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Immunvermittelte Nebenwirkungen unter Checkpoint-Blockade

Immun-Checkpoint-Inhibitoren finden ob ihrer Effektivität bei immer mehr Neoplasien Anwendung – doch damit wird auch die Zahl der von immunvermittelten Nebenwirkungen (IRAEs für "immune related adverse events") betroffenen Patienten in naher Zukunft ansteigen. Eine Sichtung der Lage, sowie einige Gedanken zum IRAE-Management.

Immun-Checkpoint-Inhibitoren finden ob ihrer Effektivität bei immer mehr Neoplasien Anwendung – doch damit wird auch die Zahl der von immunvermittelten Nebenwirkungen (IRAEs für "immune related adverse events") betroffenen Patienten in naher Zukunft ansteigen. Eine Sichtung der Lage, sowie einige Gedanken zum IRAE-Management.

Immun-Checkpoint-Inhibitoren (ICIs) haben die Behandlung verschiedener Malignome revolutioniert. Doch eine für diese Therapie spezifische Art von Nebenwirkungen kann deren Einsatz limitieren: IRAEs. Neben einigen, in klinischen Studien gut beschriebenen Erscheinungen (z.B. Dermatitis, Colitis), wird inzwischen zunehmend von entzündlichen und autoimmunen Manifestationen berichtet.1

Der größte Anteil diesbezüglicher Daten stammt bislang von Melanom-Patienten und den ersten drei ICIs, die von der FDA zugelassen wurden: der erste war 2011 Ipilimumab (Antikörper gegen cytotoxic T lymphocyte antigen 4 = CTLA-4), 2014 gefolgt von Pembrolizumab und Nivolumab (Antikörper gegen programmed cell death protein 1 = PD-1).1

IRAEs sind häufig – was steckt dahinter?

Trotz der im Vergleich zu konventionellen Chemotherapien besseren Verträglichkeit kann die Blockade dieser Checkpoint-Rezeptoren das Immunsystem überaktivieren oder aus der Balance bringen. Dysimmune Toxizität kann potenziell jedes Gewebe betreffen – klinisch besonders relevant sind Beteiligungen von GIT, Haut, endokrinen Drüsen, Nieren, peripherem und zentralem Nervensystem, Leber, Lymphknoten, Augen, Pankreas und Lunge.2 Seltener sind kardiovaskuläre, muskuloskelettale und hämatologische Komplikationen.3

IRAEs sind häufig. Sie treten bei bis zu 90% der Patienten unter Therapie mit anti-CTLA-4-Antikörpern2 und 70% der Patienten unter PD-1 oder PD-L1-Antikörpern4,5 auf, wobei hier große Abweichungen zwischen verschiedenen Quellen bestehen. Eine neuere Meta-Analyse gibt die Häufigkeit von IRAEs für CTLA-4- mit 54% und für PD-1-Blockade mit 27% an (bei einer Rate vollständiger Remissionen von 3% respektive 2% und einer Gesamtansprechrate von 11% respektive 25%).6 Jedoch zeigt sich in den meisten Studien eine einheitliche Tendenz, dass ICIs, die ausschließlich Immunzellen zum Ziel haben, mit mehr Fällen von IRAEs assoziiert sind als solche, die auch Tumorzellen zum Target haben (PD-L1).

Derzeit ist noch wenig verstanden, wie genau IRAEs entstehen und warum die intra-individuelle Variabilität so immens ist. Mögliche Mechanismen sind:

Erste Schwierigkeit: immunvermittelte Nebenwirkungen (frühzeitig) als solche erkennen

Bei einer endoskopisch gesicherten Colitis mag der Fall klar erscheinen, aber häufig präsentieren Patienten mit IRAEs unspezifische Symptome – wie etwa bei einer Hypophysitis, die bei bis zu 10% der Patienten unter CTLA-4-Blockade auftreten kann.2 Sie kann mit Einbruch von einzelnen oder allen hypophysären Hormonen einhergehen (ACTH, TSH, FSH, LH, GH, Prolactin) und sich in unspezifischen Symptomen wie Müdigkeit, Kopfschmerzen, Muskelschwäche, Blässe, Gewichtsverlust und Übelkeit äußern. Gerade Fatigue könnte der neoplastischen Grunderkrankung zugeschoben werden. Das Auftreten solcher Symptome sollte daher Anlass geben, einen Tumorprogress differenzialdiagnostisch auszuschließen.

Zeitlich ist der Bezug zwischen Symptomen und ICIs auch nicht immer einfach herzustellen. Ihre Gabe ist häufig über lange Zeit, manchmal sogar für Jahre, nötig, wobei IRAEs jederzeit eintreten können, sogar nach Therapieende (am häufigsten jedoch während der ersten Wochen und Monate).3

Zweite Schwierigkeit: kaum Studien und keine einheitlichen Empfehlungen zum IRAE-Management

Bei vielen Patienten führt dysimmune Toxizität dazu, dass die Therapie zeitweise oder permanent ausgesetzt wird und potenziell lange Zyklen von Steroiden oder sogar TNFα-Antagonisten (Infliximab) und DMARDs (Tacrolimus, HCQ, MMF, SSZ, CYC A)2 zum Einsatz kommen müssen.1

IRAEs können sich mild bis schwer darstellen und teilweise tödlich verlaufen, wobei 21,5% der Patienten unter CTLA-4- und 7,1% unter PD-1-Blockade Komplikationen des Schweregrades 3 und höher durchmachen.6 In einem kleineren systematischen Review zeigten sich 71% der Ipilimumab-assoziierten IRAEs rückläufig, unter Pembrolizumab waren es 57%.1 Bleibende Spätschäden wurden bei 24% respektive 43% und IRAE-bedingte Todesfälle in 5% der Ipilimumab-Therapien berichtet.  

Obwohl IRAEs oft auf Steroide ansprechen und insbesondere bei lebensbedrohlichen Komplikationen (Pneumonitis, Myokarditis) eine rechtzeitige, hochdosierte Gabe (initial 1-2mg/kg/d Methylprednisolon i.v.) unabdingbar sein mag, ist insgesamt Vorsicht geboten. Die assoziierte Immunsuppression kann die Anti-Tumor-Antwort kompromittieren.2 Außerdem induzieren Glucocorticoide in Lymphozyten Apoptose, während sie in Tumorzellen sowohl in vitro als auch in vivo Überlebensgene aktivieren, die die Krebszellen vor den Wirkungen von Chemotherapeutika schützen und sie resistent gegen Apoptose machen können.7

Darüber hinaus können sie onkogene Viren aktivieren und Immunantworten gegen pathogene Erreger unterdrücken – sodass in dem Fall auch eine Prophylaxe gegen opportunistische Infektionen bedacht werden muss.

Der Einsatz von ICIs sollte bei bestimmten Patientengruppen weiterhin sehr sorgfältig abgewogen werden (vorbestehende Autoimmun-Erkrankungen, chronische Virusinfektionen, fortgeschrittenes Alter, Organ- oder Stammzell-transplantierte Patienten).

Einschlägige Fachorganisationen arbeiten an Richtlinien für den Umgang mit IRAEs auf Konsens-Basis – was aber fehlt, sind prospektive Studien. Auch die Qualität der Dokumentation von IRAEs (hinsichtlich Ausprägung, onset, Behandlung und Reversibilität) ist oft suboptimal. Aktuell ist davon auszugehen, dass nicht alle IRAEs als solche erkannt und erfasst werden.2

Referenzen:
1. Abdel-Wahab, N., Shah, M. & Suarez-Almazor, M. E. Adverse Events Associated with Immune Checkpoint Blockade in Patients with Cancer: A Systematic Review of Case Reports. PLoS One 11, (2016).
2. Michot, J. M. et al. Immune-related adverse events with immune checkpoint blockade: a comprehensive review. Eur. J. Cancer 54, 139–148 (2016).
3. Postow, M. A., Sidlow, R. & Hellmann, M. D. Immune-Related Adverse Events Associated with Immune Checkpoint Blockade. New England Journal of Medicine 378, 158–168 (2018).
4. Brahmer, J. R. et al. Safety and Activity of Anti–PD-L1 Antibody in Patients with Advanced Cancer. New England Journal of Medicine 366, 2455–2465 (2012).
5. Topalian, S. L. et al. Safety, activity, and immune correlates of anti-PD-1 antibody in cancer. N. Engl. J. Med. 366, 2443–2454 (2012).
6. Osta, B. E., Hu, F., Sadek, R., Chintalapally, R. & Tang, S.-C. Not all immune-checkpoint inhibitors are created equal: Meta-analysis and systematic review of immune-related adverse events in cancer trials. Critical Reviews in Oncology / Hematology 119, 1–12 (2017).
7. Herr, I. et al. Glucocorticoid cotreatment induces apoptosis resistance toward cancer therapy in carcinomas. Cancer Res. 63, 3112–3120 (2003).