Längsschnitt-Studie an 1.8 Millionen Frauen zeigt: (Auch) neuere hormonelle Kontrazeptiva erhöhen Risiko für invasives Mammakarzinom um 20-38% Logo of esanum https://www.esanum.de

Längsschnitt-Studie an 1.8 Millionen Frauen zeigt: (Auch) neuere hormonelle Kontrazeptiva erhöhen Risiko für invasives Mammakarzinom um 20-38%

Hormonelle Kontrazeption bringt eine hohe Sicherheit, aber auch gesundheitliche Risiken mit sich. Viel hat sich getan, neue Hormone, niedrigere Dosierungen, vaginale Verhütungssysteme – doch wie steht es unter diesen neueren Medikamenten, einschließlich reiner Gestagen-Präparate, mit dem Brustkrebs-Risiko?

Hormonelle Kontrazeption bringt eine hohe Sicherheit, aber auch gesundheitliche Risiken mit sich. Viel hat sich getan, neue Hormone, niedrigere Dosierungen, vaginale Verhütungssysteme – doch wie steht es unter diesen neueren Medikamenten, einschließlich reiner Gestagen-Präparate, mit dem Brustkrebs-Risiko?

"Ein alter Hut" oder "das kenne ich schon" mögen manche Patienten und Ärzte denken, wenn Nebenwirkungen oder Langzeitfolgen hormoneller Verhütung thematisiert werden. Fakt ist aber, dass zu den neueren und aktuell von den meisten Frauen verwendeten Medikamenten kaum große neue Längsschnittstudien vorliegen, wie hoch bestimmte Risiken tatsächlich sind. Wir sind auf einen kürzlich im New England Journal of Medicine publizierten Artikel aufmerksam geworden, der Ihre Ansicht vielleicht ändern könnte.

Derzeit werden weltweit 100 Millionen Anwenderinnen der "Pille" gezählt und in Westeuropa und den USA sind etwa 80% davon Daueranwender.1

In Deutschland verwenden heute 37% der 20 Millionen Frauen im reproduktiven Alter kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK, am häufigsten monophasische Kombinationspräparate), ein weiteres Drittel entfällt auf andere Methoden (Vaginalring, Spirale, Pflaster, 3-Monats-Spritze, Kondom, Sterilisation).2

Relatives Risiko für Brustkrebs um 20% erhöht – bei Langzeit-Einnahme (≥10 Jahre) 38%

Zwischen 1995 und 2012 wurden alle Frauen in Dänemark im Alter zwischen 15 und 49 Jahren in eine prospektive Kohortenstudie eingeschlossen, die bis dahin weder Brustkrebs, noch thromboembolische Ereignisse hatten.3

Ein landesweites Register ("The Danish Sex Hormone Registry") stellte über einen durchschnittlichen Follow-Up-Zeitraum von 11 Jahren individuelle, ständig aktualisierte Informationen bezüglich der Einnahme von Kontrazeptiva, Brustkrebs-Diagnosen und möglicher Confounder zur Verfügung.

Auch in dieser Studie waren orale Kontrazeptiva die häufigsten, gefolgt von Gestagen-haltigen Intrauterin-Systemen.

Für Ex-Anwenderinnen und aktuelle Anwenderinnen beider Kontrazeptionsarten gemeinsam stieg die relative Brustkrebs-Häufigkeit um 20% und in Abhängigkeit von der Anwendungsdauer um bis zu 38% nach 10 Jahren. Gegenüber Nie-Anwenderinnen nahm das Risiko für Anwenderinnen Progestin-freisetzender Intrauterin-Systeme um 21% und für Anwenderinnen von KOKs um bis zu 60% zu.

Nach Absetzen hormoneller Kontrazeption blieb das Brustkrebs-Risiko für weitere 5 Jahre und mehr erhöht gegenüber Nie-Anwenderinnen.

Was bedeutet das für die klinische Praxis und wie repräsentativ sind diese Zahlen?

Die Inzidenz des Mamma-Carcinoms liegt in Deutschland um die 11%. Unter den 1,8 Millionen Frauen der Studie entwickelten 11517 ein invasives Mamma-Carcinom. Das Risiko war in dieser Kohorte sehr gering, da nur Frauen unter 49 Jahren beobachtet wurden. 80% der invasiven Mamma-Carcinome werden jedoch bei Frauen über 49 diagnostiziert.4 Diese Einschränkung hinsichtlich der Aussagekraft der Studie ist bedauerlich, insbesondere weil über das dänische Register Frauen bis 79 Jahre nachverfolgbar gewesen wären.

Auch hätte man sich die Einbeziehung von mehr Confoundern in die Analyse gewünscht (wie Alkoholabusus, Brustkrebs-Screening, Stillen).

Da die Erhöhung der absoluten Häufigkeiten somit marginal ausfiel, werden diese Ergebnisse also sicherlich nicht die gängige Praxis über Nacht verändern – dennoch kann man daraus mitnehmen, dass mehr Langzeit-Daten erhoben werden und Anwenderinnen und beratende Ärzte solche Informationen erhalten sollten, um im Sinne des "informed consent" entscheiden zu können.

Insgesamt handelt es sich um eine leichte, aber signifikante Risikoerhöhung für das ohnehin schon häufigste Malignom der Frau. Die absolute Zahl an Erkrankungsfällen ist seit 1980 um 67% gestiegen.5 Wenn man sich noch einmal die Zahlen eingangs vor Augen führt, gehören hormonelle Kontrazeptiva zu den häufigsten verschreibungspflichtigen Medikamenten überhaupt.

Wie könnten Frauen noch besser beraten werden?

Die Einführung der "Pille" vor etwa 50 Jahren hat eine nicht zu unterschätzende Tragweite und um Alternativen mit wirklich hoher Zuverlässigkeit ist es bis heute schwierig bestellt.

Insgesamt bleibt es also weiter eine verantwortungsvolle Entscheidung für Frauen.

Während beim Ovarial-, Endometrium- und Colon-Ca eher von einer Risiko-Reduktion nach Einnahme oraler Kombinationspräparate ausgegangen wird6, besteht für Zervix- und Mamma-Carcinom ein erhöhtes Risiko. Bei Frauen mit HPV-Infektion nimmt das Risiko für zervikale intraepitheliale Neoplasien mit der Einnahmedauer zu (nach fünf Jahren um das Doppelte und nach zehn Jahren um das Vierfache).7

Vielen Anwenderinnen ist sicher nicht klar, wie hoch oder niedrig bestimmte Risiken sind. Repräsentative Umfragen ergaben, dass sich Patienten unter den Häufigkeitsangaben in Packungsbeilagen ("gelegentlich oder 1-10 von 1.000") nicht viel vorstellen können. Und das gilt nicht nur für das Krebsrisiko. Besonders heikle Komplikationen, wie kardiovaskuläre und thromboembolische Ereignisse durch KOKs, werden tendenziell zu wenig besprochen. Damit sei nicht nur gemeint, wie oft oder selten, sondern wie sie besprochen werden. Liest man ein wenig in Patientenkommentaren in Internetforen, wird schnell klar: die Mehrheit denkt im schlimmsten Fall vielleicht an eine Beinvenenthrombose. Dass es aber auch eine fatale Lungenembolie oder Locked-in-syndrom durch Basilaris-Thrombose bedeuten kann, das sprechen die wenigsten Gynäkologen so deutlich aus. Auch da sind wir mit den Fallzahlen im Dunkeln, aber es zeichnet sich ab, dass diese unter den modernen KOKs leider nicht so niedrig sind, wie initial angenommen.

Ärzte haben einen großen – wenn nicht den größten – Einfluss darauf, für welche Methode eine Frau sich in welcher Phase ihres Lebens entscheidet.

Referenzen
1. Brynhildsen, J. Combined hormonal contraceptives: prescribing patterns, compliance, and benefits versus risks. Ther Adv Drug Saf 5, 201–213 (2014).
2. World Contraceptive Use 2017 - United Nations Population Division. Available at: http://www.un.org/en/development/desa/population/publications/dataset/contraception/wcu2017.shtml. (Accessed: 18th January 2018)
3. Mørch, L. S. et al. Contemporary Hormonal Contraception and the Risk of Breast Cancer. N. Engl. J. Med. 377, 2228–2239 (2017).
4. Andrew M. Kaunitz, M. D. Does Use of Hormonal Contraception Affect Risk for Breast Cancer? NEJM Journal Watch 2017, (2017).
5. Brustkrebs: Inzidenz, Mortalität, Überlebensraten, Prävalenz. https://medizin-aspekte.de/4177-brustkrebs_brustdruese_8856/ (2010).
6. Bassuk, S. S. & Manson, J. E. Oral contraceptives and menopausal hormone therapy: relative and attributable risks of cardiovascular disease, cancer, and other health outcomes. Ann Epidemiol 25, 193–200 (2015).
7. Moreno, V. et al. Effect of oral contraceptives on risk of cervical cancer in women with human papillomavirus infection: the IARC multicentric case-control study. Lancet 359, 1085–1092 (2002).