A. Young Adult Cancer: Influence of the Obesity Pandemic. Obesity (Silver Spring) 26, 641–650 (2018)
2. Islami, F. et al. Proportion and number of cancer cases and deaths attributable to potentially modifiable risk factors in the United States. CA Cancer J Clin 68, 31–54 (2018).
3. Sung, H. et al. Global patterns in excess body weight and the associated cancer burden. CA Cancer J Clin (2018). doi:10.3322/caac.21499
4. Siegel, R. L. et al. Colorectal Cancer Incidence Patterns in the United States, 1974-2013. J. Natl. Cancer Inst. 109, (2017).
5. Sung, H., Siegel, R. L., Rosenberg, P. S. & Jemal, A. Emerging cancer trends among young adults in the USA: analysis of a population-based cancer registry. The Lancet Public Health DOI:https://doi.org/10.1016/S2468-2667(18)30267-6, (2019).
6. Lauby-Secretan, B. et al. Body Fatness and Cancer — Viewpoint of the IARC Working Group. New England Journal of Medicine 375, 794–798 (2016).
7. Prevalence of Overweight, Obesity, and Extreme Obesity Among Adults Aged 20 and Over: United States, 1960–1962 Through 2013–2014. Available at: https://www.cdc.gov/nchs/data/hestat/obesity_adult_13_14/obesity_adult_13_14.htm. (Accessed: 20th February 2019)