Ist es an der Zeit, medizinisches Cannabis im Kampf gegen Krebs besser zu erforschen? Logo of esanum https://www.esanum.de

Ist es an der Zeit, medizinisches Cannabis im Kampf gegen Krebs besser zu erforschen?

Bei einer Lungenkrebspatientin, die eine konventionelle Behandlung ablehnte und stattdessen täglich Cannabis-Öl einnahm, kam es zu einer Tumorregression, berichten britische Ärzte in einem Fallbericht im British Medical Journal (BMJ).

Bei einer Lungenkrebspatientin, die eine konventionelle Behandlung ablehnte und stattdessen täglich Cannabis-Öl einnahm, kam es zu einer Tumorregression, berichten britische Ärzte in einem Fallbericht im British Medical Journal (BMJ).

Lungenkrebs ist nach wie vor die zweithäufigste Tumorentität in Großbritannien.1 Trotz Fortschritten in den Behandlungsmöglichkeiten, einschließlich Immuntherapie und targeted therapies, sind die 5-Jahres-Überlebensraten mit etwa 15% weiterhin niedrig. Einige Patienten entscheiden sich für eine reine Symptomkontrolle, dann liegt die mediane Überlebenszeit ohne Behandlung bei 7,15 Monaten.2

Eine derzeit zahlreich geteilte Kasuistik stammt aus dem British Medical Journal (BMJ Case Reports)3 und berichtet von einer über 80-jährigen Patientin mit einem Lungenkrebs, welcher konventionellen Therapien zugänglich gewesen wäre. Eine CT-gesteuerte Lungenbiopsie hatte ein nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom im Stadium T2bN0Mx ergeben. Genetische Testungen auf Mutationen des ALK-Gens (anaplastische Lymphomkinase) sowie des EGFR-Gens (epidermaler Wachstumsfaktor-Rezeptor) waren negativ und weniger als 1 % der Tumorzellen exprimierten PDL1. Nach ausführlichen Gesprächen mit den Ärzten lehnte die Patientin alle angebotenen Behandlungsmöglichkeiten ab und entschied sich, es bei "watch & wait" zu belassen.

Der Tumor schrumpft stetig

Zum großen Erstaunen der Behandler schrumpfte der Tumor. Regelmäßige CT-Scans (in Abständen von 3–6 Monaten durchgeführt), zeigten, dass sich ihr Krebs über einen Zeitraum von 2,5 Jahren schrittweise von 41 mm auf 10 mm verkleinerte. Dies entspricht einer Verringerung des maximalen axialen Durchmessers um insgesamt 76% bzw. durchschnittlich 2,4% pro Monat über den gesamten Überwachungszeitraum.

Was ihre Ärzte anfangs nicht wussten: die Patientin hatte eine unkonventionelle und in Großbritannien nicht als Behandlung zugelassene Strategie eingeschlagen. Sie hatte seit kurz nach Diagnosestellung durchgängig zwei- bis dreimal täglich 0,5 ml Cannabis-Öl eingenommen, welches als Hauptwirkstoffe THC und CBD in etwa gleichen Teilen enthielt, außerdem einen hohen Anteil an THCA, der Vorstufe von THC (Δ9-Tetrahydrocannabinol (THC) mit 19,5%, Cannabidiol (CBD) mit 20,05 % und Tetrahydrocannabinolsäure (THCA) mit 23,8%). Das Präparat hatte sie aus dem Ausland besorgt.
Es gab keine weiteren Änderungen an ihrer Dauermedikation, ihrer Ernährung und ihrem Lebensstil.

Der Bericht stieß in Fach- und allgemeinen Medien gleichermaßen auf großes Interesse.
Prof. David Nutt, Direktor der Abteilung für Neuropsychopharmakologie am Imperial College London, kommentiert: "Dies ist einer von vielen vielversprechenden Einzelfallberichten über die Selbstbehandlung mit medizinischem Cannabis bei verschiedenen Krebsarten. Solche Fallberichte sind angesichts der adaptogenen Natur des Endocannabinoid-Systems biologisch glaubwürdig. Ein Fallbericht allein reicht nicht aus, um zu beweisen, dass eine Sache die andere verursacht hat – dafür brauchen wir Studien. Einige kontrollierte Studien laufen derzeit und weitere sind erforderlich, um das Potenzial von medizinischem Cannabis bei einer Reihe von Krebsarten angemessen zu untersuchen."4

Die Einsatzmöglichkeiten von Cannabinoiden in der Krebstherapie verdienen weiterführende Erforschung

Cannabinoide sind den körpereigenen Endocannabinoiden chemisch ähnlich und sind als primäre Krebstherapie untersucht worden. Sie können mit Signalwegen interagieren, die das Schicksal von Zellen, einschließlich Krebszellen, steuern. So wurden unter anderem antiproliferative, antiinvasive und antimetastatische Effekte nachgewiesen, wie wir vor längerer Zeit in diesem Beitrag skizzierten.

Prof. em. Edzard Ernst von der University of Exeter fügt dem aktuellen Bericht noch hinzu: "In Tiermodellen hat sich gezeigt, dass Cannabinoide die Größe von Prostatakarzinomen verringern können. Frühere Fallberichte haben auch bei Krebserkrankungen beim Menschen ermutigende Ergebnisse beschrieben[...]."4
So wurde in einem ähnlich gelagerten Fall ebenfalls eine Tumorverkleinerung bei einem Adenokarzinom der Lunge berichtet.5 Der Tumor des 81-jährigen Patienten maß zunächst ca. 2,7 x 2,8 cm (T1c N3 M0). Eine Bildgebung ein halbes Jahr später offenbarte eine leichte Progredienz. Zwei Monate danach begann er, täglich ein reines, THC-freies CBD-Öl einzunehmen (entsprechend 2x 6 mg CBD täglich). Standardtherapien oder Lebensstiländerungen erfolgten hier ebenfalls nicht. Weitere zwei Monate später (also insgesamt ein knappes Jahr nach Diagnosestellung) wurde eine weitere CT-Untersuchung durchgeführt, die eine nahezu vollständige Auflösung der Raumforderung mit nur noch einem kleinen Bereich mit spikulären Veränderungen im Weichteilgewebe (1,3 × 0,6 cm) sowie eine deutliche Verringerung der Größe und Anzahl der mediastinalen Lymphknoten zeigte. Im Verlaufs-CT zwei Monate danach war das Erscheinungsbild der kleinen Resttrübung und der mediastinalen Lymphknoten stabil.

Fallberichte allein können zwar nicht als verlässlicher Beweis angesehen werden. Aber es könnte sich lohnen, die Verwendung von medizinischem Cannabis als potenzielle Behandlung bei Krebs weiter zu erforschen, resümieren auch die Autoren der Kasuistik.
Das Ergebnis ist natürlich sehr ermutigend und positiv für die Patientin, die gegenüber dem BMJ äußerte: "Ich war wenig interessiert an konventionellen Krebstherapien, da mir die Risiken einer Operation Sorge bereiteten und ich erlebt hatte, wie mein verstorbener Mann unter den Nebenwirkungen der Strahlentherapie gelitten hatte. Ein Verwandter schlug mir vor, es mit "Cannabidiol (CBD)-Öl" zu versuchen [...]. Ich bin überglücklich, dass mein Krebs geschrumpft ist, was meiner Meinung nach auf das CBD-Öl zurückzuführen ist. Ich vertrage es sehr gut und beabsichtige, diese Behandlung auf unbestimmte Zeit fortzusetzen."

Referenzen:
1. Cancer incidence for common cancers. Cancer Research UK https://www.cancerresearchuk.org/health-professional/cancer-statistics/incidence/common-cancers-compared (2015).
2. Wao, H., Mhaskar, R., Kumar, A., Miladinovic, B. & Djulbegovic, B. Survival of patients with non-small cell lung cancer without treatment: a systematic review and meta-analysis. Syst Rev 2, 10 (2013).
3. Liew, K. L., Capuano, E. & Yung, B. Lung cancer patient who had declined conventional cancer treatment: could the self-administration of ‘CBD oil’ be contributing to the observed tumour regression? BMJ Case Reports CP 14, e244195 (2021).
4. expert reaction to case report of woman with lung cancer who used cannabidiol oil | Science Media Centre. https://www.sciencemediacentre.org/expert-reaction-to-case-report-of-woman-with-lung-cancer-who-used-cannabidiol-oil/.
5. Sulé-Suso, J., Watson, N. A., van Pittius, D. G. & Jegannathen, A. Striking lung cancer response to self-administration of cannabidiol: A case report and literature review. SAGE Open Medical Case Reports 7, 2050313X19832160 (2019).