Als Onkologe oder onkologisch interessierter Arzt kommt man aus dem Staunen über die rasanten Entwicklungen der Krebsmedizin im Moment gar nicht so richtig raus. Zum Glück! Und auch die Tatsache, dass immer öfter auch für ehemals fatale Diagnosen erfolgversprechende Ansätze gefunden werden, scheint sich fortzusetzen.
Ein ganz aktuelles Beispiel dafür ist die Bedeutung der sogenannten PARP-Inhibitoren für Patientinnen mit dreifach rezeptor-negativem Mammakarzinom mit BRCA-Mutationen in der Keimbahn. Die Name leitet sich dabei vom englischen BReast CAncer gene ab und bezeichnet ein durch diesen genetischen Fehler deutlich erhöhtes Entartungsrisiko. Bei diesen triple-negativen Tumoren handelt es sich um eine recht heterogene Malignomart, die – insbesondere bei Vorliegen des Gendefekts – oftmals durch Auftreten in relativ jungem Lebensalter, aggressiven Verlauf und besonders schlechte Prognose gekennzeichnet ist. Der Grund übrigens, weshalb sich die Schauspielerin Angelina Jolie und viele andere von dieser erblichen Besonderheit Betroffene zu einer präventiven Mastektomie entschlossen haben bzw. oftmals entschließen. Denn ist der Tumor erst mal klinisch manifest oder gar metastasiert, waren die Therapiemöglichkeiten bisher sehr limitiert und die Überlebenswahrscheinlichkeit gering.
Seinen Durchbruch feierte Olaparib, der Inhibitor des Enzyms Poly-ADP-Ribose-Polymerase (PARP) dabei zunächst beim fortgeschrittenem Eierstock- bzw. Eileiterkarzinom mit BRCA-assoziiertem Defekt, für welches das Arzneimittel seit einigen Jahren auch in der EU eine Zulassung hat. Die zugrunde liegenden Studien zeigten hier neben einer signifikanten Steigerung der progressions- und symptomfreien Überlebenszeit auch einen toxizitätsunabhängigen, positiven Einfluss auf die Lebensqualität.
Das Wirkprinzip besteht darin, dass die Substanz die katalytische Aktivität des Enzyms PARP, welches bei der Reparatur von DNA-Einzelsträngen mitwirkt, bremst und sich die dadurch nicht mehr ausreichend instandgesetzten Krebszellen bei der nächsten Zellteilung durch Doppelstrangbruch selbst eliminieren. Gesunde Zellen werden weitgehend geschont, da vorhandene Läsionen durch homologe Rekombination beseitigt werden können. Malignen Zellen mit mutiertem BRCA-Gen fehlt hingegen eine solche Reparaturmöglichkeit und mit der Attacke auf das PARP-System fällt dann auch noch der verbleibende, lediglich kompensatorisch agierende Reparaturmechanismus weg.
Nun scheint dieser PARP-Hemmer eben auch bei metastasiertem Brustkrebs mit Mutationen in den BRCA1- und BRCA2-Genen ausgesprochen effektiv zu sein. In der randomisierten Phase III-Studie OlympiAD mit 302 Patientinnen im Altersmedian von 44–45 Jahren zeigte sich in der Olaparib-Gruppe eine 42%ige Progressions-Reduktion im Vergleich zum Chemotherapie-Kollektiv. Das entsprach einem PFS von im Median 7 Monaten versus 4,2 Monaten (Hazard Ratio:0,58, p=0,0009). Dieser kleine, aber hochsignifikante Unterschied von nur knapp 3 Monaten offenbarte, dass erstmals ein Schlüssel zur Therapie dieser bisher kaum zugänglichen Entität gefunden war.
Die Ansprechrate (ORR) lag bei Olaparib-Gabe bei 60% und im Falle der Standard-Chemotherapie bei 29%. Unerwünschte Nebenwirkungen ab Schweregrad 3 waren in der PARP-Gruppe mit 36,6% versus 50,5% niedriger und auch die Sorge, dass der Tumor nach Ende der Olaparib-Therapie aggressiver zurückkomme, konnte in Anbetracht einer deutlich verlängerten Zeit bis zur 2. Progression widerlegt werden.
Entsprechend freudig wurden die im Sommer im New England Journal of Medicine publizierten Ergebnisse auch auf dem diesjährigen ASCO aufgenommen. Kongress-Präsident Prof. Daniel Hayes bezeichnete die Erfolge als "großen Schritt nach vorne in der translationalen Medizin". Er sprach davon, dass diese positiven Ergebnisse offenbar nur der Anfang seien, und man sich vielversprechende Chancen mit Chemotherapeutika-Kombinationen sowie unterschiedlichen Behandlungs-Settings vorstellen könne.
Und auch andere namhafte Experten sprachen diesbezüglich von "practice-changing" und antizipierten den PARP-Hemmer bereits als künftigen Standard bei dieser besonders tückischen Erkrankung. Mehr noch: Mit dem neuartigen Talazoparib stehen laut ersten Studienresultaten bald wahrscheinlich sogar noch potentere PARP-Inhibitoren im Kampf gegen Brustkrebs in den Startlöchern...
Erstmals könnte die Präzisionsmedizin damit nicht nur bei den Östrogen-, Progesteronrezeptor- oder HER2-positiven Mammakarzinomen Anwendung finden, sondern endlich ausdrücklich auch bei den dreifach-negativen Tumoren, für die bisher nur recht unspezifische Chemotherapie-Regime zur Verfügung standen. Und erstmals ist mit Olaparib und Co auch eine zielgerichtete Therapie gegen einen vererbten Genfehler auf dem Markt!
Da das Vorhandensein des BRCA-Defekts den Behandlungserfolg bei diesen gynäkologischen Tumoren sogar explizit fördert, wird wohl in Zukunft auch die BRCA -Testung eine verstärkte Bedeutung erfahren.
Insgesamt ist diese kleine, feine Erfolgsgeschichte ein weiteres Beispiel für ein interessantes wissenschaftliches Phänomen: Im Zuge der neuen Targeted Therapien können nun oft gerade diejenigen Tumore, die durch ein spezifisches Manko bisher als ausgesprochen bösartig und therapieresistent galten, genau an diesem besonderen Charakteristikum "gepackt" und eliminiert werden.
Eine bedeutsame und hoffnungsvolle Entwicklung – in dem Fall für die oft noch prämenopausalen Brustkrebspatientinnen, deren Schicksal mit dieser speziellen Diagnose bisher häufig bereits besiegelt war.
Quellen: